Sendedatum: 02.08.2016 19:30 Uhr

"Ich war einfach froh, dass ich zur See fahren durfte"

von Ilka Kreutzträger

"Verlassen Sie sofort die Drei-Meilen-Zone"

Die Besatzung des Segelschulschiffs "Wilhelm Pieck". © http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en Foto: Horst Sturm
Der Rudergänger der "Wilhelm Pieck" steuerte nach den Anweisungen des Kapitäns das Schiff durch die Ostsee.

"Das Schlimmste war, dass wir nicht überall hinfahren durften", erinnert sich der Erste Steuermann. Erlaubte Ziele waren die sozialistischen Länder rund um die Ostsee. Daran hielt sich die Crew auch immer. Nur einmal, 1987, konnte Kapitän Stolle nicht widerstehen und steuerte die "Wilhelm Pieck" in dänisches Hoheitsgewässer. "Wir hätten als Staatsschiff theoretisch das Recht der friedlichen Durchfahrt gehabt, und das wollte der Alte einfach mal auskosten", sagt Hunscha und lacht. "Bis auf 1,2 Meilen sind wir an Bornholm rangekommen, bis uns eine dänische Fregatte aufforderte, sofort die dänische Flagge zu hissen und die Drei-Meilen-Zone zu verlassen."

Im Territorium des Gastlandes ist es Usus, die ausländische Flagge zu setzen. "Erst mal eine haben", sagte Kapitän Stolle, denn die "Wilhelm Pieck" hatte nur die Flaggen der sozialistischen Ostsee-Anrainerstaaten an Bord. Das Vorzeigeschiff der DDR drehte bei, und der Vorfall blieb trotz Beschwerden der Dänen ohne Konsequenzen für die Crew.

Zwei Deutsche unter sich

Aber nicht nur der Fahrbereich war eingeschränkt. "Wir durften auch nicht mit westdeutschen Leuten reden, das war ja das Perverse", erinnert sich Hunscha an die Begegnung mit einem westdeutschen Handelsschiff in einem russischen Hafen. Auf dem Weg zum Landgang ging er in Uniform an einem Matrosen vorbei, der mit einem langen Besenstil und einer Rolle die Außenwand seines Schiffes tönte. "Ey, von was für einem U-Boot bist du denn?", rief ihm der Matrose zu.

"Ich wollte schon weitergehen und hoffte, dass niemand guckt", erzählt Hunscha. "Wollte ihn aber auch nicht einfach stehen lassen, und wir haben uns ein bisschen unterhalten. Erstaunlich, dass der russische Wachposten nichts gesagt hat, der hat das auf jeden Fall gesehen", wundert er sich noch heute. "Aber das war auch nur ein einfacher Soldat, der wird auch gedacht haben, zwei Deutsche unter sich, lass die sich doch unterhalten."

Wie eingeschränkt die Freiheit in der DDR war, wurde ihm auf den Fahrten nach dem Machtantritt Gorbatschows immer klarer. "Die Leute wurden immer freier, und wir haben nicht verstanden, warum das bei uns nicht auch so ist", sagt Hunscha. So hingen zum Beispiel in den baltischen Ländern, die vorher nie ihre eigene Flagge hissen durften, ab 1986 überall die Landesflaggen. "Da merkten wir schon: Dort passiert was, und hier ist Stillstand."

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Nordmagazin | 02.08.2016 | 19:30 Uhr

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