Frauenrechtlerin Zarifa Ghafari: Blick auf ein Leben in Afghanistan
In ihrem Buch "Zarifa Afghanistan", das Anfang September auf Deutsch erscheint, lässt uns Zarifa Ghafari in ihr Leben in Afghanistan blicken. Vor einem Jahr gelang der 1994 Geborenen die dramatische Flucht nach Deutschland.
August 2021: Die Welt wird Zeuge des verzweifelten Kampfes der Afghaninnen und Afghanen in Kabul, nach der Machtübernahme der Taliban ihr Land zu verlassen. Unter ihnen ist Zarifa Ghafari, eine der ersten Frauen Afghanistans, die Bürgermeisterin wurde. Ihre guten Kontakte kann sie nutzen, um eines der Flugzeuge zu erreichen, das sie und ihre Familie außer Landes bringt. Doch in letzter Sekunde fehlt der jüngere Bruder Roman.
"Was, wenn er gestolpert war und die Leute auf ihn traten? Was, wenn er von einem Taliban-Spion weggezogen worden war? In der Reihe grausamer Vorstellungen war das die schlimmste. Als ich ihn entdeckte, befand er sich nur zehn Meter vom Tor entfernt, aber zwischen größeren Körpern eingeklemmt. Niemand wollte ihm auch nur einen Zentimeter Platz machen. Ich schrie die Männer an, sie sollten aus dem Weg gehen, drängte mich zu ihm und ergriff seine Hand.
Zarifa Ghafari schmerzt Machtübernahme durch Taliban in Afghanistan
Es ist der unbedingte Wille, die Hürden des Lebens in Afghanistan zu überwinden und als Frau einen selbstbestimmten Weg zu gehen. Dazu ermuntern sie nicht zuletzt ihre Eltern. Der Vater räumt seiner Erstgeborenen Rechte wie einem Sohn ein, diskutiert übers Essen wie über Politik mit ihr. Die Mutter beginnt, für eine Hilfsorganisation zu arbeiten, die die Ausbildung von Hebammen überwacht.
Zarifa Ghafari erkämpft sich einen Studienplatz, baut eine NGO für Frauenrechte auf und startet einen Radiosender in der Provinz. Die Machtübernahme der Taliban vor einem Jahr schmerze sie bis heute, sagt sie im ARD-Podcast "Killed in Action - Der Fall von Kabul": "Ich bin immer noch im Schockzustand. Manchmal denke ich, die letzten 20 Jahre waren ein Traum - und jetzt befinden wir uns in einem Alptraum. Ich bin im Schock, weil wir das niemals erwartet hatten. Meine Generation, die Menschen in meinem Alter, wir haben hart dafür gekämpft und gearbeitet, unsere eigene Welt aufzubauen. Doch wir konnten das Erreichte nicht genießen. Das ist wirklich sehr schmerzhaft."
Neue Facetten einer fremden Welt
Zarifa Ghafari zeigt uns Facetten einer Welt, die wir aus den Medien nicht kennen. In geradliniger Sprache aus der Ich-Perspektive berichtet sie sowohl eindringlich, wie sie Anschläge überlebte als auch wie sie über die Tätigkeit in einer privaten Mädchenschule einen Weg zum Studium der Wirtschaftswissenschaften im Ausland findet. Männer hätten ihrem Land Jahrzehnte des Gemetzels beschert, doch man müsse nicht mit den Taliban verhandeln, um mit ihnen zu reden - und: Veränderung zu erreichen.
Wenn ich [..] Dorfbewohner [..] fragen kann, warum sie die Taliban unterstützen, dann ist das ein erster Schritt, um ihre Überzeugungen in Frage zu stellen und ihnen Optionen aufzuzeigen. Ich bin bereit, mit Menschen zu sprechen, die ich nicht mag oder denen ich misstraue und deren Ideen sich von meinen unterscheiden, solange das bedeutet, dass ich meine Arbeit fortsetzen kann. Es ist besser als der Ruf aus der Ferne. Ich habe die Zeit und die Geduld, diesen Kampf fortzusetzen, mit einzelnen Frauen zu sprechen, Ideen auszutauschen und neue Samen zu säen. Leseprobe aus dem Buch
