"Creep" - Roman von Philipp Winkler über die digitale Zukunft
Im Roman "Creep" beleuchtet Philipp Winkler das dunkle Herz der Hypermoderne: Zwei einsame Seelen - Fanni in Deutschland und Junya in Japan - erleben im Darknet das Leben anderer Menschen mit.
Mit "Hool" ist Philipp Winkler vor sechs Jahren ein Debüt gelungen, das viel Staub aufgewirbelt hat: Der Vollblut-Niedersachse berichtet darin aus dem Inneren der gewaltbereiten Hooligan-Szene von Hannover 96. Dafür erhielt er unter anderem den aspekte Literaturpreis für das beste Debüt des Jahres. Seinen zweiten Roman "Carnival", an dessen Drehbuchfassung er derzeit arbeitet, siedelte er im Schausteller-Milieu an. Am Montag erscheint sein dritter Roman "Creep".
"Creep" Philipp Winkler schreibt über Normabweichler
Es sind die schrägen Vögel, die Philipp Winkler interessieren, nicht gleich die Systemsprenger, aber mindestens die Normabweichler: "Ich sehe für mich als Autor und auch als Leser keinen Grund, jetzt den gefühlt 9.000. Berlin-Mitte-Roman über feiernde Akademikerkinder zu schreiben, die nichts mit sich anzufangen wissen." Ihn reizen "Extremsituationen und Menschen und Lebensentwürfe, die so ein bisschen von dem, was man als Norm versteht, abgehen."
In seinem neuen Roman sind das Fanni in Deutschland und Junya in Japan. Sie arbeitet in der Entwicklungsabteilung von BELL, einem Unternehmen, das Überwachungskameras für den Heimgebrauch anbietet - etwa zum Schutz vor Einbrechern. Und da ist Junya, der Junge in Tokio, der seit dem Tod seines Vaters sein Zimmer quasi nicht mehr verlassen hat und nur noch in einer digitalen Welt lebt. Beide - Fanni und Junya - nehmen am Leben eigentlich nur noch im Inter- oder Darknet teil.
Creeper - Menschen die (digital) in fremde Wohnungen einbrechen
Fanni und Junya sind das, was Winkler als Creep bezeichnet. "Leute, die in anderer Leute Haus oder Wohnung einbrechen, während die Anwohnerinnen und Anwohner zuhause sind, und sich durch die fremden vier Wände bewegen, nennt man Creeper. Der zweite Bezug bei Creep ist: Der, der sich verdächtig verhält und der jemand anderem nachsetzt, nachschleicht."
Doch während Fanni in Deutschland nur per Überwachungskamera in die Wohnung fremder Leute blickt und so - mal gelangweilt, mal sehnsuchtsvoll - das Leben der anderen lebt, macht Junya in Japan irgendwann ernst und rückt einer ganzen Reihe von Mitmenschen real zu Leibe. Blutrünstig, brutal.
Internet als verbindendes Element zwischen Kontinenten
Philipp Winkler erzählt parallel mal von ihr, mal von ihm. Wirklich miteinander zu tun hat das nichts. "Die Verbindung zwischen diesen Hauptfiguren ist wirklich einfach das Internet. Denn das Internet ist , ob es nun positiv oder negativ gesehen wird, das Kommunikationsmittel schlechthin und das verbindende Mittel für die Weltbevölkerung."
Man hätte es auch irgendwie hinkonstruieren können, so Winkler, dass die beiden sich dann in diesem Forum begegneten, auf das Fanni irgendwann stoße, oder man hätte irgendwelche anderen Verknüpfungen ziehen können. "Aber ich wollte es so basal halten, wie es geht. Einfach nur das Internet als das verbindende Element zwischen diesen Menschen, die sogar auf verschiedenen Kontinenten leben."
Phasenweise anstrendendes Digital-Deutsch
Das lässt ein bisschen ratlos zurück: Wozu dann über 340 Seiten lang diese phasenweise in sehr anstrengendem Digital-Deutsch erzählte Geschichte lesen?
Zumal in den Fanni-Teilen auch noch das konsequente Gendern den Lesefluss ziemlich erschwert, so Winkler. "Uns wird tagtäglich von multinationalen Unternehmen und vielen Technologieunternehmen eine Utopie vorgespielt. Da helfen wir auch alle fleißig mit über die sozialen Medien." Doch auch wenn die sozialen Medien für tolle Sachen, teilweise für wichtige Sachen genutzt werden könnten: Man müsse sich trotzdem vor Augen führen, dass "diese Apps und diese Plattformen alle von wirtschaftlichen Unternehmen kommen. Die haben nur ein Ziel und das ist eben, Geld zu machen", sagt Winkler.
Mag die Erkenntnis auch klar sein, der Roman bleibt da eher zögerlich bei seinen Figuren und deren unerfülltem Drang nach irgendeiner Art von Befriedigung - die zumindest Junya am Ende nicht mal im Äußersten findet.
Creep
- Seitenzahl:
- 352 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- dtv
- Label:
- Aufbau Verlag Berlin
- Bestellnummer:
- 978-3-8412-2775-1
- Preis:
- 22,00 (E-Book 14,99) €
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