Stand: 26.04.2019 16:00 Uhr

Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938

von Andrea Schwyzer

Wer prägte die Wiener Moderne aus künstlerischer Sicht? Egon Schiele? Natürlich. Oskar Kokoschka? Ja, auch. Gustav Klimt? Wie kein Zweiter! Doch was war mit den Frauen? Saßen die schwatzend und Kuchen essend in den Wiener Kaffeehäusern? Das war zumindest bis vor Kurzem die gängige Vorstellung. Dass diese so nicht mehr gelten kann, zeigt der Bildband "Stadt der Frauen" und korrigiert damit die Geschichtsschreibung.

Engagierte Bilder willensstarker Künstlerinnen

Wien um 1900 - ein Ort der Umbrüche und der Widersprüche: Das "Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch" hatte die Kleinfamilie mit dem Ehemann als gesetzlichem Vertreter und Ernährer als allein gültige Gesellschaftsform verordnet, obwohl sich dieses Ideal nur wenige leisten konnten. Frauen war politisches Engagement untersagt. Leseprobe

Dennoch waren sie umtriebig, engagierten sich: Frauen in Wien um 1900. Die kraftvollen Bilder der Künstlerin Broncia Koller-Pinell sind mit dickem Pinselstrich und leuchtenden Farben gemalt. Sie zeugen von einer Frau, die sich nicht zurücknehmen, nicht zurückdrängen lassen will. Ein Beispiel dafür ist ein Selbstporträt der Malerin von 1905: Darin sitzt sie auf einer Bank, die kräftigen Hände im Schoß übereinander gelegt. Sie ist in einen schwarzen Umhang gehüllt und trägt markante und ausdrucksstarke Gesichtszüge. Die dunklen Haare zu zwei Pompons seitlich hochgesteckt. Von diesen begabten, willensstarken Frauen wie Koller-Pinell gab es erstaunlich viele.

Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau

Ausstellung im Belvedere, Wien, bis zum 19. Mai

Noch bis zum 19. Mai ist im Unteren Belvedere in Wien die Retrospektive "Stadt der Frauen" zu sehen. Falls Sie es erst nach diesem Datum das nächste Mal nach Wien schaffen, dann schauen Sie sich doch einfach die Fassade des Burgtheaters etwas genauer an: Dort finden Sie unter anderem ein Relief von Elena Luksch-Makowsky.

Die Künstlerin Elena Luksch-Makowsky ist eine Entdeckung. Wie viele ihrer Zeitgenossinnen setzte sie sich nicht nur mit unterschiedlichen sozialen Schichten auseinander, sondern auch intensiv mit der Rolle der Frau - der Mutter und der Künstlerin, die sie selbst auch war. Ein eindrückliches Selbstporträt zeugt davon: Sie hält ihren neugeborenen Sohn ins Bild. Ohne Windel. Präsent und gut ausgeleuchtet. Sie, die Mutter, die Künstlerin im Malerkittel, schemenhaft im Hintergrund, in einem roten Nebel verschwindend. Nacktheit zu malen, war für Elena Luksch-Makowsky und viele ihrer Kolleginnen übrigens ganz selbstverständlich. Für die meisten anderen Zeitgenossen dagegen ein Affront.

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Kunststudium gegen alle Widerstände

Der Bildband "Stadt der Frauen" erzählt die Geschichte der Künstlerinnen, die sich trotz widriger Umstände zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien einen Namen machten.

Die Tore der Akademie der bildenden Künste öffneten ihre Pforten für Studentinnen offiziell im Wintersemester 1920/21. Das heißt aber nicht, dass bis dahin keine Künstlerinnen ausgebildet wurden. Inoffiziell unterrichteten die Professoren der Akademie auch Schülerinnen. Leseprobe

Diesen Privatunterricht ließen sich die Männer gut bezahlen. Aber manche von ihnen unterstützten die Frauen in ihrem Wunsch, künstlerisch tätig zu sein, auch aus tiefer Überzeugung. Gustav Klimt zum Beispiel. Die Kunstschauen in Wien unter seiner Leitung zeigten mehr als ein Drittel Frauen. Von diesem Anteil konnte zum Beispiel das MoMa in New York bis in die 1980er-Jahren nur träumen.

Erinnerungen an Werke männlicher Wiener Künstler

Viele Werke erinnern an die großen Meister - natürlich allesamt männlich: an Klimt, Picasso, van Gogh, Gauguin. Die Künstlerinnen waren Ehefrauen, Mütter, Femmes fatales, Abenteurerinnen, alleinstehend, sexuell unterschiedlich orientiert, oft politisch aktiv, und zwar in jede Richtung. Manche konnten auf die Unterstützung ihrer Ehemänner, Väter oder Lehrer zählen, andere kämpften weitgehend allein.

Oft waren sie jüdischer Herkunft. Sie wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ganz einfach samt ihren Werken ausradiert, verfolgt, vertrieben, umgebracht - und demnach vergessen und verloren. Im Bildband "Stadt der Frauen" werden diese starken Künstlerinnen wiederentdeckt und in unsere Erinnerung zurückgeholt. Eine berührende, farbenprächtige und längst überfällige Würdigung.

Stadt der Frauen

von Stella Rollig und Sabine Fellner (Hrsg.)
Seitenzahl:
204 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Hardcover (engl.), Pappband, 24,0 x 31,0 cm, 200 farbige Abbildungen - Texte von Silvie Aigner, Dieter Bogner, Sabine Fellner, Julie Johnson, Alexander Klee, Katharina Lovecky, Gabriela Nagler, Elisabeth Novak-Thaller, Sabine Plakolm, und Stella Rollig.
Verlag:
Prestel
Bestellnummer:
978-3-7913-5865-9
Preis:
45,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 28.04.2019 | 17:40 Uhr

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Bildbände

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