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Günther Fielmann: Der Brillenkönig mit dem frühen Weitblick

Stand: 17.09.2024 00:00 Uhr

Als Unternehmer hat Günther Fielmann die Kassenbrille salonfähig gemacht. Das gleichnamige Unternehmen gehört heute zu den größten Optikern weltweit. Am 17. September 1939 wurde der Selfmade-Milliardär geboren. Er starb 2024.

von Stefanie Grossmann

Jeder soll sich eine modische Brille leisten können: Sein Leben lang steht Günther Fielmann, der selbst Brillenträger ist, hinter dieser Idee und Firmenphilosophie. Und das ist in der Optikerbranche Anfang der 1970er-Jahre eine Revolution. Am 21. September 1972 eröffnet Günther Fielmann im Alter von 33 Jahren sein erstes Geschäft in der Nordersteinstraße 8 in Cuxhaven unter dem Namen "Optic im Centrum" - es ist der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Mittlerweile besitzt das Unternehmen Fielmann in zweiter Generation rund 1.100 Niederlassungen in Europa, davon 619 allein in Deutschland. Knapp 24.000 Mitarbeiter arbeiten für Fielmann, der Umsatz liegt bei gut zwei Milliarden Euro (Stand Juli 2024).

Vater Fielmann durchkreuzt den Berufswunsch des Sohnes

Dabei fängt alles klein an: Am 17. September 1939 kommt Günther Fielmann als zweites Kind von Wilhelm und Luise Fielmann im schleswig-holsteinischen Stafstedt zur Welt. Auf Spaziergängen mit seiner Mutter durch die Marschlandschaft entdeckt der junge Fielmann seine Liebe zur Natur und seine Leidenschaft fürs Fotografieren. Die Lokalzeitung druckt erste Aufnahmen gegen ein Honorar ab, doch der Vater, von Beruf Oberstudiendirektor, durchkreuzt die Pläne seines Sohnes, Fotograf zu werden. Der Junge soll etwas Anständiges lernen: "Optiker werden immer gebraucht", weiß der Vater. Und so beginnt der Filius 1956 eine Lehre bei der Firma Campbell in Hamburg, einem der ältesten und renommiertesten Brillenfachgeschäfte der Welt.

Günther Fielmann macht seinen Meister und geht in die Industrie

Günther Fielmann entwirft eine Brillenkollektion. © Fielmann Group AG
Immer wieder entwirft Günther Fielmann Brillen für seine Kollektionen.

Drei Jahre dauert die Ausbildung in der Hansestadt. Für sein Gesellenstück, eine eigens entworfene und handwerklich hergestellte Brille, bekommt Günther Fielmann eine Auszeichnung der Handwerkskammer. Sein Ehrgeiz ist geweckt - nachdem er in mehreren Optikerbetrieben gearbeitet hat, macht er 1965 seinen Meister. Günther Fielmann wechselt in die Industrie, beim US- Unternehmen und Ray-Ban-Produzenten Bausch & Lomb lernt er alles über die Produktion von Brillengläsern und Fassungen. Günther Fielmann kommt zu der Erkenntnis: Die hohen Preise für Brillen stehen in keinem Verhältnis zu den Produktionskosten.

Erstes Geschäft in Cuxhaven bietet mehr Auswahl an Brillen

Erstes Optikergeschäft von Günther Fielmann in Cuxhaven. © Fielmann Group AG
1972 eröffnet Günther Fielmann in Cuxhaven sein erstes augenoptisches Fachgeschäft.

Ende der 1960er-Jahre ist die Brillenbranche noch reichlich verstaubt und kartellartig organisiert. Optiker tragen weiße Kittel und ihre Ladengeschäfte gleichen Apotheken. Sie verwahren die Brillen in Schränken und Schubladen - der Kunde hat kaum Auswahl und für Menschen mit wenig Geld bleibt schlichtweg nur ein Miniangebot hässlicher Kassengestelle. Das ist für Günther Fielmann keine Option, in seinem ersten Geschäft in Cuxhaven präsentiert er seine Brillen offen, auch im Schaufenster. Der Kunde darf selbst auswählen. Darüber hinaus koppelt Fielmann seine Verkaufspreise an die tatsächlichen Herstellungskosten. Er bietet seine Ware also deutlich günstiger als die seiner Mitbewerber an. Aus einer ungeliebten Sehhilfe macht Fielmann ein modisches Accessoire.

Nestbeschmutzer Fielmann ärgert die Konkurrenz

Die Konkurrenz ist wenig amüsiert von Günther Fielmanns Geschäftsgebaren. Sie wollen den "Rächer der Bebrillten", wie der Revolutionär im Volksmund genannt wird, für seine aggressive Werbung am liebsten verklagen. Doch Günther Fielmann lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil: Er fühlt sich von dieser Bedrohung eher angestachelt. "Hätten die mich damals in Ruhe gelassen, hätte ich meine sechs, sieben Geschäfte behalten, und das wäre es gewesen." Stattdessen nennt der findige Unternehmer 1980 bereits 49 Niederlassungen sein Eigen.

Kooperation mit Krankenkasse - "Brille zum Nulltarif"

"Wer sich eine teure Brille nicht leisten konnte, trug sozusagen den Nachweis seines niedrigen Einkommens als Sozialprothese auf der Nase." Günther Fielmann

Günther Fielmann entwickelt immer neue Marketingideen. © Fielmann Group AG
Günther Fielmann entwickelt immer neue Marketing-Ideen - und ärgert damit seine Konkurrenten.

Für Menschen mit wenig Geld ist die Wahl von Gestellen Anfang der 1980er-Jahre beschränkt: Es gibt sechs Modelle für Erwachsene, zwei für Kinder. Günther Fielmann will diese "Diskriminierung" ändern, er tingelt von Kasse zu Kasse und versucht mit ihnen ins Geschäft für bessere und modernere Kassengestelle zu kommen. Erfolg hat er zunächst nur bei der AOK im friesischen Esens. Mit ihr schließt er 1981 einen historischen Vertrag zur Produktion von 90 qualitativ hochwertigen Brillen auf Rezept ab. Weitere Kassen folgen.

Und Fielmann arbeitet weiter an der Kundenzufriedenheit - im gleichen Jahr verspricht das Unternehmen, jede Reklamation zu akzeptieren. Die sogenannte Zufriedenheitsgarantie geht voll auf, die Kunden nutzen das Angebot nicht aus. 1982 kommt auch die Geld-zurück-Garantie. Wer ein bei Fielmann erworbenes Produkt bei anderen Anbietern günstiger findet, darf die Fielmann-Brille zurückgeben und bekommt dafür den Kaufpreis erstattet.

"Der Kunde bist Du" - Maximale Kundenzufriedenheit als Ziel

"Ich möchte, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Kunden so behandeln, als wäre er ihr Bruder, ihre Schwester, der Vater oder die Mutter." Günther Fielmann

Günther Fielmann wäre nicht Günther Fielmann, wenn er sich auf seinem bisherigen Erfolg ausruhen würde. 1985 macht ihn der Werbespot mit der kleinen Julia und dem Slogan "Und mein Papi hat keinen Pfennig dazu bezahlt..." deutschlandweit bekannt. "Brille: Fielmann" - das eingängige Motto etabliert sich im Sprachgebrauch, sehr zum Unmut seiner Konkurrenten. Günther Fielmann ficht das nicht an, er expandiert weiter und kauft kleinere Optiker auf, sein Filialnetz vergrößert sich innerhalb kürzester Zeit auf rund 200 Niederlassungen.

1988 heiratet Günther Fielmann die 19-jährige Studentin Heike Eggert. Der Unternehmer hat sie kennengelernt, nachdem sie sich als Fotomodell für Brillen beworben hatte. Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor: Marc (*1989) und Sophie Luise (*1994). 2004 trennt sich das Paar wieder.

Günther Fielmann behält einen guten Draht zu Menschen

Günther Fielmann war begeisterter Biobauer und Züchter. © Fielmann Group AG
Günther Fielmann hatte viele Talente: Er war auch ein engagierter Biobauer und Züchter.

Auch als sein Unternehmen weiter wächst und wächst, behält Günther Fielmann immer die Gemeinschaft und die Menschen im Blick. Bescheiden und bodenständig engagiert er sich parallel im Naturschutz und als Denkmalschützer. Als Biobauer hält er Rinderherden, Sattelschweine und eine Pferdezucht auf seinem Hof in Lütjensee. Außerdem züchtet er Kärntner Brillenschafe, mit 300 Tieren dieser vom Aussterben bedrohten Rasse besitzt er die zweitgrößte Herde der Welt. Günther Fielmann beweist auch hier Weitblick: Von dem Schaf mit den schwarz gefärbten Ringen um die Augen gibt es bei Fielmann ein Bilderbuch und ein Kuscheltier, damit sich die Kunden von morgen an das Tragen einer Brille spielerisch gewöhnen.

Günther Fielmann liebt außerdem Kunst und ist ein Förderer der schleswig-holsteinischen Landesmuseen. Für seine Mitarbeiter pflanzt er jedes Jahr einen Baum. Bis heute sind es stattliche 1,7 Millionen Pflanzen. All das macht er am liebsten ohne viel Aufsehen. Seine Mitarbeiter schätzen ihn - für seine Werte, seine Energie und seine Einstellung zu den Menschen, für die er stets ein Ohr hat.

Expansion in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung

Lange Schlange vor einer Fielmann-Niederlassung in Ostdeutschland. © Fielmann Group AG
Brillen waren in der DDR Mangelware. Nach der Wiedervereinigung stehen die Bürger Schlange vor den Filialen von Fielmann.

Als die Mauer fällt, zögert Günther Fielmann nicht lang. Wenige Tage nach Grenzöffnung fährt er durch die DDR und knüpft Kontakte. Der Unternehmer weiß: Brillen sind dort Mangelware, die Wartezeiten deshalb lang. Es folgt ein Vertrag mit der dortigen Sozialversicherung - Günther Fielmann ist im Geschäft. Und er ist wieder schneller als alle anderen. Kurz nach der Wiedervereinigung eröffnet er mehrere Filialen in Ostdeutschland und errichtet nach dem Aus der Rathenower Optischen Werke im Jahr 1991 an gleicher Stelle einen neuen Fertigungsbetrieb. Damit sichert er nicht nur Arbeitsplätze, er versorgt die Bürger von Rügen bis ins sächsische Schönberg mit dem knappen Sehgut.

Gang an die Börse sorgt für frisches Geld

1994 geht Günther Fielmann mit seinem Unternehmen an die Börse. © Fielmann Group AG
Der Börsengang 1994 spült frisches Geld in die Kasse von Fielmann und macht Expansionen ins Ausland möglich.

Der Börsengang von Fielmann im Jahr 1994 scheint der nächste logische Schritt des florierenden Unternehmens zu sein. Ziel: das Wachstum weiter beschleunigen. Fünf D-Mark kostet Fielmanns sogenannte Volksaktie, sie entwickelt sich zur erfolgreichsten Neuemission des Jahres. Mit dem frischen Geld expandiert Fielmann nach Österreich und die Schweiz, es entstehen auch Filialen in Polen und den Niederlanden. Die Nachfrage ist so groß, dass Günther Fielmann 2000 den Grundstein für einen Neubau des Produktions- und Logistikstandortes in Rathenow legt. Längst verzeichnet die Aktie, die zu mehr als 70 Prozent in Familienbesitz ist, nicht mehr die Gewinne aus den Anfangsjahren. Seit Corona hat sich der Kurs halbiert. Kostensteigerungen, unter anderem durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Inflation, setzt die Aktie zudem unter Druck.

Günther Fielmann übergibt das Unternehmen an Sohn Marc

Günther Fielmann ordnet früh seine Nachfolge: Seit 2012 arbeitet Sohn Marc im Familienbetrieb mit. Nach acht gemeinsamen Jahren an der Spitze übergibt der Senior 2019 die Geschäfte am Firmensitz in Hamburg an den Junior. Und Günther Fielmann setzt sich für den Nachwuchs in seiner Branche ein: Seit 2004 erlernen 40 Prozent aller Optiker in Deutschland auf Schloss Plön in der Holsteinischen Schweiz ihr Handwerk.

Günther Fielmann hat sich seinen Erfolg hart erarbeitet. Beinahe nichts in seiner Erfolgsgeschichte ist Zufall, es ist das Resultat einer Vision, ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren. 2016 bekommt Günther Fielmann für sein Engagement als Kulturmäzen und Umweltschützer die Auszeichnung als Ehrenbürger Schleswig-Holsteins. Eine Ehrung, die ihm viel bedeutet. "Ich bin über meine Träume hinausgewachsen", sagt Günther Fielmann mit Demut im Rückblick auf sein Lebenswerk. Am 3. Januar 2024 stirbt er im Alter von 84 Jahren in Lütjensee.

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