Ein kleines Lummen-Küken sitzt auf einem Stein auf Helgoland. © NDR Foto: Laura Albus

Lummensprung auf Helgoland: Küken springen in die Freiheit

Stand: 22.06.2022 15:41 Uhr

Von der Klippenkante habe ich den faszinierenden Lummensprung schon einige Male beobachten können. Heute aber ist ein besonderer Abend: Ich darf das Team von der Vogelwarte Helgoland und dem Verein Jordsand dabei begleiten, wie sie unten am Felssockel den kleinen Küken über die Schutzmauer helfen. Das ist wichtig, denn ohne Hilfe würden es die jungen Lummen leider nicht schaffen.

von Laura Albus

Die Trottellummen in der Helgoländer Felswand erinnern mich ein wenig an Pinguine. Oben schwarzes Gefieder, die Brust weiß. Dass sie schlechte Flieger sind, das sehe sogar ich als Laie. Sie sehen einfach etwas tollpatschiger aus als die anderen Vögeln am Felsen - und das will etwas heißen, denn die benachbarten Basstölpel machen ihrem Namen auch alle Ehre. Helgoland ist vor allem im Juni beliebt bei Vogelkundlern und Hobby-Fotografen, denn jetzt ist die Felswand voller frisch geschlüpfter Jungvögel. Neben den Basstölpeln, denen man besonders nah kommen kann, stehen aktuell die jungen Trottellummen im Fokus: Denn nach Einbruch der Dämmerung springen sie - wohlgemerkt ohne Fliegen zu können - vom Felsen nach unten. Der Lummensprung.

Sperrgebiet: Sicherheit geht vor

Rote Felsen sind auf Helgoland zu sehen. © NDR Foto: Laura Albus
Die Klippen von Helgoland sind Brutstäte für die Trottellummen.

Los geht es mit einer Sicherheitseinweisung - denn der Bereich, in dem die Lummen landen, ist Sperrgebiet. Nur mit Helm, Taschenlampe und festem Schuhwerk darf ich durch das große, schwarze Tor. Sicher ist sicher, schließlich sind auf der anderen Seite der Insel erst Ende April mehrere Hundert Kubikmeter Fels abgebrochen. Und auch hier liegt einiges an Geröll. Acht Helfer und ich laufen im Gänsemarsch auf der Schutzmauer. Die wurde vor gut hundert Jahren gebaut, um die Insel vor Verwitterung zu schützen. Aber sie führt eben auch dazu, dass die jungen Lummen nicht über die mehrere Meter hohe Schutzmauer kommen - schließlich können die Jungvögel noch nicht fliegen. Ohne die Schutzmauer könnten die Lummen einfach direkt ins Wasser springen.

Atemberaubende Sicht und laute Geräuschkulisse

Wir laufen also auf der Schutzmauer entlang. Links die Nordsee, rechts die hohe Felswand. Hunderte Vögel kreisen über unseren Köpfen. Basstölpel, Tordalke, Lachmöwen und erwachsene Trottellummen - die können nämlich im Gegensatz zu ihren Küken fliegen. Die Sonne steht bereits tief und lässt den roten Buntsandstein strahlen. Die Wolken treiben ihr abendliches Schauspiel über der offenen See. Ich bleibe stehen und genieße den Ausblick. Traumhaft. Zwei unbeleuchtete Tunnel müssen wir mithilfe der Taschenlampen durchqueren, bis wir gegen 21.30 Uhr zu unserem Ziel gelangen. In diesem Abschnitt haben die meisten Lummenpaare gebrütet.

Etwa 4.000 Brutpaare waren es insgesamt in diesem Jahr, gut 600 Küken haben die Helfer bereits gezählt. Wie viele es an diesem Abend sein werden, kann mir niemand sagen. Viele Faktoren spielen eine Rolle, Wind, der Stand des Mondes, die Tide. Hauptsache ein Lummenküken aus der Nähe sehen, das ist mein Ziel. Dann passiert eine lange Zeit nichts. Also, zumindest springt keine Lumme. Elterntiere fliegen jedoch an mir vorbei. Sie erinnern mich ein wenig an Flughörnchen. Ich sehe Möwenküken in der Felswand sitzen und die riesigen Basstölpel über mir kreisen. Für die Lummen sei es noch zu früh, sagt Ulrike Kollatsch, eine Insulanerin, die seit 2016 den Verein Jordsand unterstützt. Erst nach Einbruch der Dunkelheit sind die Lummen quasi unsichtbar für die Möwen - und somit kein schnell verfügbarer Snack mehr für sie. Die Tausenden Vögel, die über mir und den Helfern kreisen, kreieren eine Geräuschkulisse, die nur schwer zu beschreiben ist. Zunächst ist sie für mich nur ein einziges lautes Vogelkreischen. Aber mit zunehmender Dunkelheit muss ich mich mehr auf meine Ohren verlassen - und kann schließlich das Rufen der Küken deutlich von dem der Elterntiere unterscheiden. Diese Rufe sind enorm wichtig, denn nur dadurch finden sich Jung- und Elterntiere draußen auf dem Wasser wieder.

Dann plötzlich ein "Platsch"

Inzwischen ist die Sonne untergegangen, die Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Irgendwo hinter mir macht es "platsch". Eine Lumme. Es könnte das Küken gewesen sein, das ich zuvor oben im Felsen habe sitzen sehen. Oder eines der zig anderen. Ich weiß es nicht. Egal. Langsam watschelt es über das Geröll am Fuß des Felsens auf mich zu. Es ist so klein. Unglaublich, dass es den Sprung aus der Höhe unbeschadet überstanden hat. Genau dafür sei der Körper der Lumme ausgelegt, sagt Elmar Ballstaedt vom Verein Jordsand. Wie ein Flummi federt der kleine Körper den Aufprall ab, nur selten stirbt ein Tier dabei. Als es vor der Schutzmauer ankommt, schnappt sich Elmar Ballstaedt mit routiniertem Griff das Tier, steckt es in einen kleinen Baumwollbeutel und bringt es zur Beringungsstation. Dort wird es gewogen, gemessen und mit einem nummerierten Ring ausgestattet. So kann der Vogel identifiziert werden, wenn er irgendwann zurück auf die Insel kommen sollte. Elmar Ballstaedt greift in den Beutel und holt den kleinen Vogel heraus, setzt ihn auf die Mauer. Das Küken ruft, schaut sich um. Dann hopst es näher in Richtung Mauerkante. Von der dunklen Nordsee kommen Vogelgeräusche. Darunter scheinen auch Rufe der Elterntiere zu sein, denn mit einem Mal hopst das Junge zum zweiten Mal. Und tatsächlich kann ich erkennen, wie das Küken auf dem Wasser zu zwei ausgewachsenen Lummen schwimmt, bevor sie in der Dunkelheit verschwinden.

Ein Moment, den ich nicht vergessen werde

An eine Pause ist nicht zu denken. Nun melden die Helfer in regelmäßigen Abständen Funde. Mal sind es etwas größere Küken, mal etwas kleinere. Ich verstehe den Sinn des Helmes nun noch einmal mehr, als ein Lummenküken keine zwei Meter vor mir auf der Mauer aufkommt, sich kurz berappelt und dann ins Meer hopst. Wenn ich nach oben schaue, kann ich in der Felswand nichts mehr erkennen. Zu dunkel. Was ich sehe sind die Sterne, die Umrisse des Felsens und die Stirnlampen der Helfer. Ich bin dankbar, dieses Spektakel erleben zu dürfen. Obwohl es inzwischen nach Mitternacht und bereits ziemlich kalt ist, bin ich froh dabei zu sein. Dann ein weiterer Fund. Helfer Claus Kollatsch kommt auf mich zu und fragt mich, ob ich das Küken halten möchte. Etwas ängstlich stimme ich zu. Ängstlich, weil ich das Tier nicht verletzen möchte. Er zeigt mir, wie ich es halten soll. Ganz weich und flauschig ist es, ich spüre wie sich der Brustkorb hebt und senkt. Dann zappelt es und die Angst schlägt bei mir durch - ich reiche Claus Kollatsch das Tier schnell zurück und er setzt es auf die Mauerkante. Und dann verschwindet auch dieses Lummenküken mit einem Sprung in der Dunkelheit.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 23.06.2022 | 19:30 Uhr

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