Bei Anruf Literatur aus Norwegen
In Zeiten von Corona setzen Kulturveranstalter und -vermittler auf kreative Konzepte: In Norwegen können Interessierte mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern telefonieren. Sie müssen lediglich ihre Telefonnummer angeben, dann werden sie zu einem verabredeten Zeitpunkt angerufen - auch in Deutschland kann das Telefon klingeln.
Die Norweger, die im vergangenen Herbst Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse waren, haben sich nach der Absage der Leipziger Buchmesse überlegt, norwegische Autoren und deutsche Leser über das Telefon zusammenzubringen. Die Dichterin Marte Huke, von der im Vorjahr der Gedichtband "Delta" auf Deutsch erschienen ist, gehört zu den Schriftstellerinnen, mit denen sich Literaturinteressierte verabreden können.
Alternativangebote für Lesungen
Die Norweger sind nicht die Einzigen, die sich in der Ausnahmesituation ein Alternativangebot überlegt haben. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch, MDR Kultur und das Literaturhaus in Berlin etwa haben Lesungen und Gespräche ins Netz verlegt. Die Berliner Philharmoniker geben Konzerte für ein Weltpublikum, das nur einen Computer braucht, um die Musik zu hören. Aber so schön altmodisch wie die Norweger ist kaum einer sonst.
Eine Viertelstunde Literatur am Telefon
Fünf bis 15 Minuten sollen die Telefongespräche dauern, ausreichend Zeit, um einen Eindruck von Marte Hukes Dichtung zu bekommen. Sie liest aus ihrem Gedichtband "Delta". Inspiriert sind die Gedichte des Bandes durch die nordnorwegische Landschaft. Marte Huke hat wissenschaftliche Beschreibungen von Landschaftsformen studiert und die Sprache der Geografie umgeformt und zu Poesie gemacht. Die gelungene deutsche Übersetzung ist Marte Huke besonders wichtig.
"Unsicherheit ist auch eine Stimmung."
Sie hat lange in Berlin gelebt. Drei Wochen war sie erst kürzlich wieder in der Stadt. Doch das hatte unangenehme Folgen. Die Behörden hätten gesagt, dass man zu Hause bleiben muss, wenn man Ende Februar auf Reisen war. Marte Huke ist in Quarantäne, nichts anderes bedeutet die Anweisung. Krankheitssymptome, die auf eine Coronainfektion hindeuten, hat sie nicht. Aber die Situation macht ihr trotzdem zu schaffen: "Ich fühle mich ein bisschen verwirrt und isoliert. Alle ist so apokalyptisch. Niemand weiß, wann alles wieder normal werden wird. Für uns Künstler geht es auch um das Geld, das wir verlieren, weil alles abgesagt wird. Unsicherheit ist auch eine Stimmung."
Anruf aus Norwegen möglich
In den nächsten Tagen wird Marte Huke trotzdem weiter Gedichte vortragen, die von Gletschern und Bergen so erzählen, wie es nur die Poesie kann. Wenn irgendwo in Deutschland demnächst das Telefon klingelt, könnte das ein Anruf aus Norwegen sein. Wer sich mit der Dichterin aus Trondheim verabredet hat, kann dem ruhigen Fluss ihrer Stimme lauschen.
