Buchcover: Stefan Creuzberger - Das deutsch-russische Jahrhundert. Geschichte einer besonderen Beziehung © Rowohlt Verlag

"Das deutsch-russische Jahrhundert": Faszinierende Hintergründe

Stand: 19.10.2022 10:00 Uhr

Der Rostocker Historiker Stefan Creuzberger beleuchtet in seinem Sachbuch "Das deutsch-russische Jahrhundert" Deutschlands und Russlands komplizierte Beziehung - stets zwischen Bewunderung und Hass. Mit seinem Werk ist er für den NDR Sachbuchpreis nominiert.

von Frank Breuner

"Das deutsch-russische Jahrhundert" des Historikers Stefan Creuzberger scheint wie das Buch der Stunde: der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, die gespaltene Reaktion der deutschen Öffentlichkeit. Dabei ist es vor der Invasion der Ukraine entstanden.

Wo stecken die Wurzeln dieser komplizierten Beziehungskiste zwischen den beiden Ländern - die immer zwischen Bewunderung und Hass hin und her wechselten. Creuzbergers Buch liefert dazu faszinierende Hintergründe.

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Blutige Schlachten mit Millionen Toten

Es war der Beginn von unfassbaren Gräueltaten: der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Stalin schwor sein Land damals auf den Widerstand ein:

"Wenn die deutschen Invasoren einen Vernichtungskrieg wollen, dann werden sie einen bekommen." Josef Stalin - Zitat aus dem Buch

Ein blutiges Schlachten mit Millionen Toten, nur zwei Jahre nachdem die Diktatoren Josef Stalin und Adolf Hitler einen Nichtangriffspakt geschlossen hatten - und damit das Schicksal Osteuropas besiegelten. Diese Wellen in den deutsch-russischen Beziehungen zwischen Kooperation und Konfrontation beschreibt Creuzberger in drei Abschnitten seines Buches so: "Das ist zunächst mal Revolution und Umbruch, Terror und Gewalt und dann Annäherung und Abgrenzung."

Manches in Creuzbergers Buch kommt einem sehr vertraut vor: Bis zum Vorabend des großen Krieges floriert der Handel zwischen den beiden Nationen. Die Deutschen verdienen in Russland einen Haufen Geld und auch die Russen exportieren fleißig nach Deutschland - aller politischen Spannungen zum Trotz.

Bis dann der Erste Weltkrieg dem ein Ende bereitet. Um das Zarenreich zu destabilisieren, hilft das deutsche Militär dem Revolutionär Lenin, nach Russland zu kommen. Das Kaiserreich investiert enorme Summen, um die Bolschewisten zu unterstützen:

"Die meisten Gelder flossen offenbar in den Ausbau der Parteiorganisation. Vor allem deren Propagandaapparat wurde binnen kürzester Zeit wirkungsvoll erweitert, was zugleich eine entscheidende Voraussetzung für Lenins erfolgreichen Oktoberputsch bildete." (Buchzitat) Zitat aus dem Sachbuch

Deutschland:"Geburtshelfer der Sowjetunion" legte Grundstein zur kommunistischen Supermacht

Deutschland wirkte aber nicht nur als Geburtshelfer der Sowjetunion, sondern legte auch den Grundstein zum Aufstieg des Landes zur kommunistischen Welt- und Supermacht. Das besondere Verhältnis Deutschlands und Russlands, beziehungsweise der Sowjetunion, bleibt auch im tiefsten Kalten Krieg weltpolitisch mitbestimmend, meint Creuzberger. Er erinnert an Adenauers Reise nach Moskau im Jahr 1955, die der Kanzler damals vor dem Bundestag so begründete:

"Die Bundesregierung wird in Zukunft in ihren Bemühungen für die Europäische Integration und die Verteidigung der Freiheit nicht nachlassen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion widerspricht also nicht den Interessen des Westens." Konrad Adenauer - Zitat aus dem Sachbuch

Der Beginn eines neuen Kapitels in den Beziehungen beider Länder, die von Adenauer über Brands Ostpolitik bis zum Fall der Berliner Mauer reicht, erklärt Stefan Creuzberger: "Die Bundesrepublik wird dann wieder stärker zum Akteur nicht zuletzt in diesem deutsch-russischen, deutsch-sowjetischen Verhältnis aber auch über Bande mit den Vereinigten Staaten."

Deutschland in Vermittlerposition über den Kalten Krieg hinaus

Und diese Vermittlerposition habe Deutschland auch über das Ende des Kalten Krieges hinaus behalten. Selbst nach Russlands Annexion der Krim 2014 und dem Wiederaufleben imperialistischer Träume in Moskau habe die deutsche Politik weiter auf Verständigung gesetzt - aus Dankbarkeit für die deutsche Einheit und aus dem Gefühl heraus, eine historische Verantwortung zu tragen, meint Creuzberger.

Sein Buch ist vor der Invasion der Ukraine entstanden, wirkt oft trotzdem oder gerade deshalb an vielen Stellen geradezu prophetisch - der Krieg hat aber auch den Blick des Historikers auf sein Mammutwerk verändert. "Es hat sich wenn vielleicht dahingehend verändert, dass möglicherweise dieses deutsch-russische Jahrhundert, in diesem langen 20. Jahrhundert, das ich bearbeite, zu Ende gehen mag."

Aktuell bleibt Creuzbergers Buch trotzdem - denn es erklärt scharfsichtig und verständlich, warum Deutsche und Russen am Ende ihres Jahrhunderts vor einem Scherbenhaufen stehen.

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Das deutsch-russische Jahrhundert

von Stefan Creuzberger
Seitenzahl:
672 Seiten
Verlag:
Rowohlt Verlag
Veröffentlichungsdatum:
22. März 2022
Bestellnummer:
978-3-498-04703-0
Preis:
36 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 17.10.2022 | 04:51 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Zeitgeschichte

Sachbücher

Zweiter Weltkrieg