Ein Strand mit vielen Besuchern, Strandkörben und Sonnenschirmen © mauritius images / Volker Preusser /

"Am Rande der Glückseligkeit": Die Entdeckung des Strands

Stand: 19.05.2022 00:00 Uhr

Wie ambivalent der Strand sein kann, davon erzählt das Buch "Am Rande der Glückseligkeit. Über den Strand" der Leipziger Autorin Bettina Baltschev, das jetzt für den deutschen Sachbuchpreis nominiert ist.

Ein leichtes Sommerbuch hatte Bettina Baltschev eigentlich vor Augen. Sie zog los, das, was die Menschen an den Strand treibt, zu finden. Doch schnell stellte sie fest: Auch hier können wir der Realität der Welt nicht entfliehen - selbst wenn er für die meisten von uns ein Sehnsuchtsort ist. "Es klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber das Wort Freiheit trifft es schon ganz gut", sagt Bettina Baltschev. "Man kommt in eine Landschaft, wo der Blick völlig unverstellt ist. Der Horizont ist da und ich habe immer das Gefühl, dass sich dann auch alles in einem selbst weitet."

Der schmale Streifen zwischen Meer und Land

Sie reist an acht europäische Strände: vom niederländischen Scheveningen über das belgische Ostende bis nach Hiddensee und auf die griechische Insel Lesbos. Die Autorin widmet sich dem schmalen Streifen zwischen Meer und Land - und dem Leben, das dort stattfindet und -fand. Sie ergründet anhand von Künstlern, Gesellschaftstheoretikerinnen und Literatinnen die Geschichte des Strandes.

"Mir ging es vor allem um die kulturelle Eroberung des Strandes durch den modernen Mensch", erzählt Baltschev. "Es kommt wahrscheinlich auch nicht von ungefähr, dass im 17./ 18. Jahrhundert die Maler ans Meer kamen, um das Strandidyll zu malen. Später kamen die Philosophen und die Schriftsteller ans Meer und im 20. Jahrhundert waren es die Soziologen, weil so viele Menschen am Strand lagen, dass man nicht den einzelnen Menschen betrachtet hat, sondern die Gruppen."

Die künstlerische und therapeutische Eroberung des Strandes

Bettina Baltschev erzählt, wie lange es braucht, bis die Furcht vor dem labilen Grund verschwindet. In den Niederlanden erobern zunächst der Adel und die höheren Schichten den sandigen Streifen am Meer. Er wird künstlerisches Motiv von van Gogh und van de Velde - der Ort, der vorher vor allem den Fischern gehörte. Es muss erst durchsickern, dass das Meerwasser und die frische Luft gut für Körper und Geist sind. Nicht nur im englischen Brighton mündet das in eine ausgedehnte Tradition des therapeutischen Badens. Doch der Strand hat auch schwierige Seiten.

"Je mehr ich mich damit beschäftigt habe und je mehr ich in die Geschichte des Strandlebens eingetaucht bin, umso mehr musste ich feststellen, dass uns das Grauen auch am Strand immer wieder einholt und dass es dadurch eine Zwischenwelt wird. Es ist nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes ein Streifen zwischen Land und Meer, sondern auch im übertragenen Sinne ein Ort zwischen Glückseligkeit und Grauen", sagt die Autorin.

Der Strand: Ein Ort des Nichterlebens und der Massenkultur

An der Costa Blanca kann beides nah beieinander liegen: Paradies und Hölle. Im Buch vermischen sich Romanszenen mit eigenen Strandbesuchen der Autorin, die dann über den Strand nachdenkt: als Ort der Massenkultur, als "Königreich der Nichterlebnisse", wo man nichts macht und es darum geht, dass nichts passiert, oder als Werkstatt des europäischen Kapitalismus, wo der schuftende Arbeiter wieder einsatzfähig gemacht werde. So zitiert sie Literaten und Soziologinnen - und wird versöhnlich, obwohl der Strand weit mehr als ein romantischer Sehnsuchtsort ist.

"Natürlich kann man den Massentourismus verurteilen", sagt Bettina Baltschev. "Natürlich kann man sagen: Ich will wie eine Robbe im Sand Mensch an Mensch dort liegen - und das ist einem zu viel. Aber man könnte es auch von einer anderen Seite betrachten. Das ist auch ein sehr friedlicher Ort, an dem sehr viele Menschen auf engem Raum zusammen liegen und die Seele baumeln lassen."

Angst und humanitäre Katastrophen

Doch wie sehr der Mensch den Strand auch glaubt, gezähmt zu haben: Er kann auch Angst machen - ausgelöst durch Sturmfluten oder Kriege, wie der amerikanische Fotograf Robert Capa im Juni 1944 am D-Day am Strand in der Normandie festhielt und während der Landung der Alliierten Fotos schoss, die um die Welt gingen.

Auf Lesbos ist der Strand Schauplatz humanitärer Katastrophen, wo der existenzielle Wunsch, lebend am Strand anzukommen, vorherrscht - und das Wort 'Sehnsuchtsort' zynisch wirkt. "Wenn man diese Geschichten über den Krieg, über die Geflüchteten, über den Massentourismus, über Hiddensee als politische Grenze einmal gelesen und gehört hat, geht man anders über den Strand. Dann sitzt man auch anders am Strand", sagt Baltschev. "Das geballte Leben, wenn man so will, dass wir in den Zentren Europas führen mit all seinen Verwerfungen, mit seinen Konflikten, davon bleibt der Strand nicht verschont."

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Am Rande der Glückseligkeit. Über den Strand

von Bettina Baltschev
Seitenzahl:
280 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Berenberg Verlag
Veröffentlichungsdatum:
Frühjahr 2021
Bestellnummer:
978-3-946334-85-9
Preis:
25 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 16.05.2022 | 22:45 Uhr

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Sachbücher