Andreas Platthaus zum Tod von Sempé: "Es ist unbegreiflich"
Andreas Platthaus von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist ein Kenner des Werkes von Jean-Jacques Sempé. Ein Gespräch über den Zeichner, der nun im Alter von 89 Jahren gestorben ist.
Zusammen mit seinem Freund René Goscinny hatte der französische Zeichner Sempé den kleinen Nick geschaffen. In mehr als 30 Sprachen ist das Buch übersetzt worden. Die Bilder von ihm konnte jeder gleich verstehen, so charmant, so liebevoll. Andreas Platthaus ist Journalist bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Leiter des Ressorts Literatur und literarisches Leben und ein Kenner von Sempés Werk. Ein Gespräch.
Ihr Nachrufer, Herr Platthaus, beginnt mit den Worten: "Sempé ist tot. Das schreibt sich leicht, aber ist unbegreiflich." Sie haben ihn gekannt. Wann haben Sie ihn das letzte Mal getroffen?
Andreas Platthaus: Das letzte Mal ist schon einige Jahre her - vor acht Jahren. Das war eine Ausstellungseröffnung in Paris. Ich wusste gar nicht, dass er kommen würde, aber der Kurator der Ausstellung ist mit ihm sehr eng befreundet gewesen. Darum war es dann doch keine so große Überraschung, dass er kam. Aber da musste er sich schon im Rollstuhl fahren lassen. Allerdings von einer so unglaublichen Zugewandtheit und Freundlichkeit gegenüber den Menschen, die ihn natürlich wie ein Wunder bestaunt haben, weil er lange nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten war. Ich weiß nicht, wie er sich danach verhalten hat. Ich habe ihn danach nie mehr getroffen. Er soll zuletzt ganz zurückgezogen in seiner Wohnung in Saint-Germain-des-Prés geblieben sein. Ich glaube, die letzten Jahre hat man nicht mehr viel von ihm gesehen.
Er ist einer der ganz, ganz großen Zeichner. Was hat ihn ausgemacht?
Platthaus: Die fantastische Leichtigkeit. Emmanuel Macron, der sich etwas Zeit gelassen hat mit seiner Reaktion schreibt als allererstes Wort: Le Jazz - Der Jazz. In gewisser Weise ist es das, diese Leichtigkeit der Improvisation des Zeichnens, dieser unglaubliche Schwung seiner Linien, die die Gefälligkeit im allerbesten Sinne seiner Bilder. Ich kenne eigentlich keinen Menschen, der jemals einen Sempé angesehen hätte und nicht hingerissen gewesen wäre von dieser Freundlichkeit der Motive. Ich glaube, das macht ihn vor allem aus.
Für Sie hat er eine ähnliche Bedeutung wie die großen Maler, wie etwa Degas oder Monet?
Platthaus: Ja, natürlich aber in einem ganz anderen Genre. Aber für die Bedeutung für Frankreich ist es, glaube ich, wirklich nur auf diesem Niveau zu bewerten. Er war derjenige, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dann bis ins 21. Jahrhundert hinein, Frankreich in Bilder gesetzt hat. So wie die Impressionisten unser Bild des späten 19. Jahrhunderts von Frankreich und seinen Landschaften geprägt haben, so werden wir das Paris der letzten 70 Jahre vor allem über die Zeichnungen von Sempé in Erinnerung behalten, denn das war einfach der absolut typische Ausdruck dessen, wofür diese Stadt stand. Das gilt natürlich genauso für die Provinz, die er mindestens so sehr geliebt hat, in der er sich nur so gut wie nie aufgehalten hat.
Oft ist ja die Frage wenn jemand geht, was bleibt. Was bleibt von Sempé?
Platthaus: Ein unfassbares Werk. Ein Werk, was in den 50er-Jahren begann. Und ich weiß gar nicht, wie viele Dutzend Bücher es umfasst und wie viele Abertausende von Zeichnungen. Und natürlich bleibt „Der kleine Nick“ eine der schönsten Kinderbuchreihen überhaupt. Das sind alterslose Dinge. Mit diesen Büchern werden wir und sind wir schon alle alt geworden und das werden auch noch die nächsten Generationen immer lieben.
Gibt es denn ein Bild, eine Zeichnung, mit der sie besonders verbunden sind?
Platthaus: Es gibt ein Buch, was ich einfach hier nennen muss. Das ist „St. Tropez“ - 1968 erschienen. Das ist der bitterböse Sempé. Das ist der Sempé, der mit einem unbestechlichen Blick auf die feine Gesellschaft am Mittelmeer schaut. Wo er selber immer Urlaub gemacht hat. Er kannte das sehr, sehr gut. Er war selbst viel in St. Tropez. Die wunderbare Bosheit, mit der er auf diese völlig überkandidelte und affektierte Gesellschaft schaut, die sich da in den Sommerferien irgendwie die Zeit vertreibt und vor lauter Langeweile und Reichtum überhaupt nicht mehr weiß, was sie mit sich selbst tun soll. Das ist schon die ganz große Karikaturen-Kunst des 20. Jahrhunderts - wahrscheinlich das allerbeste Karikaturenbuch was überhaupt im letzten Jahrhundert erschienen ist.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.
