Ein Mann mit grauen Haaren, die zu einem Zopf im Nacken gebunden sind, schaut freundlich zur Seite. Er trägt einen drei-Tage Bart und hat eine olivgrüne Jacke an, darunter ein schwarzes T-Shirt. © picture alliance / Hans Leitner / First Look / picturedesk.com Foto: Hans Leitner

Wolf Haas: "Die Angst vor dem Unkorrekten beflügelt mich."

Stand: 20.06.2022 12:44 Uhr

Der Wiener Autor Wolf Haas spricht über seinen Ich-Erzähler in den "Brenner"-Romanen, von denen etliche verfilmt wurden und über Sprachwahnsinn. Er sagt: "Ich langweile mich schnell mit Büchern."

Wolf Haas wird gerne mal als Sprachwahnsinniger bezeichnet oder aber auch als promovierter Linguist. 1996 veröffentlichte er mit "Auferstehung der Toten" den ersten der mittlerweile neun Brenner-Krimis, die allesamt in mehrere Sprachen übersetzt und von denen etliche verfilmt wurden.

Seine Bücher sind bei den Leserinnen und Lesern nicht zuletzt wegen ihrer Mischung aus Spannung und Witz beliebt. Mit Titeln wie "Das Wetter vor 15 Jahren" beweist der Autor außerdem, dass er nicht nur ein Genre bedienen kann. 

Krimi-Autor Wolf Haas: "Einen ausufernden Satzbau mag ich nicht."

"Heute zu Gast also ein Sprachwahnsinniger", so hat ihn zumindest neulich ein Kollege von der "Welt" bezeichnet. Wolf Haas ist genau der Mann, der seit mehr als 25 Jahren seine Romanfigur Simon Brenner, abgehalfterter Kriminalbeamter, Privatier und Tunichtgut ins Feld schickt, immer wenn "wieder was passiert ist". Mittlerweile ist neun Mal etwas passiert. "Sprachwahnsinniger" ist nicht besonders schmeichelhaft. Würden Sie das teilen? Oder sind Sie eher der promovierte Linguist?

Wolf Haas: Ich habe ganz oft am Anfang, zu meinem ersten und zweiten Buch, diese Anmerkung gelesen: 'Wolf Haas ist promovierter Linguist'. Es musste immer gerechtfertigt werden, dass ich so viele Grammatikfehler in meinen Büchern stehen habe. Diese Angst vor dem Unkorrekten, das mich aber gerade reizt, dieser Verstoß gegen die Hürde, beflügelt mich.

Wenn das jemand als sprachwahnsinnig bezeichnet, freut mich das eher. Ich habe das eigentlich aus der Umgangssprache geklaut, das ist auch nicht unbedingt typisch österreichisch. Ich habe das schon überall gehört, dass die Leute so im Alltäglichen dahinreden, so Sätze bilden wie: "Ich nichts wie hinaus". Also man sagt nicht immer umständlich Sätze mit Subjekt und Prädikat. Das erzeugt eben so einen beflügelten Duktus, den ich interessant finde. Weil ich bin auch jemand, der sich eigentlich schwer tut mit dem Lesen. Ich langweile mich schnell mit Büchern. Einen ausufernden Satzbau mag ich nicht so. Mir ist lieber, ich werde ein bisschen dahingeschubst.

Ein Mann mit grauen Haaren, die zu einem Zopf im Nacken gebunden sind, schaut freundlich zur Seite. Er trägt einen drei-Tage Bart und hat eine olivgrüne Jacke an, darunter ein schwarzes T-Shirt. © picture alliance / Hans Leitner / First Look / picturedesk.com Foto: Hans Leitner
AUDIO: Krimiautor Wolf Haas über seine "Brenner"-Romane (54 Min)

Der Ich-Erzähler sind ja nicht wirklich Sie. Er ist nämlich manchmal ein ziemlich penetranter Plapperer, der da um die Ecke kommt und auch sehr schnodderig mit mir umgeht, mich auch manchmal zurecht weist - nicht immer ein grundsympathischer Mensch. Jetzt ist schon immer viel darüber spekuliert worden, wer ist denn eigentlich dieser Erzähler, der völlig anonym ist, aber alles weiß? Jetzt gebe ich Ihnen die Chance, hier im deutschen Radio einmal zu sagen, wer ist dieser Mensch?

Haas: Für mich ist er eigentlich die Hauptfigur meiner Romane. Der Brenner ist da vielleicht die zweite Hauptfigur. Und jeder von den beiden Typen ist mir nicht unbedingt sympathisch, aber als Gespann ergeben sie so eine Mischung, die dann erst lebendig wird. Der Eine ist ein überambitionierter Besserwisser und der Andere so ein wortkarger bis maulfauler Nichts-Sprecher.

Das sind beides Arten von Menschen, mit denen man im Alltag eigentlich nicht besonders viel Spaß hat. Aber indem sich der Erzähler so begeistert auf den Brenner bezieht, entsteht einfach diese typische Stimmung. Ich glaube, das ist so eine Art kollektive Stimme, wie ich sie kennengelernt habe, als ich klein war. Ungefähr so, wie wenn die Tanten und Onkel auf einen einreden, wenn man die Sprache noch nicht richtig kann und man halb erahnt, was er meinen könnte und halb versteht.

Als Sie den ersten Brenner geschrieben haben, da war noch nichts von Ihnen veröffentlicht, Sie waren noch völlig unbekannt. Heute sind Sie ein absoluter Bestseller-Autor. Können Sie sich in Wien überhaupt noch auf die Straße trauen? Oder werden Sie sofort erkannt und angesprochen?

Haas: Naja, ich bin eigentlich in einer angenehmen Lage. Ich war ganz am Anfang nur in Österreich bekannt, und dann habe ich mich so langsam nach Bayern vorgearbeitet. Mit jedem Buch habe ich mich ein paar Kilometer Richtung Norden bewegt. Inzwischen kommen auch in Hamburg und weiter oben Leute zu meinen Veranstaltungen. Also ich muss sagen, es ist so, wie ich es mir gewünscht habe. Trotzdem ertappe ich mich manchmal bei dem Wunsch, ich wäre gerne wieder ein unbekannter Schriftsteller, weil dann könnte ich noch einmal davon träumen, dass ich vielleicht einmal bekannt werde.

Das Gespräch führte Jürgen Deppe.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 20.06.2022 | 13:00 Uhr

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