Stand: 02.07.2016 01:00 Uhr

Als der "Himmelsschreiber" in den Tod flog

Zu seinem Geburtstag bekommt ein zwölfjähriger Junge einen Rundflug mit einem Wasserflugzeug über Hamburg geschenkt. Das Kind erwartet am 2. Juli 2006 ein spannendes und nicht alltägliches Abenteuer. Mit der Beaver DHC-2 de Havilland der Firma Himmelsschreiber können die Passagiere einen etwa 20-minütigen Rundflug in etwa 600 Meter Höhe über der Hansestadt unternehmen. Und die Bedingungen sind gut: Es ist warm, das Thermometer zeigt 26 Grad und auch die Sicht ist klar. Doch dieser Sonntag verläuft ganz anders als vorgesehen, wie der Bericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig dokumentiert.

Start verläuft noch ohne Probleme

Gegen 10.30 Uhr startet Pilot Jörg S, der auch Geschäftsführer der Firma ist, das Wasserflugzeug im City-Sporthafen nahe der Überseebrücke. An Bord sind der Zwölfjährige und sein Stiefvater sowie drei weitere Fluggäste. Sie stammen aus Hamburg, Niedersachsen und Bremen. Der Startvorgang verläuft ohne Auffälligkeiten. Zunächst bewegt sich die Maschine auf dem Wasser in Richtung Startstrecke auf der Norderelbe. Um 10.36 Uhr teilt der 52-Jährige der Flugsicherung mit, dass er mit der Maschine abgehoben sei. Spaziergänger am Elbufer beobachten, wie das Flugzeug in den Steigflug geht. Anschließend dreht es sich mit einer Rechtskurve in Richtung Süden.

Boden mit Tragfläche berührt

Kurz bevor die Beaver DHC-2 den Veddeler Damm überquert, hören Zeugen, wie der Motor aussetzt. Daraufhin beobachten sie, wie das Flugzeug an Höhe verliert. Ein letzter Funkspruch des Piloten ist unverständlich. Aber: An Bord ist Feuer ausgebrochen. Der Pilot versucht noch, eine Notlandung auf der Gleisanlage des Hafenbahnhofs Hamburg-Süd vorzunehmen. Dabei berührt die Maschine zunächst mit der rechten Tragfläche den Boden, dann reißen die Schwimmer ab und landen auf einem Waggon. Rumpf, Motor, Heckteil und beide Tragflächen stürzen auf ein Gleis und gehen in Flammen auf. Vier der sechs Insassen sind sofort tot, darunter der zwölfjährige Junge. Besonders tragisch: Die Mutter des Kindes sieht den Absturz von der Abflugstelle aus mit an.

Etwa 115 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdiensten und Polizei rücken aus. Am Unfallort bietet sich ihnen ein Bild des Schreckens. Die Trümmer brennen lichterloh, Wrackteile sind zwischen den abgestellten Waggons verteilt, mitten auf den Schienen der Motorblock mit den verbogenen Propellerflügeln.

Stiefvater überlebt das Unglück

Der 38 Jahre alte Stiefvater, der neben dem Piloten gesessen hat, kann sich aus der Maschine befreien. Er kommt mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus. Sein Zustand ist zunächst kritisch, er wird in ein künstliches Koma versetzt. Rund 40 Prozent seiner Haut sind bei dem Unglück verbrannt. Nach etwa vier Wochen ist sein Zustand stabil, er liegt allerdings weiterhin auf der Intensivstation. Erst knapp drei Monate später kann er auf eine andere Station verlegt werden. Mit den gesundheitlichen Folgen hat der Mann noch sehr lange zu kämpfen.

Eine Botschaft in den Himmel

Das sogenannte Himmelsschreiben ist eine Form der Luftwerbung. Dabei hinterlässt ein Flugzeug eine sichtbare Nachricht wie z.B. eine Liebesbotschaft am Himmel. Der Pilot muss die Maschine dabei auf eine besondere Art und Weise steuern. Sie stößt dann einen speziellen Rauch aus einem Druckbehälter aus. In diesem Behälter ist üblicherweise ein Öl, das nach Erhitzen zu einer großen Menge weißen Rauchs verdampft. Die an den Himmel geschriebenen Nachrichten sind nur eine kurze Zeit sichtbar.

Letzter deutscher "Himmelsschreiber"

Pilot Jörg S. gilt mit rund 1.000 Starts und Landungen pro Jahr als äußerst erfahren. Schilderungen von Kollegen und der Einschätzung der BFU zufolge ist er sehr verantwortungsbewusst sowie ein begeisterter Flieger. S. ist zudem der letzte deutsche "Himmelsschreiber", der mit Flugzeugen Botschaften an den Himmel schreiben kann.

Der 52-Jährige schafft es ebenfalls, sich aus dem brennenden Wrack zu retten. Den Ersthelfern teilt er noch mit, dass er einen "Druckabfall" bemerkt habe. Er wird mit sehr schweren Brandverletzungen ins Krankenhaus gebracht. Seine Überlebenschancen gelten als gering. 80 Prozent seiner Haut sind verbrannt. Und so stirbt der Pilot am nächsten Tag.

DHC-2 Beaver - Als "Buschflugzeug" konzipiert

Der Flugzeugtyp DHC-2 Beaver gilt als robuste "Buschmaschine". Die Firma De Havilland konstruierte sie 1946 für die Wälder Kanadas. Die Maschine kann auf kurzen Strecken starten und landen. Sie lässt sich mit Rädern, Ski-, Schwimmer- und Amphibienfahrgestell ausrüsten. Die DHC-2 Beaver ist knapp zehn Meter lang, hat eine Spannweite von circa 15 Metern, 450 PS, erreicht Tempo 230 und kann nonstop 1.200 Kilometer zurücklegen. Mitte der 1960er-Jahre wurde die Produktion eingestellt. Privatkunden konnten die Maschinen anschließend günstig kaufen. (Quelle: dpa)

Alter der Maschine nicht ausschlaggebend

Die Maschine vom Typ Beaver DHC- 2 hat erst im April 2005 einen grundüberholten Motor erhalten. Ein Jahr später wird das Flugzeug noch überprüft und wenige Wochen vor dem Unfall einer Routinekontrolle unterzogen. Das Flugzeug ist bereits 44 Jahre alt. Dies bedeute aber kein höheres Unfallrisiko, so ein BFU-Sprecher. "Es gibt alte Flugzeuge, die sind sehr robust gebaut", erklärt er. Bei einmotorigen Maschinen bestehe allerdings generell immer die Gefahr, dass der Motor ausfällt. Dann könne der Pilot im Gleitflug einen Notlandeplatz suchen. "Bei einem Wasserflugzeug wird der Gleitflug aber durch die Kufen erschwert", erklärt der Experte.

Motorbrand als Absturzursache festgestellt

Drei Monate nach dem Absturz sind sich die Ermittler einig: Ein Motorbrand hat das Unglück ausgelöst. Während des Fluges sei an den Tanks im Rumpf sowie im Motor Feuer ausgebrochen, so die BFU. Daraufhin habe der Motor ausgesetzt und die Maschine sei abgestürzt. Die Experten stellen ein Leck in der Kraftstoffversorgung zwischen Kraftstoffpumpe und Vergaser fest. Die Ursache dafür können sie aufgrund des Brandschadens nicht mehr herausfinden. Außerdem habe der Pilot in dieser Phase des Fluges keine Chance mehr gehabt, eine geeignetere Fläche für eine Notlandung zu erreichen. Die unvermeidliche Folge ist der Absturz, der fünf Menschen das Leben kostet.

Wasserflugzeug: Ein Exot

Wasserflugzeuge sind Exoten im deutschen Luftraum. Für ihren Betrieb gelten dieselben strengen Sicherheitsvorgaben wie für Maschinen, die auf festem Boden starten und landen. Bevor sie ein Wasserflugzeug steuern dürfen, müssen Piloten eine intensive Spezialausbildung absolvieren. Start, Landung und weitere Flugphasen unterscheiden sich sehr von der Reise mit einem Landflugzeug. Dies betrifft nicht nur die Handhabung der Maschine auf der Wasseroberfläche bei Wind und Wellen. "Wasser-Piloten" müssen zudem mit Verkehrsregeln auf Flüssen und Seen vertraut sein. Einige Flugboote sind zusätzlich mit einziehbaren Rädern versehen, sodass sie auch an Land aufsetzen können. Bau und Betrieb von Wasserflugzeugen haben in Deutschland eine lange Tradition. So waren zum Beispiel Flugboote von Dornier in den 1920er- und 1930er-Jahren technisch an der Weltspitze und flogen auch auf interkontinentalen Strecken. Wasserflugzeuge sind heute noch in vielen Regionen der Welt, etwa in Kanada und tropischen Inselregionen, im Passagier- und Frachtverkehr im Einsatz. (Quelle: dpa)

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 02.07.2006 | 18:00 Uhr

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