Als die Norddeutschen auf Walfang gingen
Für den elf Jahre alten Jens Jacob Eschels ist es ein großes Abenteuer: Der Junge von der Nordsee-Insel Föhr darf im Frühjahr 1769 erstmals mit auf Walfang in die Arktis gehen. Es ist sein größter Wunsch: "Drei von meinen Schulkameraden, die nur wenig älter waren als ich hatten sich verheuert nach Grönland." Die Mutter will ihren Sohn noch nicht so früh ziehen lassen, aber der Junge lässt sich nicht aufhalten. Jens Jacob Eschels spricht selbst bei einem Walfang-Commandeur, der auf der Insel lebt, vor. Und dieser sagt, er solle ruhig mit den "Grönlandfahrern" aufbrechen.
Und so ging die Reise los, erst nach Amsterdam und von dort auf einem Walfangschiff ins Eismeer bei Spitzbergen. Aber die Reise stand unter keinem guten Stern. Das Eis hielt das Schiff lange auf. "Und wie wir endlich durchkamen, war die beste Fischerei vorbei", schrieb der Junge später in seinem Reisebericht. "Die Schiffe, die früher durchgekommen, hatten viele Walfische gefangen." Aber es sollte nicht die einzige Fahrt für Jens Jacob Eschels bleiben.
1643 beginnt der norddeutsche Walfang
Rund 250 Jahre lang zogen Tausende Norddeutsche im Frühjahr aus, um bis zum Spätsommer Wale zu jagen. Zunächst heuerten sie nur auf holländischen Schiffen an. 1643 schickten dann Hamburg und Emden als erste deutsche Städte Walfangschiffe ins Eismeer. Sie witterten das große Geschäft, nachdem sich bislang nur Niederländer und Franzosen an der Waljagd bereichert hatten. 1675 gingen bereits 75 Hamburger Schiffe auf "Grönlandfahrt". Dabei ist die Bezeichnung "Grönlandfahrer" streng genommen falsch. Denn sie jagten die Wale nicht vor Grönland, sondern vor allem in den Gewässern bei Spitzbergen. Bis heute gibt es im Nordwesten Spitzbergens eine "Hamburger Bucht". Glückstadt mischte seit 1671 mit. Auch wenn das erste Schiff gleich verloren ging, begann für Glückstadt eine lange Epoche des Walfangs. Ende des 18. Jahrhunderts setzte die kleine Stadt an der Elbe schon 55 Schiffe ein.
Das Wertvollste ist der Speck
Die Walfänger jagten vor allem den Grönlandwal, mitunter auch den Nordkaper. Beide Wale waren langsame Schwimmer, also eine leichte Beute. Zudem gingen sie nach ihrem Tod nicht unter, weil sie von einer dicken Speckschicht umhüllt sind. Grönlandwale sind 16 bis 20 Meter lang und wiegen so viel wie 20 Elefanten. Allein die Zunge kann ein Gewicht von 900 Kilogramm erreichen. Das Wertvollste der riesigen Tiere war ihr Speck, der ausgekocht wurde und als Waltran bis Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Beleuchtungsmittel war. Aber auch das elastische Fischbein der Walbarten war begehrt - daraus konnten beispielsweise Knöpfe, Kämme, Lineale und Reifröcke gefertigt werden.
Sturmflut zwingt zum Walfang
Das Walfieber hatte die Norddeutschen schnell gepackt. Nicht nur die großen Städte mischten mit, auch kleine Küstenorte trieben Geld auf, um Schiffe für den Walfang auszurüsten. An Bord der Schiffe waren viele Männer von den Nordsee-Inseln. Im Jahr 1701 beispielsweise gingen 3.600 Friesen auf Walfang. Von Föhr fuhren im Frühjahr rund 1.000 Seeleute als Walfänger aus. Vielfach aus der Not heraus. Denn die verheerende Sturmflut von 1634, die Groote Mandränke, hatte riesige Gebiete im Meer versinken lassen. Viele Ackerflächen waren verschlammt und versalzen. Die Menschen litten Hunger. Und so begann fortan in jedem Frühling der Exodus der Männer von den Inseln wie Föhr, Sylt und Amrum.
1634 verbot der französische König zudem seinen baskischen Untertanen, für die Holländer als Walfänger zu fahren. Und ab 1661 durften Holländer nicht mehr auf Hamburger Schiffen mitfahren. Die Nord- und Ostfriesen sprangen ein, sie stiegen nun in die höheren Positionen an Bord wie Commandeur, Steuermann, Harpunier und Speckschneider auf. Der Walfang war nun die Lebensader für die Insulaner. Es war weniger der Abenteuerdrang, der die Männer ins Eismeer zog. Es war die Aussicht auf einen anständigen Lohn.
Legendärer Walfänger von der Insel Föhr

Der Commandeur hatte das Sagen auf dem Schiff. Der berühmteste von ihnen ist der Walfänger Matthias Petersen von der Insel Föhr, der von 1632 bis 1706 lebte. Innerhalb von fünf Jahrzehnten erlegte er 373 Wale in den Buchten Spitzbergens - und kam zu großem Wohlstand. Weshalb er, wie seine steinerne Grabplatte auf dem Friedhof der Kirche St. Laurentii in Süderende auf Föhr bezeugt, "mit Zustimmung aller den Namen 'Der Glückliche' annahm".
Aber auch Männer von der ostfriesischen Insel Borkum hatten oft das Kommando auf den Walfang-Schiffen. Mehr als 100 Commandeure brachte die Insel im 18. Jahrhundert hervor. Der erfolgreichste von ihnen war Roelof Gerrits Meyer (1712-1798). Bei 47 Ausfahrten in den Jahren von 1736 bis 1786 erlegte er mit seiner Mannschaft 311 Wale. Er ist auf Borkum begraben, seine Nachfahren leben immer noch auf der Insel.
- Teil 1: 1643 beginnt der norddeutsche Walfang
- Teil 2: Gefahren im Eismeer
- Teil 3: Das schleichende Ende des Walfangs
