Der Gorleben-Treck nach Hannover
Als es am 28. März 1979 zu einem Reaktorunfall im US-Atomkraftwerk Harrisburg kommt, sind zwischen dem Wendland und Hannover bereits Hunderte Landwirte auf ihren Traktoren auf den Straßen. Es bedarf gar nicht des Unfalls in den fernen USA - denn hier in Niedersachsen, im beschaulichen Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg, sollen ein Atommüll-Endlager und eine Wiederaufbereitungsanlage entstehen. Das hatte die Landesregierung zwei Jahre zuvor beschlossen.
Erst 350 Traktoren, dann 100.000 Menschen
Die Angst ist groß im Wendland. Groß ist auch der Wille, gegen die Pläne zu kämpfen - unter anderem bei Heinrich Pothmer. Am 25. März macht sich der 25-jährige Landwirt mit vielen anderen auf den Weg nach Hannover. Aufgerufen hatte die "Bäuerliche Notgemeinschaft". Start ist in Gedelitz bei Gorleben, rund 350 Traktoren sind dabei. In Hannover wird sich Pothmer dann vor 100.000 Menschen an Ministerpräsident Ernst Albrecht von der CDU wenden: "Mein lieber Herr Albrecht, wir wollen deinen Schiet nicht haben", brüllte er den Teilnehmern zu, die aus dem gesamten Bundesgebiet zur größten Demonstration in der niedersächsischen Geschichte gekommen sind.
Acht Tage zu Fuß von Gorleben nach Hannover
An die besondere Atmosphäre erinnert sich 25 Jahre später Susanne Kamin: "Uns war damals schon klar: Das ist legendär, was wir hier machen", so die spätere Vorsitzende der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg. Auch die im Jahr 2017 verstorbene Marianne Fritzen ist damals im März 1979 dabei, um gegen die Pläne der Albrecht-Landesregierung zu demonstrieren. Acht Tage ist sie bei norddeutschem Schietwetter zu Fuß unterwegs, ehe sie in Hannover ist. Was sie auf dem Weg sieht, beeindruckt sie. "Was mir imponiert hat, war, dass an den Hausfassaden Transparente hingen und die Leute auf den Balkonen standen und geklatscht habe", so die Gründerin der BI zum 25. Jahrestag des Trecks nach Hannover. "Das war schon überwältigend.
Pläne für Wiederaufarbeitungsanlage werden ad acta gelegt
Überwältigend war auch die Zahl der Demonstranten in Hannover. Unter dem Eindruck des Reaktor-Unfalls in den USA reisten Atomkraft-Gegner und -kritiker aus dem ganzen Bundesgebiet an. 100.000 waren es schließlich. Beeindruckt war offenbar auch Landes-Chef Albrecht. Eine Woche später erklärte er, eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage sei im Wendland politisch nicht durchzusetzen. Gorleben wurde dann aber Standort für zwei nukleare Zwischenlager und die sogenannte Pilotkonditionierungsanlage. Der unterirdische Gorlebener Salzstock wurde jahrzehntelang auf seine Eignung für ein Endlager geprüft. Und das Wendland erlebte immer wieder Zusammenstöße zwischen Atomkraftgegnern und der Staatsmacht, wenn wieder einmal Castortransporte Richtung Gorleben rollten.
Zwei Ausstellungen beleuchten die Ereignisse
Von den Tagen der Aktionen und Reaktionen im Jahr 1979 erzählen zwei Ausstellungen. Die Sonderausstellung "Trecker nach Hannover. Gorleben und die Bewegung zum Atomausstieg" wird seit dem 27. März an im Historischen Museum Hannover gezeigt. In der Sonderausstellung berichten Fotos, Dokumente, Zeitzeugenberichte und "Erinnerungsstücke" über die damaligen Ereignisse und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein. Im Kreishaus in Lüchow ist ab dem 31. März die Schau "Der Gorleben-Treck - 40 Jahre danach" zu besichtigen. Partner bei beiden Vorhaben sind das Historische Museum, das Institut für Didaktik der Demokratie an der Universität Hannover und das Gorleben-Archiv in Lüchow.