Die Illustratorin und Kinderbuchautorin Kristina Andres sitzt am Schreibtisch. © NDR / Heike Mayer und Siv Stippekohl Foto: Heike Mayer und Siv Stippekohl

Kristina Andres zeichnet Tierwunschbilder für ukrainische Kinder

Stand: 13.04.2022 12:03 Uhr

"Mäusewinter, Bärenschnee" von Kristina Andres ist unter anderem im Krokusverlag aus Charkiw erschienen. Seit Kriegsbeginn unterstützt sie die Verlagsmitarbeiterinnen - und zeichnet Wunschtierbilder für ukrainische Kinder.

von Heike Mayer und Siv Stippekohl

Seit Beginn des Krieges hält Kristina Andres Kontakt zu drei Frauen des Krokusverlages in Charkiw. Die Künstlerin, Illustratorin und Kinderbuchautorin aus dem mecklenburgischen Dobbin bei Dobbertin macht öffentlich, was ihre ukrainischen Verlegerinnen durchleben. Sie zeichnet tröstende Tierwunschbilder und organisiert die Rettung ukrainischer Kinderliteratur vor dem Krieg.

"Bücher machen heißt, Geschichten miteinander zu teilen", schreibt die Künstlerin und Kinderbuchautorin Kristina Andres am 24. Februar 2022 auf Instagram. Dazu postet sie zwei Fotos des gleichen Covers ihres Bilderbuches "Mäusewinter, Bärenschnee", eines der österreichischen Edition Nilpferd, daneben die ukrainische Lizenzausgabe aus dem Krokusverlag in Charkiw. "Es ist mir stets wie ein kleines Wunder, wenn eines meiner Werke in einer fremden Sprache erscheint. Ein Geschenk. Ein Friedensgruß."

An diesem Tag beginnt die Geschichte von Kristina Andres und ihrer Unterstützung für drei Frauen des ukrainischen Krokusverlags. "An dem Tag war noch nicht abzusehen, wie schlimm das alles werden wird", sagt Andres. In den Nachrichten hört sie bereits an diesem ersten Kriegstag, dass Charkiw unter Beschuss steht.

Krieg statt Kinderbuchmesse

Sie schreibt an Nargis und Anna, will wissen, ob es ihnen gut geht. Die beiden Ukrainerinnen haben sich 2019 ihren Traum erfüllt und nach vielen Jahren der Tätigkeit in großen Verlagshäusern ihren eigenen unabhängigen Verlag für europäische und ukrainische Kinderliteratur gegründet. Im Krokusverlag arbeitete auch Irina. Zu allen drei Frauen hält Kristina seit Beginn des Krieges mehrmals täglich Kontakt. Eigentlich planten die drei Frauen für Ende März ihre erste Reise zur Internationalen Kinderbuchmesse in Bologna. Auch über einen weiteren Lizenzvertrag für ein Werk von Kristina Andres sollte in Italien verhandelt werden. Doch dann begann der Krieg. Kein einziger ukrainischer Verlag war in diesem Jahr in Bologna dabei.

Anna schickt in den ersten Tagen Fotos und bittet Kristina Andres, sie stellvertretend für sie zu veröffentlichen. Die zögert. Darf, soll sie diese Bilder zeigen? Sie überlegt keine zehn Minuten lang, und kommt der Bitte nach. Eines der Fotos zeigt ein zerschossenes Auto, das Freunden von Anna gehört. Viele der Fotografien aus Charkiw sind dunkel, die Hochhäuser haben keine Keller. Ein Foto zeigt die 12-jährige Tochter von Nargis schlafend in der Badewanne - zum Schutz im Falle eines Bombenangriffs. Dieses Foto veröffentlicht Kristina Andres nicht. Es bleibt privat. Später wird sie die Bilder des Krieges entfernen, damit keine Kinder sie dort sehen können.

Flucht aus Charkiw mit dem Zug

Die Verlegerin Nargis spricht nur ukrainisch und russisch. Kristina Andres kommuniziert daher auf Englisch mit ihrer Tochter Liljya, spricht mit ihr. Sie rät dazu, die Stadt zu verlassen. "Wir haben kein Auto, wir können nicht weg", erwidert das Kind. Doch einen Tag später schon drängt sich Nargis mit ihrer Tochter in einen Zug. Ein Foto von Lilya am Bahnhof schickt sie an Kristina Andres nach Mecklenburg in ihr ruhiges Atelier auf das Handy. "Es war ein Bild, wie wir sie alle kennen: viele, viele Menschen, eingepfercht, viele Koffer und ich habe gedacht: Oje!" 

Zeichnung eines Elefantenmädchens für Lilya

Sie schreibt Lilya, fragt, ob sie ein Lieblingstier habe und ob sie es ihr zeichnen solle. "Und sie schrieb zurück: Bitte zeichne mir einen Elefanten!" Kristina Andres zeichnet. Am Abend stellt sie das Bild eines Elefantenmädchens online, es trägt einen Rock, es fliegt, es sprüht mit seinem Rüssel einen Regenbogen. Es folgen viele Wünsche, die die Künstlerin den Kindern erfüllt. Sie zeichnet eine Eidechse für Timofej, einen Wolf für Nikita, einen Pinguin für Polina, eine Kuh für Lily.

"Ich zeichne diese Tiere, so lange wie es dauert"

Die Bilder versieht die Künstlerin mit einem kurzen Gruß: "Here is a cow for you. I hope you like it. Love and hugs, Kristina". Die Liebe und die Umarmung, das sei ihr wichtig, sagt Kristina Andres, "weil ich glaube dass das jetzt jedes Kind braucht". Für ihre Follower schreibt sie kurz einordnend, was sie über die Kinder, die sich eine Tierzeichnung wünschen, weiß. Lily beispielsweise ist 12 Jahre alt. Als sie zwei Jahre alt war, bekam sie eine kleine Plüschkuh. Die hat sie mitgenommen auf die Flucht, das war ihr das Wichtigste. Auf dem Bild von Kristina Andres schläft Lily friedlich lächelnd und angeschmiegt auf dem Rücken einer riesigen, dicken Kuh, die gelb-blaue Pantoffel trägt.

Ukrainische Flagge Teil aller Bilder

In allen Tierwunschbildern von Andres tauchen die Farben der ukrainischen Flagge dezent auf. "Das war mir von Anfang an wichtig, denn es geht einfach darum: Diese ukrainische Kultur, die soll ausgelöscht werden. Das ist so eindeutig. Das ist nur ein kleines Zeichen, aber ich möchte einfach, dass diese Kinder wissen, dass sie als ukrainische Kinder gemeint sind. Dass sie wissen, wer sie sind und wohin sie gehören", betont Andres.

Neben den Tierwunschbildern dokumentiert die Illustratorin und Autorin in kurzen, knappen Texten den Weg der drei Frauen des Krokusverlages aus Charkiw, "komme was da wolle. Ich weiß nie am Morgen, welche Nachricht ich auf meinem Handy finde und ich bin immer froh, wenn da steht: Wir sind okay."

"Jeden Morgen kommt eine Whatsapp-Nachricht von Irina aus der Nähe von Charkiv: Wir sind ok. Was nur heißt, niemand verletzt. Haus heil […] Als wir neulich schrieben, musste Irina unterbrechen, weil es eine Explosion gab. Keine Bombe, meldete sie Miunten später, unsere Abwehr hat etwas vom Himmel geholt. […] Mal ist es ruhig, mal raubt ihnen der Geschützlärm Schlaf und Nerven […] Anna hat das Auto erneut gepackt und gestern Morgen Barcelona verlassen. Ich bekomme wieder Kartenpins von unterwegs. […] Auch in den Karpaten wird es Frühling. Nargis schickt Fotos von Krokussen und von Lilya vor einem wilden Bachlauf. Die ersten Fotos von Lilya sah ich vor fast vier Wochen. Auf einem schlief sie zum Schutz vor den Bomben in der Badewanne, auf dem nächsten saß sie im Zug […]  Nun sehe ich ein Mädchen, das gefasst in die Kamera lächelt und viel weniger Kind ist als zuvor." tina Andres auf Instagram am 26. März 2022

Vorerst keine Rettung der Bücher vor den Bomben

Anna ist nach einem Umweg über Spanien zwischenzeitlich in Deutschland angekommen. Nargis ist mit ihrer Tochter Lilya in der Westukraine. Irina ist in einem kleinen Dorf in der Nähe von Charkiw geblieben, versorgt über Wochen unter schwierigsten Umständen andere Geflüchtete. Und sie will die Lagerbestände des Verlages aus der Stadt holen und die Bücher an sicherere Orte bringen. Das war der Plan, er ist vorerst aufgeschoben.

Am 8. April schreibt Kristina Andres in ihrer kleinen Chronik über die drei Frauen von Krocus: "Die Bücherrettung muss warten. Irina begleitet ihre Schwiegertochter und das kleine Enkelkind nach Transkarpatien, ans westliche Ende der Ukraine. Nach Butscha ist alles anders. Die beiden sollen in Sicherheit gebracht werden. 'Ich kehre danach gleich zurück', schreibt Irina, 'sie brauchen mich in der Flüchtlingshilfe'."

Hilfe für ukrainische Verlage und Kinder

Doch Kristina Andres hat längst die digitalen Druckdaten des Krocusverlages aus Charkiw gesichert. Für den Fall der Fälle. Und sie sucht nach Wegen, um den ukrainischen Verlegerinnen zu helfen. Unterstützung findet sie bei Markus Weber vom Moritz Verlag. Er liest seit Beginn ihrer Chronik über die Frauen vom Krocusverlag aus Charkiw in den sozialen Netzwerken mit und erdenkt das Hilfsprogramm "Adopt a Ukranian Book", für das er auf der Kinderbuchmesse in Bologna Ende März Unterstützer suchte.

Kristina Andres schickt ihm für das Projekt die Druckdaten eines Buches aus dem Krocusverlag, das ihr ausgesprochen gut gefällt. "Ein Glücksfall", so sagt sie, "wir kennen diese Bilder von den Müttern, die mit ihren Kindern zu uns kommen, und deshalb hoffe ich und wünsche ich, dass wir genau das richtige Buch gefunden haben, dass jetzt zu den ukrainischen Kindern kommen wird."

"Ganz allein meine Mama" erscheint im Mai

Der Moritz-Verlag aus Frankfurt am Main übernimmt die Schirmherrschaft über das Buch des ukrainischen Krocusverlages, das trotz der Papierknappheit Ende Mai in Deutschland erscheinen soll: "Najmoisha Mama" ("Ganz allein meine Mama") mit einem Text von Halyna Kyrpa und Bildern von Hrasia Oliyko wird in Deutschland auf ukrainisch in einer Auflage von rund 3.000 Exemplaren gedruckt. Die Druckorganisation und den Vertrieb übernimmt der Moritz Verlag, die Druckerei spendet den Druck.

Der Verkaufserlös soll dem Krokusverlag zu Gute kommen. Den Verlagen soll geholfen werden, aber auch den geflohenen Kindern: Ihnen soll hier in Deutschland so schnell wie möglich ukrainische Literatur zur Verfügung stehen. Kristina Andres ist außerdem mit dem Literaturhaus Rostock über ein digitales Leseformat im Gespräch, dass sich an ukrainische Kinder richtet und zugleich ukrainische Künstler unterstützen soll.

Notversteck in der Westukraine

In ihrem Notversteck in der Westukraine führt die Verlegerin Nargis die Verlagsarbeit des Krokusverlags weiter. An Kristina Andres in Dobin schreibt sie (und diese schreibt stellvertretend für sie), "die Zeit in der Sowjetunion habe ihnen Kindheit und Jugend genommen und nun nehme Russland ihren Kindern ihre Kindheit und wer weiß, was noch." Ob Kristina Andres ihre Chronologie des Charkiwer Krokusverlages oder ihre blau-gelben Tierbilder auf Bestellung je als Buch veröffentlichen wird? Darüber denkt sie nicht nach.

Am 10. April lädt die Illustratorin eine neue Zeichnung hoch. Mit zwei Einhörnern. Und einer Ente. Das Bild ist für Ewelina, 8 Jahre alt. "Sie malt sehr gern und möchte später Künstlerin werden. Ewelina ist mit ihrer Mama aus Kyiw nach Berlin geflohen." Kristina Andres hat einen Wunsch: Eines Tages möchte sie die Originale in einen Briefumschlag stecken und sie Ewelina und all den anderen Kindern schicken - an einen sicheren Ort, "der dann hoffentlich in der Ukraine liegt".

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Der Kunstkaten - Kultur aus MV | 15.04.2022 | 19:05 Uhr

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