Krimi-Buchtipps: Psychologische Raffinesse, Thrill und Drama
Einmal im Monat stellt NDR Kultur einen oder mehrere neue Krimis vor. Diesmal einen Thriller voller überraschender Wendungen, einen Krimi aus Berlin und ein neues Meisterwerk der britischsten Amerikanerin unter den Krimiautorinnen.
Große psychologische Raffinesse: "Was im Verborgenen ruht" von Elizabeth George
Elizabeth George ist ein Phänomen. Die US-Amerikanerin schreibt so britisch, als wäre sie im Buckingham Palast aufgewachsen. Sie recherchiert akribisch, ihre Bücher sind bibeldick und perfekt konstruiert.
"Was im Verborgenen ruht" ist Band 21 der Inspector-Lynley-Reihe und man kann den Roman gut auch ohne Vorkenntnisse der anderen Bände genießen. Elizabeth George nimmt sich in jedem ihrer Krimis eines brisanten Themas an. Diesmal geht es um Genitalverstümmelungen bei Frauen. Im Mittelpunkt steht die Londoner Polizistin Teo Bontempi, die ursprünglich aus Nigeria stammt. Nach einem Überfall in ihrer eigenen Wohnung stirbt sie an ihren schweren Verletzungen. Die Mordermittlungen führen Inspector Lynley und seine Partnerin Barbara Havers in die nigerianische Comunity Londons. Dort steht man den Ermittlern ablehnend gegenüber, niemand bricht sein Schweigen. Und bald zeigt sich, dass Teo mehr als ein Geheimnis gehütet hat.
"Was im Verborgenen ruht" ist ganz große Krimikunst auf knapp 800 Seiten. Keine davon ist zu viel.
Coole Privatermittlerin: "Warten. Leben. Sterben" von Inken Witt
Isa Winter ist Privatdetektivin in Berlin. Normalerweise observiert sie Menschen, um sie der Untreue und Lüge zu überführen. Ihr neuer Fall scheint da keine Ausnahme zu sein. Ihre Klientin Katharina vermutet, dass ihr Mann sie betrügt, und bittet Isa, ihn zu beschatten. Doch dann macht die Privatermittlerin einen folgenschweren Fehler: Als Katharinas Mann tatsächlich kurz davor ist fremdzugehen, missachtet Isa all ihre Regeln und mischt sich ein. Das führt zu einer Katastrophe.
Inken Witts Krimi ist nicht brutal oder gar blutrünstig, im Mittelpunkt stehen ein menschliches Drama und die Folgen einer Fehlentscheidung. Witt schreibt angenehm lässig und melancholisch. Besonders interessant aber sind ihre Figuren, die ein bisschen verloren in der Welt zu sein scheinen und sich jeden Tag aufs Neue entscheiden müssen, ob sie weiter durchhalten wollen. Ein zweiter Band wäre unbedingt wünschenswert.
Bislang bester Thriller 2022: "Kellergrab" von Paul Cleave
Dieser Thriller ist fast unerträglich spannend und hat so viele überraschende Wendungen, dass einem der Kopf schwirrt. Es geht um das Schriftstellerpaar Cameron und Lisa Murdoch, das zusammen Krimis schreibt. Eines Morgens ist ihr kleiner Sohn Zach verschwunden. Die ersten Spuren deuten darauf hin, dass er ausgerissen ist. Aber bald wird eine Entführung immer wahrscheinlicher. Und die Polizei hat die Murdochs im Verdacht, das Verbrechen für mehr Aufmerksamkeit in den Medien und bessere Buchverkaufszahlen inszeniert zu haben. Als die Wahrheit scheinbar ans Licht kommt, ist das der Anfang eines blutigen Rachefeldzugs.
"Kellergrab" von Paul Cleave beginnt in einem fast gemächlichen Tempo und wird von Seite zu Seite rasanter. Die Leserinnen und Leser werden in ein riesiges Gefühlschaos gestürzt. Und wenn ein Tipp erlaubt ist, dann lesen Sie den Prolog als letztes - er verrät einfach zu viel.
