Fotos vom legendären Dreh: "Apocalypse Now. The Lost Photo Archive"
Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" zählt zu den berühmtesten Kinofilmen, die je gedreht wurden. In einem neuen Bildband versammelt Chas Gerretsen seine Fotos der Dreharbeiten auf den Philippinen.
Was sich in diesem Buch blätternd erschließt, ist derselbe Wahnsinn, wie er sich im Film entfaltet. Erster Eindruck: Das ist kein Vietnam-Kriegsfilm. Das ist der Vietnamkrieg! Wie Coppola selbst es gesagt hat: "My film is not about Vietnam - it is Vietnam!"
Coppola: "Nach und nach wurden wir wahnsinnig"
Regenschwaden, Flammen-Inferno, geduckte Silhouetten vor gleißenden Lichtblitzen, in der Luft schwankende Armeehubschrauber, Tarnhelme, Gewehre - und erst auf dem neunten Bild ein Blick auf die Dreharbeiten: Regisseur Coppola sitzt entspannt auf dem Patrouillenboot, das im Film den Nung Fluss hochfahren soll. Beleuchter, Kameramann und Tonmann stehen und hocken neben ihm, während er seinem aufmerksam zuhörenden Hauptdarsteller Martin Sheen eine Szene erläutert.
"Wir waren im Dschungel. Wir waren zu viele. Wir hatten Zugriff auf zu viel Geld, zu viel Ausrüstung - und nach und nach wurden wir wahnsinnig", hat Coppola später über die Dreharbeiten gesagt. Es stimmt, man sieht das in diesem Bildband. Was ist aus dem Film und was ist abseits des Sets geknipst? Schwer zu unterscheiden.
Hinter-den-Kulissen-Momente
Der kleine philippinische Junge, der mit schmutzigen Füßen und Knien neben scheintoten Komparsen auf einer Munitionskiste sitzt und Seifenblasen pustet; ihn dürfte Gerretsen wohl nebenbei entdeckt haben.
Regisseur Coppola, vollbärtig und dominant wie ein Gorilla-Leittier, mit den drei Playboy-Bunnies vor der Fotokamera: klar, Machtgehabe des Big Boss in einem ruhigen Moment.
Geradezu als Spiegelung dieses Moments: Coppola in zerschlissenem T-Shirt, mit einem Diktiergerät in der rechten Hand. Den Kopf hält er gesenkt, während er drei kleinen Philippino-Mädchen anscheinend mit dem Gerät etwas vorspielt; die knapp Fünfjährige ganz rechts quetscht und knetet vor lauter Konzentration mit dem Zeigefinger unbewusst ihre Stupsnase.
Erschreckend realistische Film-Stills
Das sind die wenigen Hinter-den-Kulissen-Momente dieses Buches. Die meisten Bilder sind erschreckend realistische Film-Stills, großartig fotografiert, wenngleich auch diese Arbeit irre Probleme mit sich brachte, wie sich Gerretsen erinnert: "Vietnam war weit bequemer für mich gewesen. Während des Vietnamkriegs konnte ich nachts oder bei Regen keine Bilder machen; also bin ich jeden Abend mit einem Versorgungshubschrauber ins Basislager zurückgekehrt."
Diesmal, am Filmset, gab es solchen Service nicht: "Vietnam war verrückt. Die Arbeit an 'Apocalypse now' war nur leicht weniger verrückt."
Marlon Brandos divenhaften Allüren
In knappen Textpassagen beschreibt Gerretsen, wie bescheiden und professionell Robert Duvall auftrat und die Rolle des Lieutenant Colonel Kilgore - "Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen! Es riecht - nach Sieg!" - perfekt ausfüllte. Marlon Brando dagegen ließ mit seinen divenhaften Allüren das gesamte Filmteam tagelang warten, wenn ihm gerade nicht nach Drehen war. Immerhin - er erlaubte Gerretsen ein paar wenige Bilder zu machen. Sein düsterer, kahlköpfiger Schädel - oder besser: das schweißtropfenübersäte, olivgrün eingeschmierte desillusionierte Antlitz von Colonel Kurtz - zählt zu den besten Motiven des Bildbands. Eines Bildbands, der wirklich einige neue Eindrücke von diesem wahnwitzigen, legendären Filmdreh liefern kann.
Manches an den Dreharbeiten war grauenhaft: Tropenstürme, ein Hauptdarsteller mit Herzinfarkt, Schimmelpilze auf Ausrüstung, Kleidung, und Körpern. Und doch bilanziert der Fotograf zum Schluss: "Es war eine der besten Erfahrungen meines Lebens." Manchmal schließt wohl das Eine das Andere nicht aus.
Apocalypse Now. The Lost Photo Archive
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Prestel
- Bestellnummer:
- 978-3-7913-8808-3
- Preis:
- 45 €
