Stand: 09.07.2019 05:56 Uhr

Energiewende: "An Land geht gar nichts mehr"

Die Energiewende soll kommen - Wind und Sonne sind dafür unverzichtbar. Der niederländische Energieversorger Tennet plant ein gigantisches Verteilkreuz in der Nordsee, das inklusive künstlich angelegter Inseln Strom aus erneuerbarer Energie nach Europa transportieren soll. Heute werden die Pläne in Hannover im Rahmen der Landespressekonferenz vorgestellt (ab 9.30 Uhr im Livestream bei NDR.de). NDR.de hat im Vorfeld ein Interview mit Volker Quaschning, Professor für regenerative Energien an der HTW Berlin, zu dem Projekt geführt.

Ein Porträt von Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energien an der HTW Berlin. © Volker Quaschning Webseite Foto: Silke Reents
Volker Quaschning, Professor für regenerative Energien, fordert einen rascheren Umstieg. (Archiv)

Herr Quaschning, wie sinnvoll schätzen Sie den Bau eines solchen Mega-Projektes in der Nordsee ein?

Volker Quaschning: Da müssen wir die Zeitachse beachten. Das sind ja Zukunftsideen und langfristige Überlegungen sind natürlich sinnvoll, gerade, weil wir in Deutschland und Europa ein neues, ein anderes Energiesystem brauchen. Derzeit liegt der Anteil von erneuerbaren Energien bei etwa 14 Prozent. Wenn wir die Energiewende durchziehen wollen, dann muss dieser Anteil mindestens verfünffacht werden. Wir haben festgestellt, dass die Flächen für Windparks an Land einfach nicht ausreichen. Das heißt, wir brauchen Offshore-Windenergie. Ganz weg vom Land geht allerdings auch nicht, da auch die Flächen in der Nordsee begrenzt sind. Um 100 Prozent erneuerbare Energien zu erzeugen, brauchen wir eine Mischung: gut 50 Prozent Windkraft und für den Rest Photovoltaik und andere erneuerbare Energien. Der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen muss also parallel vorangetrieben werden.

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Ein geplantes Windenergie-Verteilkreuz in der Nordsee. © TenneT TSO GmbH

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Was spricht aus Ihrer Sicht für und gegen den Standort?

Quaschning: Das Problem ist, dass in diesem Windpark sehr große Leistungen erzeugt werden können - aber niemand dort wohnt. Das heißt, dass der Strom transportiert werden muss. Und beim Zwischenspeichern des Stroms in Gas und anschließender Rückverstromung treten immer Verluste auf. Die können bei bis zu 60 Prozent liegen. Der Vorteil liegt dagegen natürlich klar auf der Hand: Dort wohnt niemand. Das heißt, der Bau von Tausenden von Windkrafträdern stört auch niemanden.

Der Bau wird vermutlich einen immensen Energieaufwand mit sich bringen. Ist das wirtschaftlich und ökologisch vertretbar?

Quaschning: Man braucht bei Windrädern natürlich viel Energie, um Stahl zu gewinnen oder um die Rotorblätter zu bauen. Aber insgesamt sehen die sogenannten Energierücklaufzahlen sehr gut aus - also die Zeit, bis die Energiebilanz eines Windrades im Vergleich zum Aufwand seines Baus positiv ausfällt. Dazu kommt bei diesem Projekt natürlich der Aufwand für den Bau von Leitungen und den Bau der Plattform. Dazu liegen mir keine Studien oder Zahlen vor, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Energieaufwand hier so hoch ist, dass es unwirtschaftlich wird. Es sei denn, der Sand muss wie in Dubai aus Australien herangeschafft werden, wie es beim Projekt "The World" der Fall war.

Wo sehen Sie weitere Probleme, die durch den Bau verursacht werden könnten?

Quaschning: Bei solchen Projekten werden die finanziellen Risiken oft auf die Allgemeinheit umgelegt, etwaige Gewinne kassiert aber einzig und allein die Betreiberfirma. Das ist ein Problem in meinen Augen. Dazu kommt, dass bei einem so großen, zentralen Projekt mit nur wenigen Leitungen die Anfälligkeit des Systems steigt. Denn wenn zwei Leitungen gekappt werden, etwa, weil ein Fischer seinen Anker unglücklich auswirft, kann ein Großteil der Versorgung wegbrechen. Kleinere, dezentrale Systeme halte ich für weniger anfällig und sie sind in einem Krisenfall auch nicht so leicht zu blockieren. Ein großer Vorteil der Idee ist, dass hier mit mehr Tempo gearbeitet werden kann. Anwohner und Umweltverträglichkeit stehen dem Bau auf See nicht im Wege, hier müssen keine Fledermäuse gezählt werden. Es geht einfach deutlich schneller.

Apropos Tempo: Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis der North Sea Wind Power Hub fertig ist. Zu lange?

Quaschning: Wenn wir die Klimaschutzaspekte im Blick behalten, müssten wir im Jahr 2035 mit der Energiewende fertig sein. Wenn der Windpark bis zum Jahr 2040 gebaut ist, dann ist das in Ordnung, denke ich. Alles darüber hinaus wäre schon arg spät, denn uns drohen bereits ab 2021 Strafzahlungen wegen zu hoher Treibhausgas-Emissionen. Wir sind also tunlichst beraten, schneller zu bauen - und an Land geht derzeit gar nichts mehr. Im ersten Quartal hatten wir nach einer Gesetzesänderung die geringste Quote von Windenergiezubauten seit 19 Jahren. Das war eine Katastrophe mit Ansage. Die aktuellen Rahmenbedingungen machen es leider sehr aufwendig, solche Projekte in Deutschland zu realisieren.

Das Interview führte Nils Hartung, NDR.de.

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 09.07.2019 | 19:30 Uhr

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