Tipps für Eltern zum Vorlesen
Ein Drittel aller Eltern liest ihren Kindern zu selten oder sogar nie vor. Warum tun sich so viele Eltern offenbar schwer mit dem Vorlesen und wie kann es trotzdem klappen?
Das hat eine aktuelle Vorlesestudie ergeben - mal wieder, muss man sagen, denn diese Zahl hat sich seit 2013 kaum verändert, trotz massiver Kampagnen zur Leseförderung. Katharina Mahrenholtz aus der NDR Info Kulturredaktion, Sie haben sich viel mit Leseförderung beschäftigt - warum tun sich so viele Eltern offenbar schwer mit dem Vorlesen?

Katharina Mahrenholtz: Ich denke, es kann viele Hürden geben. Schwierig ist schon das Wort Vorlesen. Viele Eltern fühlen sich erst aufgefordert, wenn das Kind alt genug ist, um gedruckten Text zu verstehen - also drei oder vier Jahre. Vorlesen im Sinne der Leseförderung, die ja am Anfang vor allem ein Sprachförderung ist, fängt viel früher an. Sobald Kinder ganz einfache Bilder erkennen, drauf zeigen können. Wir alle kennen Pappbücher, Wimmelbücher, in denen es keinen Text gibt. Die sind nicht dafür gedacht, dass sich die Kinder allein damit befassen, sondern dass man darüber mit ihnen in einen - auch noch so einfachen - Dialog kommt: Wo ist die Kuh? Wie macht der Löwe? Kannst du die kleine Maus entdecken? Das ist erstes Vorlesen - auch wenn es eigentlich heißen müsste: "mit Büchern beschäftigen".
Wenn die Kinder dann älter sind und bereit für längere Texte, sind Eltern aber noch mehr gefordert. Es kann ja nicht jeder gut vorlesen …
Mahrenholtz: Das ist genau das, was viele Eltern befürchten. Aber: Es gibt kein Gut oder Schlecht hier. Natürlich kann nicht jeder Vater oder jede Mutter wie ein Hörbuchsprecher lesen - das muss auch gar nicht sein! Kinder lieben es, wenn man ihnen vorliest, egal wie perfekt man betont oder in verschiedene Rollen schlüpft. Da sind Kinder unkritisch - und im Resultat ist es egal. Hauptsache, man liest vor. Und: Je mehr man vorliest, desto geübter ist man ja und desto leichter fällt es.
Nun ist es ja gerade abends oft schwer, sich als Mutter oder Vater zu motivieren, nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag noch vorzulesen, oder?
Mahrenholtz: Absolut. Es kann durchaus passieren, dass man dabei müder wird als das Kind. Und was ich jetzt sage, könnte fast noch mehr abschrecken: Es ist nicht Sinn der Sache, 20 Minuten "Pippi Langstrumpf" abzuspulen, die Uhr im Blick, das Feierabendbier im Kopf und dann einen Haken dran zu machen. Nein, man sollte mit dem Kind über das Vorgelesene reden. Man sollte fragen: Was meinst du, wie es weitergeht? Oder: Weißt du noch, was gestern passiert ist (wenn es ein dickeres Buch ist)? Bei schwierigen Wörtern sollte man innehalten, fragen, ob das Kind dieses Wort kennt - wenn nicht, es erklären - und fragen, ob es ähnliche Situationen wie in dem Buch erlebt hat. Man sollte natürlich nicht die Lektüre dauernd unterbrechen, aber man sollte schon drüber reden.
Das klingt anstrengend ...
Mahrenholtz: Ja, aber: Ich garantiere, dass es erstens unglaublich viel bringt im Hinblick auf Sprachförderung, Textverständnis, Empathie, dass es zweitens eine richtig schöne halbe Stunde mit dem Kind am Ende des Tages werden kann und dass es auch den Eltern viel mehr Spaß macht als einfach einen Tagesordnungspunkt namens Vorlesen abzuarbeiten.
Das waren schon gute Tipps - gibt es noch mehr?
Mahrenholtz: Das Wichtigste ist natürlich, dass man ein Buch wählt, das den Eltern und dem Kind gut gefällt. Das wird natürlich einfacher, je älter das Kind ist. Am Anfang wird man in einer Schleife mit immer denselben Bilderbüchern gefangen sein, die man dann sehr bald auswendig kann, aber so ab fünf, sechs Jahren gibt es sehr gute Kinderbücher, die durchaus auch Eltern begeistern. Es gibt unter ndr.de/kinderbücher auch regelmäßig neue Empfehlungen von uns!
Das Interview führte Stefan Schlag, NDR Info
