2003: Bürgermeister von Beust beendet Mitte-Rechts-Bündnis

Stand: 09.12.2023 23:59 Uhr

Zwei Jahre lang mischte Ronald Schill als Innensenator die Hamburger Landespolitik auf. Ein Erpressungsversuch war nur eine von vielen Querelen. Bürgermeister Ole von Beust hatte am 9. Dezember 2003 genug vom Mitte-Rechts-Bündnis.

von Stefanie Grossmann, Jochen Lambernd

Ronald Barnabas Schill ist eine schillernde Persönlichkeit, smart, groß gewachsen. Wegen seiner harten Urteile verpasst ihm die Boulevardpresse den Titel "Richter Gnadenlos". Doch ein Heiliger - wie sein zweiter Vorname suggeriert - ist der Jurist keineswegs. Er nutzt ein Momentum: Anfang der 2000er-Jahre gilt Hamburg als kriminellste Stadt der Republik. Viele Hamburgerinnen und Hamburger fühlen sich in der Hansestadt nicht mehr sicher. Da kommt ein "Rebell für Recht und Ordnung" wie Schill gerade recht.

Bürgerschaftswahl 2001: Schill-Partei erreicht über 19 Prozent

Im Jahr 2000 gründet Schill seine Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO). Sie steht für eine Law-and-Order-Politik mit Fokus auf innerer Sicherheit, einer Verschärfung des Strafrechts und konsequenten Abschiebungen von straffälligen Migranten. Sein Ziel: In 100 Tagen will er die Zahl der Verbrechen auf ein Maß zurückdrängen, das vergleichbar mit München ist. Das heißt: halbieren. Schill prangert die Politik des rot-grünen Senats an: "Das ist Politik für Minderheiten, je asozialer und krimineller sie sind", sagt Schill auf Wahlkampfveranstaltungen. Die Säle sind voll, die Parolen werden bejubelt. Am Wahlabend im September 2001 klettert der Balken der Schill-Partei auf über 19 Prozent - eine Sensation.

Schill ermöglicht Machtwechsel im Hamburger Rathaus

Optimismus auf der ersten Senatssitzung der ungleichen Koalitionspartner Ole von Beust (li.) und Ronald Schill. © NDR/ECO Media TV-Produktion GmbH/Bertold Fabricius
Optimismus auf der ersten Senatssitzung der ungleichen Koalitionspartner Ole von Beust (li.) und Ronald Schill.

Es kommt zum Machtwechsel im Rathaus - dank Schill wird Ole von Beust Hamburgs Erster Bürgermeister. Mit einem Rechtspopulisten regieren? Schill zu verdammen, kommt damals für von Beust nicht infrage. Er könne sich vorstellen, ihn als Mittel zum Zweck zu nutzen, so der Politiker 2001 gegenüber dem Hamburg Journal. Schill wird Innensenator und Zweiter Bürgermeister. Große Erfolge in puncto Kriminalitätsbekämpfung kann er in seiner Amtszeit nicht für sich verbuchen. An Schill erinnert vor allem die Einführung der blauen Fahrzeuge und Uniformen der Polizei. 2002 knirscht es bereits in der Koalition wegen Schills Bundestagsrede zur Flutkatastrophenhilfe in Ostdeutschland, die von Beust missbilligt. Er habe im Bundestag nicht als Parteivertreter, sondern als Vertreter des Hamburger Senats zu reden, so die Kritik.

Entlassung nach Erpressungsversuch gegen Ole von Beust

Eklat im Rathaus - Pressekonferenz im Rathaus am 19.08.2003. Bürgermeister Ole von Beust (re.) entlässt seinen Stellvertreter und Koalitionspartner Innensenator Ronald Schill (li.). © NDR/ECO Media TV-Produktion GmbH/Bertold Fabricius
Eklat bei Pressekonferenz im Rathaus: Am 19. August 2003 entlässt Bürgermeister Ole von Beust (re.) seinen Stellvertreter Ronald Schill (li.).

Nach zwei Jahren endet das "Zweckbündnis" in einer Schlammschlacht. Als es wegen einer Personalie zum Streit zwischen den beiden Politikern kommt, droht Schill von Beust "als schwul" zu outen. Der Erste Bürgermeister schmeißt Schill daraufhin aus der Regierung: Er sei charakterlich nicht mehr geeignet, das Amt eines Hamburger Senators weiterzuführen, erläutert von Beust seine Entscheidung in der Pressekonferenz am 19. August 2003. Mario Mettbach wird Schills Nachfolger als Innensenator. "Richter Gnadenlos" ist politisch am Ende, selbst seine Partei geht zum großen Teil auf Abstand. Sogar ein Parteiausschluss Schills wird angestrebt. Allerdings kann es mit dem Mitte-Rechts-Bündnis so nicht weitergehen. Die nächsten Wochen sind sehr unruhig.

Ende des Mitte-Rechts-Bündnisses am 9. Dezember 2003

Am 9. Dezember 2003 hat Ole von Beust endgültig genug: "Jetzt ist finito", sagt er auf einer Pressekonferenz. Die politischen Vorgänge der vergangenen Tage seien mit der "Würde der Stadt" nicht vereinbar. Damit meint er Äußerungen Schills, in denen dieser mehr oder weniger deutlich damit gedroht hat, mit seiner Partei den Haushalt zu blockieren. Von Beust teilt mit, er habe die Fraktionen von CDU und FDP gebeten, die Auflösung der Bürgerschaft zu beantragen - mit Neuwahlen als Folge. Zuvor habe er sich darüber mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ausgetauscht, so der Bürgermeister. Er habe befürchtet, dass das Ansehen der Stadt weiter Schaden nehme und gehe gelassen in den anstehenden Wahlkampf. 

CDU gewinnt Neuwahlen 2004 deutlich

Am 29. Februar 2004 gibt es die Neuwahlen. Die gewinnt die CDU haushoch. Von Beusts Partei holt mit 47,2 Prozent die absolute Mehrheit. Bei der Bürgerschaftswahl 2001 haben die Christdemokraten lediglich 26,2 Prozent der Stimmen bekommen. Dieser Zuwachs gilt als bundesweiter Rekord. Die Hamburger Bevölkerung zollt der Entscheidung des Bürgermeisters zum Rausschmiss Schills offenbar Respekt. Dessen Partei stürzt von 19,4 Prozent im Jahr 2001 auf 0,4 Prozent ab und fliegt aus der Bürgerschaft. Die Kleinpartei Pro DM/Schill, die den in seiner eigenen Partei in Ungnade gefallenen Schill aufgenommen und mit ihm als Spitzenkandidat angetreten ist, holt zwar 3,1 Prozent der Stimmen, verpasst mit diesem Ergebnis aber ebenfalls deutlich den Einzug in die neugewählte Bürgerschaft.

Die CDU regiert in der Hansestadt vier Jahre lang allein. Bei der Bürgerschaftswahl 2008 müssen die Christdemokraten aber Verluste hinnehmen. Ole von Beust bildet daher mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene in Deutschland. 2010 jedoch tritt er - amtsmüde geworden - zurück.

Was macht von Beust heute?

Ole von Beust, Vorsitzender des Berlin-Beirats der CDU-Programmkommission, spricht am 11. Juni 2021 bei der Vorstellung des Entwurfs des Regierungsprogramms der CDU Berlin im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz. © picture alliance/dpa Foto: Christoph Soeder
Von Beust arbeitet als Berater und nutzt seine jahrzehntelang gewachsenen Erfahrungen.

Der ehemalige Bürgermeister hat damals - im Alter von 55 Jahren - noch keine Lust auf Vorruhestand. Der studierte Jurist, der aber jahrelang nicht als Rechtsanwalt gearbeitet hat, wird Lobbyist. Der "Spiegel" berichtet 2017 über von Beust, dass er vier Jahre lang die Interessen der türkischen Regierung vertreten habe - für gutes Geld und auch noch, nachdem Recep Tayyip Erdoğan die Proteste in Istanbuls Gezi-Park mit Gewalt beendet hat. Im Oktober 2016 äußert sich von Beust dem Magazin zufolge in einem Interview erstmals öffentlich kritisch gegenüber Erdogan. Kurz darauf wird die Zusammenarbeit mit ihm beendet.

Von Beust lebt sowohl in Berlin als auch in Hamburg. Für die Entwicklung der Hansestadt kommen ihm noch immer Ideen - seien es Kooperationen mit Kopenhagen und Malmö, um Hamburg zu einem Tor nach Skandinavien zu machen, oder gemeinsame Konzepte für Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft mit Berlin. Laut "Spiegel" von 2017 schließt von Beust ein Comeback in die Politik aus. Stattdessen wolle er sein Beratungsunternehmen weiter ausbauen. Eigenen Angaben zufolge liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit auf "Beratung und Unterstützung von Investoren und Projektentwicklern bei Fragen der Ansiedlung, in Genehmigungsverfahren und der Analyse und rechtlichen Einschätzung der Vorhaben".

Was ist aus Schill geworden?

Direkt nach der Wahlniederlage 2004 kündigt Schill an, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen. Das geschieht aber völlig anders als bei von Beust. Zunächst geht er ins Ausland, reist in die Karibik. Wo genau er sich danach aufhält, ist damals unklar. Als er 2006 vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft aussagen soll, existiert keine Adresse, um ihn offiziell vorzuladen. Er wird in Brasilien vermutet. Ein NDR Team kann Ende 2006 ein Interview in Rio de Janeiro mit ihm führen. Die "Hamburger Morgenpost" berichtet 2007, dass Schill von seiner Pension als Richter lebe.

Der Jurist und ehemalige Politiker Ronald Schill und Belinda Aslani stehen auf dem Oktoberfest 2018 im Käferzelt. © picture alliance/dpa picture alliance/dpa Foto: Felix Hörhager
Feiern und genießen - das hat sich Schill nach seiner politischen Karriere auf die Fahne geschrieben.

Außerdem ist er ab und zu im deutschen Fernsehen zu sehen. 2014 nimmt Schill an "Promi Big Brother" auf SAT.1 teil. 2015 ist er bei "Goodbye Deuschland!" auf VOX dabei. 2016 macht er sich nackig - für eine Promi-Ausgabe der RTL-Sendung "Adam sucht Eva". Bei "Promis unter Palmen" (SAT.1) fühlt er sich 2020 sichtlich wohl. 2022 nimmt er an "Kampf der Realitystars - Schiffbruch am Traumstrand" (RTL 2) teil.

In einem Interview mit den "Stuttgarten Nachrichten" sagt der ehemalige Innensenator 2019, dass er mit knapp 2.000 Euro Pension in Brasilien gut leben könne und nicht beabsichtige, jemals wieder dauerhaft nach Deutschland zurückzukommen. Abstecher wie ein Besuch des Oktoberfests 2018 sind aber immer mal wieder drin.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 19.08.2023 | 19:30 Uhr

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