Josef Haslinger © Herbert Neubauer / APA / picturedesk.com Foto: Herbert Neubauer

Schadensbegrenzung beim PEN: "Es ist ein Neustart fällig"

Stand: 18.05.2022 10:30 Uhr

Deniz Yücel hat als Präsident des Deutschen PEN-Zentrums hingeschmissen. Bis zur Neuwahl der Führungsriege in einigen Monaten soll Josef Haslinger die Schriftstellervereinigung führen. Ein Gespräch.

Nach den tiefen Zerwürfnissen in der Schriftstellervereinigung PEN hat Interimspräsident Josef Haslinger die Aufgabe, wieder Vertrauen herzustellen. Der 66-Jährige war nach dem zornigen Abgang des Journalisten Deniz Yücel vorübergehend an die Spitze des deutschen PEN-Zentrums gewählt worden. Nach dem Rücktritt des gesamten Präsidiums setzte die PEN-Mitgliederversammlung in Gotha zugleich einen Not-Vorstand ein, der die Wahl einer neuen Führungsriege vorbereiten soll.

Interimspräsident Josef Haslinger über den Zustand des PEN

"Wir werden uns um Versöhnung bemühen", sagte Haslinger. Zugleich machte er deutlich, nur übergangsweise als PEN-Präsident zur Verfügung zu stehen. "Ich habe keine anderen Ambitionen", schloss Haslinger eine erneute Amtszeit aus. Er war bereits einmal von 2013 bis 2017 PEN-Präsident. Die Neuwahl des Präsidiums soll auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung spätestens im Herbst erfolgen. Bei NDR Kultur sprach Haslinger über den Zustand und die Perspektiven des PEN.

Herr Haslinger, haben sich die Wogen im PEN fürs Erste gelegt?

Josef Haslinger: Nein, so kann man das mit Sicherheit nicht sagen. Es war ja eigentlich erwartbar, dass nach einer so heftigen Eskalation bei der Mitgliederversammlung nicht am nächsten Tag völlige Ruhe einkehrt. Es gibt Mitglieder, die mit dem Gedanken spielen, auszutreten. Und es gibt andere, die mir Mails schreiben, mir zusprechen und hoffen, dass das Ganze wieder in Ordnung gebracht werden kann und der PEN wieder zu seiner alten beziehungsweise zu einer neuen Arbeitsintensität zurückfindet.

Schauen wir auf die, die austreten wollen oder das schon getan haben: Friedrich Christian Delius zum Beispiel, nach 50 Jahren. Was sagen Sie dem?

Haslinger: Ich bin gerade dabei, dieses Schreiben zu formulieren: "Ich bitte Sie, ein paar Monate zu warten und dann zu beurteilen, ob es nicht doch möglich ist, einen Neustart zu finden, an dem Sie sich mitbeteiligen."

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Deniz Yücel am Rednerpult bei der PEN-Mitgliederversammlung in Gotha. © Martin Schutt/dpa +++ dpa-Bildfunk Foto: Martin Schutt

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In der PEN-Geschichte hat es immer wieder Konflikte und Debatten gegeben. Wie schädlich ist so etwas - oder wie nützlich kann das auch sein?

Haslinger: Konflikte und Debatten sind vollkommen in Ordnung. Es war nur diesmal ein Punkt erreicht, an dem die Emotionalisierung so groß war, das man sachlich nicht mehr miteinander reden konnte. Das ist kein Zustand. Aber Konflikte und Debatten sind im Prinzip etwas Nützliches, weil sie dazu beitragen, den Reformprozess voranzubringen und neue Weichenstellungen zu machen. Die Dinge müssen immer infrage gestellt, neu diskutiert und neu ausgerichtet werden, je nach der Zeit, in der wir uns bewegen, nach den Konflikten, über die es zu reden gilt und nach der Situation, die sich geändert hat.

Einer der kritischen Punkte ist auch, dass gesagt wird, der PEN sei eine Riege alter, westdeutscher Herren. Ist diese Kritik berechtigt? Könnte die Vereinigung nicht längst jünger, weiblicher, diverser sein?

Haslinger: Ja, das ist richtig. Das ist ein etwas schwieriger Übergang. Ich habe schon 2017, im letzten Jahr als regulärer PEN-Präsident, diese Erneuerung versucht mit einzuleiten. Es wurden damals 80 neue Mitglieder aufgenommen. Man war etwas skeptisch und hat von einer "Massentaufe" gesprochen, die nicht jeder mittragen wollte. Es ist dann doch geschehen, aber es hat sich leider herausgestellt, dass die neuen Mitglieder nicht das Gefühl hatten, in die Arbeit des PEN wirklich eingebunden zu sein. Vielleicht haben sie auch von sich aus zu wenig unternommen. Aber dieses Gefühl, dass es hier eine Erbpacht gibt, wollte Deniz Yücel mit seinem Präsidium aus der Mitgliederversammlung wegbringen. "Mitgliederversammlung" ist vielleicht der falsche Ausdruck, weil bei der Mitgliederversammlung auffällig war, dass tatsächlich vor allem ältere Menschen anwesend waren, und die jungen waren zur Mitgliederversammlung großteils gar nicht gekommen. Da gibt es also schon Wahrnehmungsunterschiede, und vor allem muss ich mit meinem Interimspräsidium dafür sorgen, dass diese Offenheit der Beteiligung für alle Mitglieder wiederhergestellt wird.

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Deniz Yücel am Rednerpult © Martin Schutt/dpa +++ dpa-Bildfunk Foto: Martin Schutt

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Wie wollen Sie das konkret anstellen?

Haslinger: Wir bereiten eine neue, reguläre Mitgliederversammlung vor. Ich hoffe, dass ich viele Mitglieder davon überzeugen kann, dass sie sich als Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stellen, sei es für das neue Präsidium, für verschiedene andere Funktionen oder für die neue Präsidentschaft. Ein Austritt bringt niemandem etwas, vor allem wenn die Person, die austritt, auch noch zu den Zielen und Inhalten des PEN steht. Dann hätten wir in Wirklichkeit eine engagierte Person verloren, und das will ich auf jeden Fall verhindern. Wir suchen eigentlich dringend Menschen, die bereit sind, diese ehrenamtliche Tätigkeit auf sich zu nehmen. Diese Menschen gibt es, und denen muss auch das Gefühl vermittelt werden, dass sie eine Chance haben, in die Gremien zu kommen und beim PEN mitreden zu können.

Wie fühlt sich das für Sie unterm Strich gerade an: wie Aufbruchstimmung und Neuanfang oder erst mal doch noch nach Schadensbegrenzung?

Haslinger: Im Augenblick ist es für mich in erster Linie der Versuch einer Schadensbegrenzung. Wir haben im Interimspräsidium ein erstes Treffen in Darmstadt am 30. Mai, und da gilt es ganz konkret an die neuen Weichenstellungen zu denken, um einen Neustart vorzubereiten. Es ist einfach ein Neustart fällig. Wir müssen in der Lage sein, zu einem zivilisierten Gesprächsklima zurückzukehren, und Altlasten - welcher Art auch immer -, die bei der künftigen Arbeit hinderlich sein könnten, abzuschütteln und loszuwerden. Entsprechend versuche ich, auf alle Mitglieder zuzugehen, egal über wen sie sich geärgert haben oder nicht geärgert haben, und sie einzuladen, sich an der neuen Sache, die wir angehen wollen, zu beteiligen.

Das Interview führte Jan Wiedemann.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 17.05.2022 | 16:45 Uhr

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