Claudia Roth © picture alliance/dpa Foto: Michael Kappeler

Claudia Roth: Leipziger Buchmesse ist "unverzichtbarer Treffpunkt"

Stand: 16.03.2022 06:00 Uhr

Heute hätte die Leipziger Buchmesse starten sollen. Doch sie wurde Mitte Februar zum dritten Mal in Folge abgesagt. Die Empörung auf Seiten der Schriftsteller und Verlage war groß. Ein Gespräch mit Claudia Roth.

Die Wellen nach der Absage der Leipziger Buchmesse schlugen hoch. Schriftsteller, aber auch Verlage waren empört, fanden die Absage leichtfertig und fürchten um das Frühlingsevent der Buchbranche. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Kulturstaatsministerin Claudia Roth veröffentlichten nach der Absage eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie ein Zukunftsgespräch mit Vertretern der Verlagsbranche versprachen.

Wie steht es um die Zukunft der Leipziger Buchmesse und die von Ihnen avisierten Gespräche? Haben die schon stattgefunden?

Claudia Roth: In Kürze werden wir uns tatsächlich zusammensetzen, denn es geht um sehr viel. Die Leipziger Buchmesse gehört zu den allerwichtigsten Buchmessen in Europa. Sie bietet nationalen und internationalen Autorinnen und Autoren eine wichtige Bühne und sie trägt bei zum Erhalt und zur Steigerung der literarischen Vielfalt bei uns. Sie ist ein unverzichtbarer Treffpunkt der Buchverlagsbranche genauso wie für viele Lesebegeisterte. Und wenn ich sage unverzichtbar, dann ist es mir und Michael Kretschmer sehr ernst damit.

Ich habe es sehr bedauert. Ehrlich gesagt war ich auch ziemlich verärgert über die Absage der Leipziger Buchmesse. Ich hätte mir vorstellen können, dass man eine Corona-angepasste Messe sehr wohl durchführt, ähnlich wie wir in Berlin die Berlinale durchführen konnten. Es ist mir ein ganz großes Anliegen, dass die Messe in den kommenden Jahren wieder ihre Pforten öffnen kann. Und die Wellen haben hoch geschlagen - von Autor*innen, von Verlagen, von ganz vielen Menschen, die gesagt haben: "Warum gab es diese Absage?" Und: "Es ist das Ende." Es soll nicht das Ende sein. Ganz im Gegenteil: Wir wollen alles dazu beitragen, dass die Messe wieder ein ganz wichtiger Punkt wird, nicht nur in unserem Land.

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Nun sind Messen vor allem auch Orte für Geschäfte, durch die Digitalisierung werden die aber nicht mehr in Bars und auf der Couch von Buchmessen getätigt. Hat die bisherige Form der Buchmesse für Sie eine Perspektive?

Roth: Gerade die Leipziger Buchmesse ist eine Messe, die noch eine ganz andere Spezialität hat: das dezentrale Lesen in der Stadt. Überall wurde gelesen, gab es kleinere Veranstaltungen, war die Begegnung zwischen Autor*in und Leser*in ein ganz wichtiger Punkt. Und ich glaube, diese Kultur der Begegnung, diese Kultur des Lesens, diese Kultur der direkten Auseinandersetzung mit dem Künstler beziehungsweise der Künstlerin und dem Rezipienten - das ist Teil von Leipzig, neben dem Geschäft, neben dem Business. Das Geschäft gehört natürlich auch dazu, aber das haben wir wiederum auch in Berlin bei der Berlinale gezeigt. Das hat auch da im digitalen Raum funktioniert.

Es gibt in Leipzig an diesem Wochenende eine Pop-up-Messe. 60 unabhängige Verlage werden dort aktiv sein. Welche Initiativen für den Messestandort nehmen sie zusätzlich dazu wahr?

Roth: Ich finde es großartig, dass es die Pop-up-Messe gibt. Das ist sozusagen der "Punk", das ist die Reaktion: "Ey, wir lassen uns doch die Messe nicht wegnehmen. Ihr könnt sie absagen, aber wir sind da und wir bleiben da." Und ich glaube, die Pop-up-Messe hat auch den Anspruch, neue, junge Menschen zu erreichen und zu begeistern. Deswegen ist es unglaublich gut, dass sie im soziokulturellen Zentrum Werk2 im Leipziger Süden die literarischen Neuveröffentlichungen präsentieren. Und ehrlich gesagt: In einer Welt, die gerade so irrsinnig schwere Zeiten erlebt, in einer Zeit mit einem entgrenzten Krieg, mit Gewalt, mit der Corona-Pandemie, unter der immer noch viele Menschen zu leiden haben, in einer Zeit, in der die Klimakrise nicht Pause macht, nur weil andere große Herausforderungen vor uns stehen, ist es unglaublich wichtig, dass wir mit der Literatur etwas haben, das eingreift in diese Realität.

Was muss aus Ihrer Sicht für die Leipziger Buchmesse 2023 auch von den Verlagen und Messeverantwortlichen vorbereitet werden?

Roth: Es muss überlegt werden: Wie sieht ein Format aus, das auch in schwierigen Krisenzeiten möglich ist? Wir sollten jetzt nicht so tun und sagen, dass wir jetzt die Pandemie für beendet erklären, sondern fragen: Wie stellen wir uns darauf ein, dass es auch in möglichen Pandemiezeiten eine Buchmesse geben kann? Ich wünsche mir sehr, dass wir von den Akteurinnen und Akteuren, die verantwortlich sind für die Messe, eine klare Zusage bekommen, dass sie auf jeden Fall stattfinden wird.

Es ist ein sehr wichtiges Zeichen, dass nicht nur die Frankfurter Buchmesse ein Leuchtturm der Literatur ist, sondern auch Leipzig - weil die Absage auch politische Spekulationen hervorgebracht hat. Ein hohes Politikum war, wenn gesagt wurde: "Naja, eine Messe im Osten ist halt nicht so wichtig wie im Westen." Plötzlich gab es solche Debatten. Und die will ich um alles in der Welt vermeiden. Deswegen ist es wichtig, dass man die Leute jetzt an einen Tisch bringt und sagt: "So, liebe Leute, jetzt vergessen wir, was passiert ist. Ich glaube, man hätte die Messe durchführen können. Das ist aber Vergangenheit. Jetzt lasst uns uns konzentrieren: Wie bringen wir die Interessen der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure in einer sehr schwierigen Zeit zusammen und garantieren, dass Leipzig im Jahr 2023 wieder ein literarischer Schwerpunktstandort sein wird?"

Wann könnte dieses Gespräch stattfinden?

Roth: Ende des Monats.

Das Gespräch führte Lenore Lötsch.

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