Zuhause im Dazwischen: Manfred Krugs Tagebücher veröffentlicht
Wie kaum einem anderen Künstler ist es Manfred Krug gelungen sowohl im Osten als auch im Westen zur Ikone zu werden. Heute sind seine Tagebücher aus den 90er-Jahren als Buch erschienen: "Ich sammle mein Leben zusammen".
In der DDR schätzte man ihn als Jazz-Musiker und wegen seiner zahlreichen Rollen in Film und Fernsehen ("Wege übers Land", "Fünf Patronenhülsen"). Mit 40 ging er dann in den Westen, wo er als singender "Tatort"-Kommissar und als Anwalt in der Serie "Liebling, Kreuzberg" Erfolge feierte. Es sind turbulente Jahre, von denen diese Tagebücher erzählen.
Manfred Krugs Ehebruch fliegt auf
Berlin 1996. Manfred Krug schiebt seiner Frau Ottilie spätabends einen Zettel unter der Tür durch. Lässig der Ton. Von Reue keine Spur.
"Meine liebe Otti, wenn Du es über Dich bringen kannst, dann laß uns wenigstens zwei Tage Schweigen bewahren. Dann können wir ja drüber reden und gemeinsam entscheiden, was das vernünftigste Verhalten wäre. Bleib cool, meine Liebe. Montag denken wir über das Beste nach." Zitat aus "Ich sammle mein Leben zusammen"
Auch wenn es zunächst so klingt ist es keine Lappalie, keine Kleinigkeit, auf die Manfred Krug in dieser Notiz anspricht. Sein Doppelleben ist aufgeflogen. Ottilie hat herausgefunden, dass ihr Mann in seiner Zweitwohnung eine Geliebte namens Petra und ein Baby empfängt. Dass das Kind von ihm sein könnte, denkt sie nur, fragt aber nicht nach. Die kleinen und großen Fehlgriffe werden diesem Kerl verziehen.
"Ich sammle mein Leben zusammen" zeigt Krugs turbulentes Leben
Mitte der 90er-Jahre als Manfred Krugs Ehebruch herauskommt, schlägt gerade die Veröffentlichung seines Buchs "Abgehauen" über seine Ausreise aus der DDR Wellen. Als Schauspieler tritt er auf in etlichen Werbespots. Jobs, die er im Tagebuch mit "Würg" kommentiert. Bis er selbst Hand angelegt: Schwer selbstbewusst textet er ganze Skripte um, bis in die Nacht hinein. Er feiert Erfolge als singender Tatortkommissar. Und das Publikum liebt ihn in der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg", deren Drehbücher sein bester Freund und Schriftsteller Jurek Becker schreibt.
Manfred Krug - zwischen charmant und ruppig
Manfred Krug wechselt zwischen ruppig und charmant - vor und hinter der Kamera. Sein Umgang mit Frauen ist oft der eines Chauvinisten. Diese Aufzeichnungen lassen uns unbeschönt ganz nah ran.
"Die Arbeit daran geht weit über das hinaus, was ein Schauspieler in Deutschland gewöhnlich tut. Ich ändere gnadenlos den Text, streiche, füge hinzu, mische mich in die Arrangements und in die Auflösung von Szenen ein, wozu ich Gott sei Dank das Vertrauen des Produzenten Otto Meissner habe. Mit der Regisseurin komme ich deshalb von Woche zu Woche besser aus, sie lernt manches über Rhythmus, den jeder Film braucht, und über Doofheit, die jeden Film verdirbt. Das hat sie inzwischen verstanden, nun gibt es nur noch Meinungsverschiedenheiten darüber, was Rhythmus und was Doofheit ist." Zitat aus "Ich sammle mein Leben zusammen"
Tagebücher sind Chronik einer Zeit

Atmosphäre steckt in den Tagebüchern. Sie fangen eine Zeit ein. Krug schimpf über die "Telefonmaschine" und ist gleichzeitig beeindruckt vom "Navigationscomputer" im Auto seines Fahrers. Er liest vom tödlichen Unfall von Lady Di liest und trinkt abends in der Berliner Kneipe "Diener" mit der Sängerin Ulla Meinecke einen Absacker.
Wir erleben Manfred Krug als Arbeitstier, als genussvollen Flohmarktbesucher, der skurrile Schätze mit nach Hause schleppt, aber auch als streitlustigen, nachdenklichen Menschen. Mit beiden Systemen, die er erlebt hat, hadert er immer wieder: mit der Überwachung in der DDR, mit dem Kapitalismus in der BRD. Er ist zu Hause im Dazwischen.
Späte Vaterfreuden
Drei Kinder hat er mit seiner Ehefrau großgezogen. Er bedauert, nicht immer ein guter Vater gewesen zu sein. Der Anblick seiner unehelichen Tochter stimmt ihn auf berührende Weise zuckersüß. Er stellt fest: Alle Kinder hätte er mit sechzig machen sollen.
Was sich zerfetzen läßt, zerfetzt sie. Noch immer versteckt sie ihr süßes Gesichtchen, wenn ich „Püppi, du bist mein Augenstern ...“ singe. Und noch immer schaut sie zwischendurch flirtend und lächelnd zur Seite auf Papa. Papa hat sich tausend verschiedene "Hoppe hoppe Reiters" ausgedacht, die er alle mit ihr durchspielt, und sie erwartet prompt immer ein neues. Papa ist außer sich vor Liebe zu diesem Sonnenstäubchen, diesem Goldstäubchen, diesem raffiniertesten Kind aller Zeiten. Zitat aus "Ich sammle mein Leben zusammen"
Stark in den stillen Momenten
Am stärksten ist das Buch in seinen stillen Momenten. Als Manfred Krug einen Schlaganfall erleidet, muss er das Gehen und Sprechen neu erlernen. Die Unbegreiflichkeit des Alterns macht ihm Angst. Sein Lebensfreund Jurek Becker stirbt 1997.
"Ich sitze allein in meiner Bude, mir laufen die Tränen runter. Ich genieße es. Welche wunderbare Eigenschaft an uns Menschen. Der größte Ganove kann sich an den eigenen Tränen reinigen. Ich weiß, warum das Tier über die Fähigkeit zu weinen nicht verfügt. Es braucht sie nicht. Keine Ganoven unter den Tieren." Zitat aus "Ich sammle mein Leben zusammen"
Sie lesen sich wunderbar, diese Tagebücher eines störrischen, selbstkritischen und dann wieder warmen Mannes.
"Ich sammle mein Leben zusammen" gibt es auch als Hörbuch. Gelesen von Manfred Krugs Sohn Daniel.
Ich sammle mein Leben zusammen
- Seitenzahl:
- 220 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Zusatzinfo:
- Herausgegeben und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich
- Verlag:
- Kanon Verlag
- Veröffentlichungsdatum:
- 26. Januar 2022
- Bestellnummer:
- 978-3-98568-020-7
- Preis:
- 22,00 €
