Stand: 11.11.2014 19:29 Uhr

Hamburg im Visier der Stasi

von Maiken Nielsen
Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin. © NDR/Torsten Oestermann
In der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin lagern auch Tausende Akten über Hamburger.

Die Braut trägt ein schimmerndes, weißes Kleid, der Bräutigam - eine elegante Erscheinung in Schwarz - hält lachend ihren Arm. Auf Hunderten von Bildern sind die beiden zu sehen - wie sie an der Kamera vorbei die Straße hinabblicken, wie sie sich anlächeln, wie sie vor einem Wagen im Design der sechziger Jahre stehen. "Die Stasi hat die Hochzeit besser dokumentiert als der Hochzeitsfotograf", erklärt Rüdiger Sielaff, Außenstellenleiter der Behörde für Stasi-Unterlagen in Frankfurt (Oder). Warum? Weil der Bräutigam aus Hamburg stammte und die Braut eine DDR-Bürgerin war.

VIDEO: Hamburg damals: Als die Stasi auf den Kiez kam (5 Min)

So wie dieses Paar sind zwischen 1950 und 1989 unzählige Hamburger ins Visier der Stasi geraten. Aus der Hansestadt wurden bis heute bei der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin 19.000 Anträge auf Akteneinsicht oder Auskunft bearbeitet. Einige dieser Anträge stammen von Journalisten, doch die meisten sind Bürgeranträge. Denn die Stasi hat sich für Hamburg und seine Bewohner sehr interessiert.

Nur auf den ersten Blick belanglos

Montagabend in der Grundbuchhalle des Landgerichts Hamburg am Sievekingplatz. Rund fünfzig Menschen sind gekommen, um Rüdiger Sielaffs Vortrag über "Informationen aus dem Operationsgebiet Hamburg" zu hören. Es sind ehemals Verfolgte der Stasi, die in Hamburg ein neues Zuhause gefunden haben. Aber auch Hamburger, die Akteneinsicht gefordert haben oder noch fordern wollen sind darunter. "Viele Menschen lassen Zeit verstreichen, bis sie sich trauen, die Akten einzusehen", sagt Sielaff. Denn oftmals sind die Stasi-Berichte von ehemals guten Freunden geschrieben worden, von Kollegen, Familienmitgliedern gar. Der Verrat wirkt wie ein Trauma. 

Weitere Informationen
Archivierte Akten von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) lagern in den Räumen der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. © picture alliance / dpa Foto: Rainer Jensen

FAQ: Der Weg zur eigenen Stasi-Akte

Gibt es auch über mich eine Stasi-Akte? Die wichtigsten Informationen zum Antrag auf Akteneinsicht und das weitere Verfahren. mehr

Etliche Informationen klingen, für sich gesehen, belanglos. Wie etwa jene über den Elektronikstudenten "Lauser", den die Stasi gern anwerben möchte, denn "die Zielperson spielt Tennis. In ihrem Besitz befand sich das Buch "Das Kapital" von Karl Marx."  Doch all diese notierten Beobachtungen sind Mosaiksteine, aus denen sich das Ministerium für Staatssicherheit irgendwann ein Gesamtbild baut. Etwa jene über die Redaktion der "Zeit". Laut Stasi eine "antikommunistische von Konvergenz durchsetzte Wochenzeitung, die sich ausschießlich (...) an intellektuelle Bürger wendet" und die es schaffe, "bei ideologisch nicht gefestigten Personen in den sozialistischen Ländern Boden zu gewinnen." Die Redaktionsräume  lägen im fünften und sechsten Stock, "es werde selten das Treppenhaus genutzt."

Verbrannte Wege

Fahrstuhl fahrende Journalisten sind nicht die einzigen Medienvertreter, die ins Visier der Stasi geraten. Auch der NDR wird von Inoffiziellen Mitarbeiten in großem Stil durchleuchtet. Die Stasi will herausfinden, welche Medienvertreter geneigt sind, Informationen aufzubereiten, die die Abteilung für Desinformation gezielt an West-Journalisten schickt. Stasi-IM bespitzeln auch die Hamburger Polizei. Das Pikante dabei: Ausgerechnet ein St. Paulianer, ein Vertreter der Hamburger Unterwelt, der auf dem Kiez als Gastronom und Zuhälter arbeitet, liefert der Stasi kompromittierende Informationen über Polizeibeamte.

Doch vor allem will das Ministerium für Staatsicherheit in Hamburger Fluchthilfeorganisationen eindringen, wie "Helfende Hände", "Pro Humanitate" und "Flüchtlingsstarthilfe". Sie will Fluchthilfe verhindern und die westdeutschen Helfer hinter Gitter bringen. Vor allem ist sie an Informationen interessiert, auf welche Weise die Fluchthilfe gelingt. Sielaff zeigt eine Postkarte aus Hamburg, die an eine Familie in der DDR geschickt wurde. "Ihr Lieben! Wir haben es geschafft!", steht darauf. "Die Fluchthelfer haben gesagt: Ihr dürft schreiben, dass ihr angekommen seid aber niemals wie. Denn dann ist dieser Weg verbrannt", bemerkt Sielaff dazu.

111 Kilometer Akten

Es ist still während des Vortrags, die Besucher bestaunen die Bilder, die Sielaff an den Beamer wirft: einzelne Fundstücke aus 39 Millionen Karteikarten, 111 Kilometer Akten und 1,75 Millionen Fotografien. Dann fragt Sielaff, ob jemand noch Fragen habe, ein Mann meldet sich, und auf einmal kommt Bewegung in den Raum. Er habe auch für die Staatssicherheit gearbeitet, erklärt der Zuhörer  mit sächsischem Dialekt. Und es stimme so gar nicht, was Sielaff da behauptet. In den Stasi-Akten stünde die Wahrheit. Er habe seine eigene Akte eingesehen und 90 Prozent dessen, was da stand, sei wahr.

"Du Schwein!", ruft ein Zuhörer. "Wir wurden ständig und immerzu beobachtet", bemerkt ein anderer. "Ob es stimmt, was die über uns geschrieben haben - darum geht es doch gar nicht hier!" Das hat das Hochzeitspaar auf den Bildern des Stasi-Fotografen vermutlich genauso gesehen.

Weitere Informationen
Ein Mann mit Kopfhörern sitzt hinter einem Tonbandgerät © PantherMedia Foto: NEW_PHOTOS

Die Stasi - Mitten in Niedersachsen

Top-Spione, IM und Stasi-Opfer - was gefühlt eher in die DDR gehört, hatte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auch seinen festen Platz und ebensolche Strukturen in Niedersachsen. mehr

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 16.11.2014 | 19:30 Uhr

NDR Logo
Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/geschichte/Die-Stasi-Mtten-in-Hamburg-,stasi692.html

Mehr Geschichte

Aus Hamburg kommende Demonstranten auf ihrem Marsch am 18. April 1960: Demonstranten in Regenkleidung halten Plakate wie 'Atomare Aufrüstung bedeutet Krieg und Elend'. © picture-alliance / dpa Foto: Marek

Wie sich der Ostermarsch zur Friedensbewegung entwickelte

Der erste Protestmarsch führt 1960 ab Karfreitag in die Lüneburger Heide. In diesem Jahr finden die Märsche bis zum 1. April statt. mehr

Norddeutsche Geschichte