Bildstark und herausfordernd: Graphic Novels im April
Wie kein anderes Medium kann der Comic Zeiträume raffen, sie verschieben, Dinge verformen, Menschen alles machen lassen, was die Fantasie so hergibt. Drei herausragende Bücher können all das.
"Welt ohne Ende" von Jean-Marc Jancovici und Christoph Blain
Jean-Marc Jancovici ist einer der bekanntesten französischen Experten für Energie- und Klimafragen. Christoph Blain ein begnadeter Zeichner voller Witz und Humor. Zusammen ist ihnen eines der besten Bücher zum Thema gelungen.
Während der Experte dem Comiczeichner Grundlagen und Zusammenhänge erklärt, bei denen viele von uns schon vom Zuhören leichtes Augenflimmern bekommen, schafft es Blain diese Infos in verständliche Bilder und Grafiken zu übersetzen. So verschlingt man voller Freude Seite um Seite. Man versteht endlich, wie sich der Energieverbrauch jedes Menschen zusammensetzt und dass energieeffizientere Maschinen keinen Vorteil bringen, wenn man plötzlich doppelt so viel davon hat. Wir erfahren auch, dass es eine überraschende Möglichkeit gibt, die Energiewende einzuleiten. "Welt ohne Ende" ist ein komplexes Sachbuch im Kleid einer unterhaltsamen Graphic Novel - wachrüttelnd und erhellend. Greta Thunberg wird sich über dieses Buch freuen - ihre Kritiker aber auch.
"Starkes Ding" von Lika Nüssli
Ein riesiges Heubündel mit Beinen läuft einen Berg hinauf. Das ist nicht nur das Titelbild von Lika Nüsslis Buch "Starkes Ding", es ist auch eine Metapher für Kraft und Durchhaltevermögen. Diese hatte ihr Vater, dessen Geschichte sie erzählt. Er wächst in Toggenburg in der Ostschweiz auf einem Bauernhof auf. Früh muss er schon mit anpacken. Mit zwölf Jahren, 1949, gibt ihn die Familie ab - für einen Franken pro Tag auf einen entfernten Bauernhof - als sogenanntes Verdingkind. Vier Jahre wird er dort bleiben.
Was sich zuerst wie eine Scribble-Arbeit mit Filzstift im Sechste-Klasse-Kunstunterricht anfühlt, entpuppt sich als sehr tiefgründiges Seelen-Porträt eines nahen Verwandten. Lika Nüssli lehnt sich an die Bauernmalerei der Ostschweiz an. Ihre Figuren sind teilweise überzeichnet, mit übergroßen Händen, Ohren, Nasen oder Beinen und Füßen - dennoch leben sie von einer Detailgenauigkeit, wie die Kurfürsten-Bergkette. Nüssli schafft es, dass man beim Lesen eine enge Beziehung zu diesem Jungen - ihrem Vater - und seinem Schicksal als Verdingkind aufbaut. Berührend und nachhallend.
"Schlachhof 5" von Kurt Vonnegut, Ryan North und Albert Monteys
"Schlachhof 5" ist Kurt Vonneguts bekanntester Roman und für manche ein Monument der Antikriegsliteratur. 1969 erschienen und bereits drei Jahre später verfilmt, liegt er nun erstmals als Graphic Novel vor. Umgesetzt haben ihn der Kanadier Ryan North und der Spanier Albert Monteys. Beide gehören zu den Besten der Comic-Szene.
Vonneguts vordergründige Kriegssatire um seine Hauptfigur Billy Pilgrim, der als Kriegsgefangener den Dresdner Feuersturm überlebt und später mit Hilfe Außerirdischer durch die Zeit reisen kann, wird zu einer imposanten Achterbahnfahrt. Es gibt Zeitsprünge im Minutentakt. Besonders im Comic sind diese Perspektivwechsel durch Farb-, und Stil-Änderungen leicht umzusetzen. Dabei ziehen die Macher sämtliche Register, und so wähnt man sich plötzlich in einem alten Marvel-Comicheft.
Nicht zu Unrecht war "Schlachthof 5" im vergangenen Jahr für den Comic-Oscar, den Eisner Award, nominiert. Diese Adaption ist über die Maßen gelungen, bildstark und im wahrsten Sinne: zeitlos.
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