Deniz Yücel am Rednerpult bei der PEN-Mitgliederversammlung in Gotha. © Martin Schutt/dpa +++ dpa-Bildfunk Foto: Martin Schutt

Was ist los beim PEN? Gregor Sander über Deniz Yücels Rücktritt

Stand: 15.05.2022 11:31 Uhr

PEN-Mitglied Gregor Sander erzählt, was bei Deniz Yücels PEN-Präsidentschaft und der Mitgliederversammlung in Gotha schief gelaufen ist - und warum er Yücels Rücktritt bedauert.

Es muss hoch hergegangen sein bei der Mitgliederversammlung der Schriftstellervereinigung PEN am Freitag in Gotha. Dort sollte über die Querelen der letzten Monate gesprochen werden. Im Zentrum der Kritik stand der Journalist Deniz Yücel, bis dato Präsident des PEN. Zwei Vorwürfe gegen ihn standen im Raum: So soll der Journalist gegen die Charta des Verbandes verstoßen zu haben, weil er sich öffentlich für eine Flugverbotszone über der Ukraine ausgesprochen hatte. Außerdem warf man ihm rüpelhaftes Benehmen vor.

Deniz Yücel: PEN ist "dominiert von Spießern und Wichtigtuern Ü70"

Am Freitagabend war dann klar: Deniz Yücel ist nicht mehr Präsident des PEN, obwohl ein Abwahlantrag gegen ihn knapp gescheitert war. Die Begründung lieferte Yücel selbst auf seinem Twitter-Kanal mit folgenden Worten: "Der PEN von heute hat nichts mit der Ahnengalerie zu tun und nur wenig mit der namhaften Mitgliederliste. Er wird dominiert von Spießern und Wichtigtuern Ü70, die ihre Mitgliedschaft als Ausweis der eigenen Zugehörigkeit zur publizistischen oder literarischen Elite brauchen", so der 48-Jährige. Als "Aushängeschild einer Bratwurstbude" stünde er nicht zur Verfügung.

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Der Autor Gregor Sander ist seit einem Jahr PEN-Mitglied. Gleich für seinen allerersten Roman "Abwesend" wurde er für den Deutschen Buchpreis nominiert. Sein neues Buch heißt "Lenin auf Schalke".

Herr Sander, es wirkt so, als sei der Freitagnachmittag etwas eskaliert in Gotha. Stimmt der Eindruck? 

Der Schriftsteller Gregor Sander.
Der Schriftsteller Gregor Sander ("Lenin auf Schalke") ist seit einem Jahr PEN-Miglied - und gehört dort mit 54 zu den Jungen.

Gregor Sander: Ja, wobei das schon in den Abend reinging, weil das alles ewig gedauert hat. Ich glaube, wir haben alleine drei Stunden gebraucht, um eine Tagungsleitung zu bestimmen und  eine Tagesordnung hinzukriegen. Das war wirklich alles extrem zäh und von vielen Buhrufen und Schimpfereien beider Seiten begleitet. Das war wirklich extrem unerfreulich.

Sie wirken auch etwas erschöpft.

Sander: Ich bin völlig durch. Es sind inzwischen alle Vorstandsmitglieder zurückgetreten. Also nicht nur Deniz Yücel, sondern auch die, die für ihn waren und die, die gegen ihn waren. Es gibt jetzt ein Notpräsidium um Josef Haslinger, der schon einmal Präsident war und den Posten jetzt übernommen hat mit einer kleinen Gruppe. Selbst Ursula Krechel, die Ehrenpräsidentin, hat ihre Ehrenpräsidentschaft ruhen lassen. Das sagt vielleicht schon einiges über die Situation aus.

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Deniz Yücel am Rednerpult © Martin Schutt/dpa +++ dpa-Bildfunk Foto: Martin Schutt

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Warum kam man am Freitag überhaupt nicht zusammen?

Sander: Das ist immer noch schwer zu durchschauen. Da gab es offensichtlich Probleme miteinander im Präsidium. Da gab es zwei Präsidiumsmitglieder auf der einen Seite und drei oder fünf auf der anderen, je nachdem, wie man das zählt. Es waren Veränderungen gewünscht, die die eine Seite wollte, die andere Seite aber nicht. Offensichtlich wurde auch schlecht miteinander kommuniziert.

Es gab einen beeindruckenden Moment, der gegen Deniz Yücel und seine Gruppe gesprochen hat: Festangestellte im Darmstädter Büro des Writers-in-Prison (ein PEN-Komitee, das sich für inhaftierte Autoren einsetzt, Anm. der Redaktion) haben sich sehr beschwert, wie mit ihnen umgegangen wird. Da hat man dann kurz gedacht: Da stimmen bestimmte Kommunikationswege oder auch -formen einfach nicht in dieser Präsidentschaft.  

Andererseits bedauere ich extrem, dass wir Deniz Yücel jetzt als Präsident verlieren. Er ist sicherlich ein schwieriger Mensch, aber eben auch einer, der für die Sache extrem interessant war und viele Sachen angeschoben hat. Nicht umsonst steht die Diskussion des PEN jetzt überall auf der ersten Seite. 

Was hat Yücel denn zum Beispiel angeschoben?

Sander: Ich fand etwa diese Diskussion um das Flugverbot in der Ukraine gar nicht so schlecht - dass man darüber einmal spricht. Ob der PEN jetzt dafür ist oder nicht, das finde ich gar nicht so entscheidend. Aber er hat den PEN wirklich aus einer Ecke in die Mitte gerückt. Durch seine Prominenz und seine Geschichte als Opfer eines Diktators konnten wir in einer Ebene politisch einsteigen, die anderen Präsidenten nicht möglich gewesen wäre. Ich weigere mich übrigens zu sagen, dass das eine Kindergartensituation war am Freitag. Denn im Kindergarten meiner beiden inzwischen großen Kinder habe ich so etwas noch nie erlebt wie beim PEN. Da wurde vernünftiger miteinander geredet. 

Ist es tatsächlich auch ein Generationsproblem, dass die Dinge so aus dem Ruder liefen? Deniz Yücel äußert sich ja in seinem Twitter-Beitrag dahingehend ziemlich deutlich und schreibt von "Spießern und Wichtigtuern Ü70".

Sander: Mir ist das alles zu krass, wie sich Deniz Yücel äußert. Aber er ist eben so, wie er ist und man muss ihn dann vielleicht auch einfach so nehmen, wie er ist. Ich würde das anders äußern, aber der PEN hat definitiv ein Generationsproblem. Ich bin mit meinen 54 Jahren einer der Jungen bei der Mitgliederversammlung gewesen - das sagt schon einiges aus. Wenn wir jüngere Autorinnen und Autoren gewinnen wollen, die vielleicht sogar unter 40 sind, dann muss sich etwas ändern. Der PEN ist zu alt, zu weiß und zu männlich.

Das Gespräch führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 14.05.2022 | 14:20 Uhr

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