Stand: 01.08.2013 21:20 Uhr

"Sie haben uns die Würde genommen"

Ein Porträt von Rolf-Mico Kaletta © NDR
Rolf-Mico Kaletta hat die Verfolgung von Homosexuellen in Hamburg miterlebt.

Rolf-Mico Kaletta blickt zurück auf seine Jugend in Hamburg in den 1950er- und 1960er-Jahren. Hier hat er nicht nur schöne Stunden in den Tanzlokalen für Schwule erlebt. Seine Erinnerungen sind auch geprägt von Angst, Misstrauen und Verfolgung. Im Interview mit NDR.de sagt er, dass Politik und Polizei in der Hansestadt ihm damals die Würde genommen hätten.

Wie haben Sie Hamburg in den 1950er- und 1960er-Jahren erlebt?

Rolf-Mico Kaletta: Als junger Mann habe ich in Lüneburg gelebt und bin an den Wochenenden nach Hamburg gefahren. Da war mir schon klar, dass ich homosexuell bin, es durfte aber natürlich niemand wissen. Damals gab es noch diesen wirklich widerlichen Paragrafen 175, der Schwulsein unter Strafe gestellt hat. Da musste man sich besonders in Hamburg sehr vorsehen.

Wie haben Sie Ihre Sexualität ausleben können?

Kaletta: Tanzlokale und Cafés, in denen Homosexuelle verkehrt haben, waren eine schöne Gelegenheit, einen jungen Mann kennenzulernen. Es gab ja sonst nur Toiletten und Parks als Treffpunkte. Und da wollte ich nicht hingehen. Das war für mich nicht romantisch genug. Weil ich jedoch noch unter 21 war, kam man in die Lokale nicht ohne Weiteres rein. Zum Glück haben die Besitzer des Café Bohème ein Auge zugedrückt. Da bin ich dann immer sonntags nachmittags hin.

Wie sahen die Nachmittage im Bohème aus?

Das war schön. Man konnte ganz offen Männer ansprechen, ob sie nicht Lust hätten zu tanzen. Aber immer war natürlich auch die Furcht dabei, denn jederzeit hätte es zu Polizeikontrollen kommen können. Da ich damals eine Ausbildung zum Beamten gemacht habe und später als Beamter gearbeitet habe, war das natürlich ein großes Risiko. Da hatte ich furchtbare Angst.

1960 wurde das Tanzverbot in Lokalen eingeführt, in denen Schwule sich trafen. Wie haben Sie das empfunden?

Kaletta: Das war ganz furchtbar. Wir saßen da am Sonntagnachmittag und guckten uns dumm an. Man wusste gar nicht mehr, wie man zueinander finden sollte. Die Besitzerin ließ irgendwann Tischtelefone anbringen, so wie im Café Keese. Das hat eine Weile funktioniert. Aber irgendwie war uns das auch zu doof. Das Geschäft ist nicht mehr gelaufen. Sie hat das Café zwei Jahre später aufgegeben.

Wie haben Sie dann Kontakte geknüpft?

Kaletta: Ich hatte Glück. Ich habe meinen Freund zufällig im Park Planten un Blomen kennengelernt. Aber als wir uns trafen, war ich misstrauisch und fragte mich: "Ist das jetzt ein Schwulenhasser, der mit einem aufs Zimmer geht und dann die Polizei ruft?" Da hatte ich fürchterliche Angst vor.

Wie haben Sie das Klima in Hamburg damals empfunden?

Kaletta: Als sehr beklemmend. In der Zeit, in der ich zwischen 15 und 20 Jahre alt war, haben sich mindestens drei Bekannte das Leben genommen, weil sie fürchteten, dass ihnen der Prozess wegen Paragraf 175 gemacht würde. Das war in anderen Städten viel weniger drastisch.

Wussten Sie, dass es Spiegel in den Toiletten gab, durch die die Toilettenbesucher von der Polizei observiert wurden?

Kaletta: Davon hatte ich gehört, konnte das aber gar nicht glauben. Ich hab mir das dann mal angeschaut und bin in so eine Toilette gegangen. Da war ich sehr nervös und hatte große Angst. Diese Art der Überwachung war widerlich.

Wie blicken Sie heute auf die Zeit damals zurück?

Kaletta: Die Würde wurde uns genommen. Sie wurde mit Füßen getreten. Von der Hamburger Politik und von der Polizei - diese Würde, den Stolz, den Schneid, den man als junger Mensch hat. Diese Verletzung ist bis heute noch in meinem Kopf und schlägt nach so vielen Jahren immer noch in unsagbare Wut um. Meine Jugend wurde vernichtet.

Das Interview führte Hanna Grimm, NDR.de

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