Eine Frau mit kurzen blonden Haaren und roter Brille schaut leicht nach oben. © picture alliance/dpa Foto: Rolf Vennenbernd

"Die Heldin reist": Doris Dörrie über Krisen und Aufbrüche

Stand: 13.05.2022 08:49 Uhr

San Francisco, Japan, Marokko - Doris Dörrie erzählt in ihrem Buch "Die Heldin reist" von verschiedenen Reisen und davon, wie es ist, als Frau in der Welt unterwegs zu sein.

Doris Dörrie ist Regisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Sie kennt die große Palette der Hollywood-Filme, in denen sich männliche Protagonisten auf die Heldenreise begeben. Frauen sind für diese Rollenbesetzung nicht vorgesehen. Doris Dörrie, in Hannover geboren und heute in München lebend, ist selbst ständig auf Reisen. In ihrem neuen Buch widmet sie sich dieser selten besetzten Hauptrolle und sagt: "Die Heldin reist". Zu Gast bei NDR Kultur à la carte sprach sie darüber mit Moderatorin Andrea Schwyzer.

Sie sind ganz früh selbst aufgebrochen, sind gereist. Gibt es diese Momente, wo sie sagen: Doch da bin ich schon ein bisschen Heldin?

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Doris Dörrie: Diesen Heldenbegriff versuche ich ja auch in dem Buch auseinanderzunehmen. Ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber, denn Helden tauchen immer dann auf, wenn es Krieg gibt. Dann reden wir plötzlich von Helden. Das können wir gerade jetzt sehr gut überprüfen, dass wir durch den Krieg in der Ukraine Selenskyj oder Klitschko als Helden bezeichnen. Eigentlich sind Zeiten, in denen wir keine Helden brauchen, die schöneren, die friedlicheren Zeiten. Deshalb haben wir auch lange nicht von Helden geredet. Ich beziehe mich hier allerdings auf die Art, wie man Geschichten erzählt. Da gibt es diese Vorstellung von dem Protagonisten, also dem Mann, der der Held ist und der diese sogenannte Heldenreise unternimmt. Und die funktioniert immer gleich, dass der Held losziehen muss, von Zuhause weg, wo es ziemlich langweilig ist. Und dann kommt er in ein anderes fremdes Land und muss da Prüfungen überstehen. Er wird auch von vielen Dingen getestet, von Unbill und Ärger. Und dann begegnet er dem Drachen, muss den Drachen erlegen und kehrt siegreich nach Hause zurück. Das erkennt man in allen Actionfilmen, egal, was man schaut, ob es Batman oder Spiderman ist - überall funktioniert es so.

Ich habe mich gefragt: Was passiert denn, wenn die Frau loszieht? Ich glaube, dass Geschichten von Frauen nicht so singulär funktionieren, dass Frauen doch eher vernetzter im Kollektiv agieren, dass sie auch diese Rettungsfantasie der Welt nicht mitschleppen, sondern dass es um andere Dinge geht. Dieses auf das Podest gestellt zu werden, mit Lorbeer umkränzt zu werden, als alleiniger großer Held nach Hause zurückzukehren - das ist, glaube ich, eher eine männliche Art und Weise, sich in der Welt fortzubewegen. Das sind die Geschichten, die wir so über Männer erzählen. Ich habe das Gefühl, wir Frauen können anders erzählen und tun es auch.

Reisen Frauen denn besser in Gesellschaft? Sind sie gar nicht so dafür gemacht, allein zu reisen?

Moderatorin Andrea Schwyzer mit Doris Dörrie © NDR / Sabine Ruhe
Moderatorin Andrea Schwyzer (links) mit der Regisseurin und Schriftstellerin Doris Dörrie.

Doris Dörrie: Nein, sie müssen nicht unbedingt allein durch die Welt reisen oder immer zu zweit. Aber dann Beziehungen zu knüpfen, dann eben auch wirklich Begegnungen zu suchen und zu schauen, wie verbunden bin ich mit der Welt? Das ist vielleicht etwas, das mir sehr liegt und das auch ein weibliches Modell ist.

Da gibt es auch diese Geschichte, die Sie erzählen, von Frauen in Istanbul, die zu Ihnen sagen: "Warum gehen Sie alleine durch die Straßen? Retten Sie sich doch in eine Frauengemeinschaft! Wir versuchen gar nicht so oft, mit den Männern zusammen zu sein, sollen die doch machen, was die wollen." Was ist das für eine Sicht auf die Beziehung Mann-Frau? Ist es ein Selbstschutz? Ist es eine Gleichgültigkeit den Männern gegenüber? Oder ist es vielleicht sogar eine feministische Haltung?

Doris Dörrie: Das könnte man so sehen, denn sie ist auf jeden Fall nicht geprägt von dieser romantischen Vorstellung, die wir immer noch haben, dass man den einen Mann findet, die eine große Liebe findet und mit diesem Mann alles teilt. Und er auch alles an Erwartungen zu erfüllen hat. Es wird in anderen Gesellschaften sehr klar getrennt. Das kann auch harmonischer sein, oder auch weniger belastet, wenn nicht eine Person alles erfüllen muss.

Sie haben selbst auch Gewalt erlebt. Das lesen wir in Ihrem Buch "Die Heldin reist". Gewalt eines Mannes, die Sie ganz lange verdrängt haben. Es ist ja ein sehr persönliches Buch, da lernen wir wirklich auch Ihre Verletzlichkeit kennen. Was war der Grund dafür, dass Sie gesagt haben, so eine Geschichte muss ich jetzt einfach erzählen?

Doris Dörrie: Ich hatte das Gefühl, dass auch da die Ambivalenzen wichtig sind. Es nützt vielleicht auch anderen, jemanden zu sehen, der vielleicht in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird, als wäre sie besonders emanzipiert und stark. Es wird mir ja immer wieder gesagt, ich sei so stark. Aber das stimmt eben nur sehr, sehr bedingt. Das stimmt vielleicht an einem Drehort. Da habe ich Stärke. Aber in meinem Privatleben war ich das eben auch lange Zeit nicht. Da zu zeigen, dass ich selbst von mir gedacht habe, dass ich sehr befreit und emanzipiert bin und natürlich mein Leben selber definiere und mich dennoch einer gewalttätigen Beziehung ausgesetzt habe und die nicht beendet habe und nicht gesagt habe: So geht es auf gar keinen Fall weiter. Ich habe versucht, das auszuhalten, auszubalancieren, zu heilen, zu verändern. All diese Dinge, die halt viele, viele Frauen versuchen. Das fand ich dann vielleicht doch erzählenswert, um eben zu zeigen, dass das auch in mir sehr wohl vorhanden war.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 13.05.2022 | 13:00 Uhr

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