Florian Knöppler: "Kronsnest" © Pendragon Verlag

Florian Knöppler: "Kronsnest"

Stand: 23.02.2021 10:07 Uhr

Die Elbmarsch in den 1920er- und 30er-Jahren ist die Kulisse in Florian Knöpplers Debüt. Genauer gesagt das Dorf "Kronsnest", Ortsteil von Neuendorf bei Elmshorn.

von Jürgen Deppe

Das ist auch namensgebend für den Roman, der über weite Strecken von Ereignislosigkeit geprägt ist - doch gerade dadurch so fesselt. Die Gegend ist weit und flach, sieht man einmal vom Elbdeich ab, der ein ganzes Stück entfernt das Hinterland vor dem großen Strom schützt. Näher vorbei fließt die Krückau, sie mündet in die Elbe.

Hier lebt man von der Landwirtschaft und von ein bisschen Fischfang. Es gibt eine Schmiede, ein Lebensmittelgeschäft, einen Gasthof. Alles nah bei der Kirche, dem Mittelpunkt des Dorfes.

Das Leben auf dem Land ist traditionell vorbestimmt

Wer hier aufwächst, wird wie der Vater Bauer, Schmied oder Wirt, wird wie die Mutter ebenfalls Mutter. Mehr Perspektive gibt es nicht. Selbst die schwindet Ende der 1920er-Jahre, als die Weltwirtschaft kollabiert und das Überleben für Kleinbauern wie die Thomählens ein einziger Kampf wird.

Hannes, 15, dazu auserkoren, den Hof einmal vom grausam gewalttätigen Vater zu übernehmen, weiß, dass die Weichen gestellt sind. Für ihn kommt nichts anderes in Frage. Auch wenn er mit seinem besten Freund, dem Nachbarsjungen Thies, andere Träume spinnt.

Immer wieder fing er von Amerika an, dachte Hannes. Wieso wollte Thies weg? Er hatte ihn noch nie gefragt, noch nie gewagt zu fragen, denn es war seit Jahren ausgemachte Sache, dass sie zusammen losziehen würden, sobald sie groß genug wären.
"Sag mal", hörte er sich plötzlich sagen, "warum eigentlich? Warum willst du weg?"
Thies sah ihn von der Seite an und zuckte mit den Schultern.
"Ich glaub ... na ja, irgendwann muss ich hier weg." "Wieso?"
Thies kniff die Augen zusammen. "Na ja, wenn man sich so umguckt: Die Großen teilen das Land unter sich auf und die Hilfsgelder auch. Da haben sie schon recht, die Leute vom Stahlhelm oder Werwolf. Dieser Parteienstaat, der macht nichts für uns kleine Bauern. Wir müssen buckeln im Matsch und haben am Ende nicht mal genug Geld für ein bisschen Medizin." Leseprobe

Ein Nährboden für den Nationalsozialismus

So sickert das Politische plötzlich ins Bäuerliche. Schleswig-Holstein wird zu einem ganz besonders fruchtbaren Nährboden für die aufkeimende braune Saat. Auch Hannes' bis dato bester Freund Thies schließt sich den Nationalsozialisten an, während sein anderer Kumpel Hobe mit den Kommunisten paktiert.

Hannes kann sich weder mit dem einem noch dem anderen anfreunden - zumal er, der Sohn eines Kleinbauern, sich ganz unstandesgemäß in die Tochter des Großbauern von Heesen verliebt, in Mara, dieses scheinbar so lebenslustige Mädchen ohne jeden Dünkel, aber voller Fantasie.

Mara wollte alles mal gefühlt, alles mal erlebt haben, wollte Pflanzen verstehen, mit Tieren reden, sich vorstellen, wie die Menschen fühlten, auch die unverständlichen. Warum sich mit einem winzigen Ausschnitt begnügen, wenn die Welt so groß war. Leseprobe

Einblick in eine andere Welt

Hannes ist fasziniert von Mara und der großbäuerlichen Welt der von Heesens, umso mehr, weil die Welt, in der er allmählich erwachsen wird, so überschaubar ist, der Alltag so gleichförmig. Der Hof, ein paar Kühe, ein paar Schafe, ein paar Schweine. Nur ein Pferd, obwohl er noch ein zweites bräuchte. Doch auch über von Heesens türmen sich dunkle Wolken: Der Vater wird Ziel von Nazi-Attacken, der Hof ist so gut wie bankrott, und Mara, der Sonnenschein, wird depressiv.

Wie war das alles möglich? An einem Tag stark, lebenshungrig, am anderen ein Häuflein Elend, das auf dem Bett lag und auf das Fußende starrte, auf den Spiegel, die hellblaue Wand. Keine klaren Gedanken mehr, nur ein Krampf im Bauch, alles egal, Hauptsache, es hörte endlich auf, am besten alles und für immer. Leseprobe

Unaufgeregte Beschreibungen

Die Sonne geht auf und sie geht unter. Auf den Sommer folgt der Herbst, der Winter und nach dem Frühling ein neuer Sommer. So ist das Leben getaktet. Es ist ein Werden und Vergehen. Das sehr unaufgeregt. Selbst wenn es um Liebe, Leid und Leben geht.

Florian Knöppler findet dafür Worte, findet eine Sprache, die wie ein langer, ruhiger Fluss durch die norddeutsche Ebene mäandert. Ja, es sterben Menschen. Ja, es zerbrechen Freundschaften, zerbrechen Lieben. Aber es geht weiter, immer weiter. Ein faszinierendes Sittengemälde des bäuerlichen Lebens im Schleswig-Holstein der Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg.

Kronsnest

von Florian Knöppler
Seitenzahl:
448 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Pendragon
Bestellnummer:
ISBN 978-3-86532-746-8
Preis:
24,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 24.02.2021 | 12:40 Uhr

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