Tellkamp-Lesung in Hamburg: Kritiklos und hanseatisch gediegen
Uwe Tellkamp hat in Hamburg seinen neuen Roman "Der Schlaf in den Uhren" vorgestellt. Der jüngst in die Kritik geratene Autor hatte aber im Literaturhaus nichts zu befürchten.
"Qualvoll" und "anstrengend" sei "Der Schlaf in den Uhren" von Uwe Tellkamp. "Eine intellektuelle und ästhetische Zumutung" war in den Kritiken zu lesen. "Der Schlaf in den Uhren". Gleichwohl hat das 900 Seiten starke Buch die Bestsellerliste erreicht und steht in dieser Woche auf Platz 13. "Machen Sie sich selbst ein Bild von Uwe Tellkamp und seinem neuen Roman“, hieß es in der Ankündigung des Hamburger Literaturhauses - der einzigen Lese-Station im Norden.
Keine kritische Frage bei Lesung im Hamburger Literaturhaus
Gediegen geht es zu - hanseatisch gediegen. Uwe Tellkamp hat nichts zu befürchten. Der Chef des Literaturhauses, Rainer Moritz, moderiert diesen Abend und rollt seinem Gast den roten Teppich aus, wie man es dort selten erlebt. Er stellt keine einzige kritische Frage, sondern bittet den Autor freundlich um Erklärungen zum Roman. Besser hätte es auch ein Pressesprecher nicht machen können.
Und das überwiegend gesetzte Publikum? Lauscht ergriffen, dankbar für alle Informationen, die Tellkamp präsentiert. Ein Gast stellt nach der Lesung fest: "Ich habe mein Bild vom Autor sehr gut komplettieren können und ihn wahrgenommen als einen sehr komplizierten Mann mit Beharrlichkeit und großem Tiefgang und einer großen Originalität."
Viel Bildung und Wissen bei Lektüre Voraussetzung
"Der Schlaf in den Uhren" ist ein anspruchsvoller Brocken. Ursprünglich sollte der Roman Archepelagus heißen, nach einem langen Gedicht von Friedrich Hölderlin, und damit auf den zentralen Schauplatz verweisen. Das hat der Suhrkamp Verlag seinem Autor ausgeredet. So sei es jetzt nur der Untertitel, erklärt Uwe Tellkamp: "Es handelt sich hier um ein Inselreich, einen Stadtstaat, einen fiktiven, namens Treva. Die Hamburger unter ihnen werden natürlich wissen, dass Treva ein alter Begriff für Hamburg ist. Und es gibt hier einen modernen Teil in diesem Stadtstaat und einen eher alten Teil. Und Archepelagus meint: das ist eine Inselwelt. Das heißt, das ist eine merkwürdige, eher märchenhafte Welt und deswegen Archepelagus als Titel."
Tellkamp setzt viel Bildung und Wissen bei seinen Leserinnen und Lesern voraus. Ohne die Mithilfe von Wikipedia bewältigt wohl niemand die 900 Seiten. Selbst mit Lexikon bleiben viele Rätsel ungelöst. Das Buch strotzt vor Anspielungen. Auch der Name des Ich-Erzählers Fabian Hoffmann ist mit Bedacht gewählt, erfährt das Publikum. Er erinnert an den romantischen Schriftsteller E.T.A. Hoffmann, der um 1800 gelebt hat, erklärt Tellkamp: "E.T.A. Hoffmann ist einer gewesen, den es interessiert hat, wie bringe ich Gespenster oder Fantastik in den Alltag herein. Und das passiert hier eben auch. Das ist viel weniger realistisch als es hin und wieder dargestellt worden ist. Auch der Bezug zur Bundesrepublik, wenngleich es ihn gibt, ist hier aber nur ein punktueller."
Über "Der Schlaf in den Uhren" muss weiter gesprochen werden
Der Roman erzählt keine lineare Geschichte, sondern besteht aus vielen Episoden, Szenen, Abschnitten und Erinnerungssegmenten. Der Ich-Erzähler Fabian Hoffmann schreibt an einer Chronik über das wiedervereinigte Deutschland von 1990 bis 2015. Er habe asymmetrisch davon erzählen wollen und die Ereignisse in einer labyrinthischen Bewegung umkreist, so Tellkamp.
Schwer zu sagen, ob es auch kritische Stimmen im Publikum gab. Etliche wollten sich nicht äußern. Hamburg ist das einzige Literaturhaus, das Uwe Tellkamp eingeladen hat. Besonders im Westen Deutschlands begegnet man dem Dresdner Autor mit Zurückhaltung, seitdem er in einem rechten Verlag, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird, einen Text publiziert hat. Über den ambitionierten Roman "Der Schlaf in den Uhren" muss gesprochen werden. Offen und ohne Vorbehalte, aber kritisch. Kritiklosigkeit ist auch eine Form von Ignoranz.