Graphic Novels im Juni: Einmalige Künstlerbiografien
Es ist immer wieder schön, auf unbekannte Künstler der Zeitgeschichte zu stoßen. Wenn sich dabei herausstellt, dass diese gar nicht mal so unbedeutend sind, dann fällt die Freude noch größer aus.
"Pleĉnik" von Zoran Smiljanić und Blaž Vurnik
Jože Plečnik zählt zu den wichtigsten Architekten Sloweniens. 1872 in Ljubljana geboren, hat er im Laufe seiner Karriere das Erscheinungsbild seiner Geburtsstadt geprägt. Aber nicht nur von ihr. Auch seiner Studienstadt Wien hat er seinen Stempel aufgedrückt - ebenso wie Prag. Er hat Wohnhäuser, Firmengebäude, Denkmäler, Brücken und immer wieder Kirchen entworfen.
Zeichner Zoran Smiljanić und der Historiker Blaž Vurnik lassen das Leben Plečniks aus der Sicht des Architekten Revue passieren. In Schwarz-Weiß-Zeichnungen blättern wir chronologisch durch die Jahre. Wir erfahren von der Unsicherheit und dem fehlendem Selbstbewusstsein, die Plečnik fortwährend begleiten. Die unglaublich detailreichen Bilder bauen sich oft wie Gebäude zusammen. Raffiniert und ausdrucksstark verweben die Autoren Innen- und Außenwelt Plečniks und verknüpfen historische Begebenheiten mit den Reaktionen seiner Umwelt auf seine oft unverstandenen Visionen von Architektur. Das Buch präsentiert und erklärt nicht nur das umfassende Werk Plečniks, es bringt auch den Menschen näher - einfühlsam und humorvoll.
"Annemarie" von María Castrejón und Susanna Martín
Mit einem Schuss beginnt die Comic-Biografie über die Schweizer Autorin, Fotografin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach. Ein Schuss bei einer Elefantenjagd im Sommer 1941, abgegeben im Urwald in Belgisch-Kongo. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 33 Jahre - ein Jahr vor ihrem Tod - und ständig, wie sie schreibt, überreizt durch Übermüdung und Rauschmittel wie Morphium und Alkohol.
Annemarie - so auch der Titel der Graphic Novel - erzählt entlang ihrer Texte und Tagebucheinträge vom ruhelosen Leben der androgyn erscheinenden, jungen Frau, die sich früh von ihrem bigotten Elternhaus losreißt, um ihren Platz in der Welt zu finden und darüber zu berichten.
In weichen Aquarell-Tönen und zartem Strich beschreiben die spanischen Autorinnen María Castrejón und Susanna Martín die Reisen, die die weltoffene Schwarzenbach unternimmt und sich auslebt. Sie zeigen aber auch die inneren Abgründe, wie die Morphium-Sucht, brechen dabei immer wieder das übliche Comic-Muster der Panels auf und lösen sich, wie Schwarzenbach selbst, von gängigen Klischees, Mustern und Vorgaben. Dieser offene und grenzenlose Geist strömt wie ein pulsierender Rhythmus durch die Seiten.
Dem Schweizer Lenos Verlag ist mit dem Buch, seinem fein strukturierten Papier, den wunderbaren Zeichnungen und der Darstellung einer zerbrechlichen und zugleich willensstarken Persönlichkeit, die Annemarie Schwarzenbach war, ein Gesamtkunstwerk gelungen.
"Die 5 Leben der Hilma af Klint" von Philipp Deines
Wenn sich unbekannte Türen zu neuen Räumen öffnen, dann ist die Spannung und das Staunen nicht weit. So ergeht es einem, wenn man das Werk der schwedischen Malerin Hilma af Klint entdeckt. Und so ist es wohl auch Zeichner Philipp Deines ergangen, als er mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin und Klint-Biografin Julia Voss, auf die Arbeiten der Schwedin gestoßen ist.
Hilma ist 44 Jahre, als sie um 1900 als studierte Künstlerin entscheidet, anders zu malen. Abstrakt. In Formen. Im Farbrausch. Lange bevor die Namen Kandinsky, Klee und Mondrian damit in Verbindung gebracht werden. Unverstanden, aber selbstsicher bleibt sie sich treu.
"Die 5 Leben der Hilma af Klint", so der Titel der Comic-Biografie von Philipp Deines, spiegelt diese Haltung wider. Seine an den "Kleinen Prinzen" erinnernden Figuren bewegen sich in einem Farbrausch-Land. Verläufe gibt es keine. Die Kraft der Formen und Farben sind allgegenwärtig und oft überwältigend. Da bebt die Pop Art von Seite zu Seite und trägt das Leben der bis vor kurzem eher unbekannten Meisterin in die öffentliche Wahrnehmung - wo sie seit Jahrzehnten hingehört. Das Buch ist die erste Graphic Novel des Kunstbuchverlages Hatje Cantz. Ein starker und faszinierender Auftakt.