Schriftsteller und Theaterregisseur Tobias Ginsburg © Jean Marc Turmes Foto: Jean Marc Turmes

Woher kommt der Frauenhass? Tobias Ginsburg undercover

Stand: 15.07.2022 18:56 Uhr

Rechtsextremismus, Antifeminismus und Frauenhass sind seine Themen: Der Hamburger Regisseur und Autor Tobias Ginsburg hat für sein Buch "Die letzten Männer des Westens" undercover recherchiert.

Tobias Ginsburg ist 1986 in Hamburg geboren und recherchiert seit vielen Jahren undercover. Für sein Buch "Die letzten Männer des Westens - Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats" hat er rechtsradikale Burschenschafter und faschistische Rapper getroffen, ließ sich zum "wahren Mann-Sein" anleiten und begleitete muskelbepackte Neonazis bei der Rekrutierung junger Männer. Und schließlich stieß er auf ein international agierendes Netzwerk antifeministischer Fundamentalisten. Er möchte verstehen, warum so viele Männer Frauen hassen, wie etwa die Subkultur der Incels. Über seine Recherchen sprach Ginsburg bei DAS! auf dem Roten Sofa.

In dem Moment, wo du arbeitest, recherchierst und undercover bist, musst du wirklich auf der Hut sein. Du hast dafür Sprachen gelernt, unter anderem "Rechtsextrem", also nicht Italienisch, Französisch, Spanisch. Was heißt das?

Tobias Ginsburg: Seit 13 Jahren klettere ich mehr oder weniger in den menschlichen Abgründen herum. Ich will begreifen, was die Leute in den Hass hineinreißt. Und deswegen war ich schon wahnsinnig viel unterwegs, bei Antidemokraten und Antisemiten, Neonazis. Ich habe in einer Sekte gelebt. Ich war bei Islamisten. Ich war bei Reichsbürgern. Herauszufinden, was die Menschen da hineinreißt, ist etwas, was unglaublich wichtig ist. Wir neigen dazu, immer eine Gefahr aufzubauen. Da sind die Unanständigen, die Fiesen und hier sind wir, die Anständigen, die Guten und dazwischen ist so eine feine Linie, ein Grenze.

Aber um "die anderen" zu verstehen, musst du tatsächlich deren Sprache sprechen.

Ginsburg: Das passiert dann irgendwann tatsächlich. Ich muss mich nicht großartig verkleiden. Grundsätzlich muss man hingehen und gut zuhören und verstehen: Was ist denn der Reiz an dem Hass oder an dem Wahnsinn oder an der Wut? Dazu muss ich auch die Sprache übernehmen. Dahinter ist eine Logik. Dahinter ist eine Ideologie, die in sich geschlossen ist.

Viele kennen den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff. Er hat bei der Bild-Zeitung recherchiert, war bei Unternehmen und in Pflegeheimen. Inwieweit ist das, was du machst, ähnlich?

Ginsburg: Als Wallraff undercover war, war er viel bei Menschen, die keine Stimme hatten, bei Gastarbeitern, Leuten, die am Atomkraftwerk schuften mussten, Menschen, die verbrannt wurden. Bei mir ist die Perspektive vielleicht ein wenig extremer. Was mich gereizt hat, waren immer Menschen, die ich nicht verstehe. Man denkt, die müssten böse sein oder dumm, was meist nicht der Realität entspricht. Also die Feinde von Pluralismus, von Demokratie, Leute, die wir als Menschenfeinde wahrnehmen. Zu verstehen, wie man dahin gelangt, was einen da hineinreißt, das ist das, was mich fasziniert hat.

Du hast in "frauenfeindlichen Parallelgesellschaften" recherchiert und dich da reingewagt. Was heißt das?

Ginsburg: Das Interessante ist, dass es bei den Menschen, mit denen ich mich schon so lange beschäftige - Faschisten, Antidemokraten und so weiter - ein paar Sachen gibt, die immer da waren. Und dazu gehörte immer der Hass gegen den Feminismus. Ein Hass gegen Frauen, die einem die Privilegien rauben wollen und auch krude Vorstellungen, denen ich immer wieder begegnet bin. Die Vorstellung, die echte Männlichkeit soll abgeschafft werden, die traditionelle Familie stünde unter Beschuss. Das kennen wir auch von all den Nazi-Mördern der letzten Jahren. Alle sagen sie, der Feminismus macht uns kaputt und wahre Männer gibt es nicht mehr.

Lesungen mit Tobias Ginsburg im Norden

29. Juli: Kiel, Die Pumpe, 10 Uhr
14. September: Osnabrück, Lagerhalle, 20 Uhr
15. September: Leer, Zollhaus, 20 Uhr
16. Sepbemer: Bremen,Kulturzentrum Lagerhaus, 20 Uhr
29. September: Hannover, Kulturzentrum Faust, 20 Uhr

Und dann passiert etwas Gruseliges. In den letzten zehn Jahren, wo die extreme Rechte weltweit erstarkt ist, habe ich diese Dinge wieder gehört, aber nicht mehr von irgendwelchen kuriosen "Faschos" am Rand der Gesellschaft. Plötzlich hörte ich das von Politikern im Parlament. Plötzlich erklärte Donald Trump, der US-amerikanische Präsident, dass die traditionelle Familie abgeschafft wird, dass es wahre Männlichkeit nicht mehr gibt. Plötzlich hörte man das vom brasilianischen Präsidenten, in Polen, in Russland. Für Putin ist das unglaublich zentral. Als Putin erklärte, er wird jetzt den großen autokratischen Machtmenschen raushängen lassen, verschärfte er nicht nur die Migrationsgesetze, sondern auch die Abtreibungsgesetze. Auch Gesetze gegen queere und schwule Menschen. Das war das, was mich getrieben hat für diese lange und schwierige und unheimliche Recherche. Warum richten sich die Angriffe gegen unsere Demokratie so oft und so erfolgreich zuerst gegen die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten?

Hast du darauf eine Antwort gefunden?

Ginsburg: Weil es funktioniert. Wenn man sich als Rechtsextremist in die Öffentlichkeit stellt und sagt: Ich mag keine Ausländer und Juden sind gefährlich, kommt das nicht so gut an. Wenn ich jetzt aber sage: Der Feminismus geht zu weit und wir müssen plötzlich Privilegien mit Frauen teilen - dann ist das ein Talking-Point, eine Idee, ein Satz, der total massenfähig ist. Die Vorstellung, mir werden meine Rechte als Mann weggenommen, ist massenkompatibel. Und dann haben Typen das Gefühl: Stimmt, der Feminismus, der geht zu weit. Ich muss jetzt gendern und es gibt eine Frauenquote. Was soll das denn? Und dann kann ich das noch weiten: Jetzt gibt es auch noch Schwulenrechte, die queeren Leute wollen auch ein Stück vom Kuchen. Es gibt Diversity, nicht-weiße Menschen werden lauter. Und plötzlich hast du das Gefühl, alles, was progressiv in der Gesellschaft ist, alles, was die Gesellschaft nach vorne bringen soll, ist ein Feind. [...] Plötzlich erscheint das Gegenangebot der Rechten als attraktiv. Wenn wir uns die Rechtsextremen angucken und rechtsextreme Strukturen, ist diese Vorstellung ganz zentral: Die Frauen wollen etwas wegnehmen, der Feminismus ist ein Feind, wahre Männlichkeit, Stärke, Härte, dieser politische Männlichkeitswahn - das ist nicht irgendwo am Rand.

Wo hast du diese Netzwerke gefunden und wie bist du da reingekommen?

Diese Netzwerke sind nun mal da, und sie sind auch offensichtlich. Da wird sich gar nicht so viel versteckt. [...] Dazu gehören Verlage und große Teile der AfD und Burschenschaften, Organisationen und Thinktanks. Um da hineinzukommen, mit den Leuten darüber zu sprechen, was sie eigentlich machen, was sie planen, was sie treibt und wie sie glauben, ihre Ideen in die Welt hinaustragen zu können, dafür muss ich eine ganze Weile bei ihnen bleiben und immer tiefer reinkommen. Ich muss zuhören. Und alles, was ich mache, ist: Ich bin ein Echo, ein Schatten. Ich höre es mir an und gebe das zurück. Ich lerne währenddessen. Alles, was die Leute sagen, nicke ich ab. Ich werde es wiederholen, ein bisschen paraphrasieren, also zurückgeben wie ein Echo. Egal, was du mir sagst, das finde ich auch. Die Abgründe, die sich auftun, sind extrem. Es geht, je nachdem, wo ich bin, von härtestem widerlichsten Rassismus, Antisemitismus, Hass auf die Demokratie bis zu Putschversuchen - die Vorstellung, wir müssen dieses Land, so wie es ist, zerstören. Ich bin dort, und ich nicke, und ich wiederhole die Sache. Und ich versuche zu verstehen, warum man das sagt. Wie fühlt sich das an? Wie ziehen Sie die Leute da hinein? Ich will sie wirklich als Menschen verstehen. Die eine Waffe, die ich habe, ist Empathie, Einfühlungsvermögen. Es geht darum zu verstehen: Was gibt es denen? Warum brauchen sie das? Warum ist das interessant? Warum fühlen die sich mächtig und souverän und stark mit solchen komischen Ideologien?

Tobias Ginsburg: "Die letzten Männer des Westens"

Verlag: Rowohlt Taschenbuch
336 Seiten
ISBN: 978-3-499-00353-0
16 Euro

Anfällig für Antifemismus und auch damit verbundene Verschwörungstheorien sind ja vor allem frustrierte Männer, habe ich gelernt, die das Gefühl haben, sie kommen nicht so richtig zum Zuge.

Ginsburg: Ich möchte nicht die Gefährlichkeit von diesen Bewegungen klein machen. Aber wenn man diese Menschen kennenlernt, hat es oft etwas sehr Widersprüchliches und auch unfreiwillig Komisches. Was einen wirklich fertig macht, ist das Mitleid. Es sind so traurige Geschichten. Wenn wirklich verlorene Jungs in eine Ideologie reinstolpern, in eine Welt, die sie auch gar nicht begreifen. Sie gehen da ja nicht rein und sagen: Guten Tag, ich würde gerne Nazi werden oder ich würde gerne Frauen hassen. Vielleicht sind sie frustriert, sie sind gekränkt. Sie werden abgeholt, und das ist ja das, was mich am meisten interessiert. Wer sind die Leute, die auf Menschenjagd gehen? Wie werden die eingefangen? Und da wird es richtig perfide.

Deine Recherchen zeigen ja, dass es unter der Oberfläche wirklich brodelt. Wie stark?

Tobias Ginsburg: Immens. Es ist kein Zufall, was wir da erleben. Dass das Erstarken von Antifeminismus als kleiner Treppenstufe hin zu rechtsradikaler Ideologie überall stattfindet. Hier und in Brasilien, in den USA und Russland. Diese Narrative sind alle nicht neu. Dass man das instrumentalisieren kann, ist so ein Backlash, also eine Gegenbewegung, die in den letzten zehn Jahren total im Zentrum stand. Da gibt es auch Gelder, die fließen. Steve Bannon, das war der Einflüsterer von Donald Trump, der hatte damals das zentrale Presseorgan der extremen Rechten in den USA, hat sich damit gebrüstet. Der hat gesagt: Diese gekränkten Typen, diese gekränkten, weißen, heterosexuellen Männer, die eine Wut im Bauch haben, die haben eine "Monster-Power", und die müssen sie anzapfen. Putin hat 2011 angefangen, sich international mit rechtsradikalen Parteien und Politikern zu treffen und rechtsradikale Organisationen mit sehr viel Geld zu unterstützen. Im Zentrum seiner Weltsicht stand plötzlich: Wahre Männlichkeit, Kampf gegen Feminismus, den degenerierten Westen zu bekämpfen mit seiner Trans- und Schwulen-Lobby. Das ist eben kein Zufall. Das ist das, was funktioniert.

Das Interview führte Inka Schneider.

Dieses Thema im Programm:

DAS! – täglich ein Interview | 14.07.2022 | 18:45 Uhr

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