"Die Sehnsucht nach Licht": Bergarbeiter-Roman von Kati Naumann
Kati Naumann hat die Gabe, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen. In ihrem neuen Roman erzählt sie von den lebensgefährlichen Arbeiten im Bergbau, aber sie schildert auch die tiefe Verbundenheit mit diesem Beruf.
Die Schriftstellerin Kati Naumann hat schon etliche Romane geschrieben, in denen sie in beeindruckender Weise Vergangenheit lebendig werden lässt. Die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus und die DDR-Vergangenheit sind Epochen, in denen ihre Bücher spielen. In ihrem neuesten Roman "Die Sehnsucht nach Licht" geht es um eine Familiengeschichte im Erzgebirge.
Familienzusammenhalt in guten wie in finsteren Zeiten
Als Kind habe ich die Geschichten von früher geliebt, die meine Oma erzählt hat. Es mag eigentümlich klingen, aber beim Lesen des Romans von Kati Naumann ging es mir so ähnlich. Sie ist zwar deutlich jünger als ich, aber sie hat die Gabe, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen. Auch in ihrem neuen Buch wählt sie die Form, früher und heute aufeinander zulaufen zu lassen.
Es beginnt im November 1908. In der Wohnküche der Bergarbeiter Familie Steiner wird das Feuer im Eisenofen angezündet. Auf dem Fensterbrett stehen bunt bemalten Holzfiguren.
Eine von ihnen war ein Engel mit goldlackierten Flügeln. Wie einen Kelch streckte er Wilhelm die Messingtülle mit der Kerze entgegen. Die anderen beiden Gestalten waren bärtige Bergmänner in Paradeuniform mit goldgesäumten Schulterkragen und Schachthut. In der rechten Hand trugen sie die Kerze und in der linken das Grubenbeil. Die Figuren standen für jedes Kind der Steiners, zwei Jungen und ein Mädchen. Leseprobe
Familienzusammenhalt in guten wie in sehr finsteren Zeiten ist das, was die Steiners am stärksten ausmacht. Kati Naumann erzählt von den lebensgefährlichen Arbeiten im Bergbau, von Grubenunglücken und Krankheit. Aber sie schildert auch die - für Außenstehende oft schwer nachvollziehbare, aber real existierende - tiefe Verbundenheit mit diesem Beruf, mit der Arbeit unter Tage, die hart ist, aber stolz macht.
Kati Naumanns faszinierende Recherche
Vor dem Ersten Weltkrieg war Oberschlema nicht nur Bergbaustadt, sondern es war viele Jahre lang ein schicker Kurort, an dem man mit dem Radonwasser offenbar Wunder bewirken wollte. Es ist erstaunlich, wie intensiv sich Kati Naumann in die Begriffe, Fachsprache und Arbeitsbedingungen der damaligen Zeit und dieses besonderen Berufes unter Tage hineingefunden hat - jeweils verbunden mit der Geschichte der Familie Steiner. Es geht durch den Ersten Weltkrieg, die Männer werden eingezogen, es folgen die 20er-Jahre, dann die Schrecken und Verbrechen der Nazizeit und der verheerend wütende Zweite Weltkrieg. Danach übernimmt ein russisches Unternehmen den Bergbau im Erzgebirge. 25.000 Bergarbeiter arbeiten in 20 Schächten in drei Schichten. Es wird Uran für die Atombombenproduktion abgebaut, was zu riesigen Haldenaufschüttungen mit radioaktivem Material im Ort Oberschlema führt. Einer der Steiner-Söhne fotografiert privat die Schachtanlagen, ohne sich etwas dabei zu denken, und wird vom Geheimdienst der Spionage beschuldigt und verschleppt. Viele Jahrzehnte gibt die Familie nicht auf, nach Rudolph zu suchen. Es dauert lange, bis seine Schwester Irma aufhört, um ihn zu weinen.
Stattdessen zog Irma die beiden Kinder zu sich heran und drückte sie zitternd an sich. Ihr Vater hatte recht, sie besaß noch immer so etwas Kostbares. Und sie konnte es jederzeit verlieren, wenn sie nicht besser darauf achtgab. In diesem Moment nahm sie sich vor, wieder Freude in ihr Leben zu lassen. Leseprobe
Das Motto der Familie heißt: Morgen ist ein neuer Tag, mit neuer Hoffnung. Aber noch als alte Frau in einem Pflegeheim lässt es Irma nicht los. Sie möchte mit ihrer Enkeltochter nach Moskau, um dort herauszufinden, was mit ihrem Bruder Rudolph geschehen ist und ihre Trauer abschließen.
"Die Sehnsucht nach Licht": Würdiges Denkmal für Bergarbeiter
1991 werden die Uranbergwerke geschlossen, der Bergbau im Schlematal wird eingestellt und die Anstrengungen, das Gebiet zu sanieren, beginnen. Schon ein paar Jahre später wird hier ein neues Radonheilbad eröffnet und eine Tochter der Steiner-Familie führt Touristen in stillgelegte Schächte und erzählt von der langen Geschichte des Bergbaus im Erzgebirge, der seit 1170 betrieben wurde. Denen, die hier unter grausamsten Bedingungen geschuftet haben, die gegen Krankheit und Gefahr gekämpft und in ganz eigener Weise ihre Heimat und ihren Beruf geliebt haben, setzt Kati Naumann mit ihrem Roman ein großes, würdiges Denkmal.
Die Sehnsucht nach Licht
- Seitenzahl:
- 416 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- HarperCollins
- Bestellnummer:
- 978-3-365-00117-2
- Preis:
- 22 €
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Romane
