Ukraine-Krieg: Wie geht man mit der Angst um?
Panzer rollen durch Straßen, Häuser sind zerschossen, Menschen kauern sich in Kellern zusammen: Die Bilder, die man aus der Ukraine aktuell sehen kann, sind erschreckend. Das macht vielen Angst. Über diese Angst und wie damit umgegangen werden kann, hat Harriet Heise mit dem Psychiater und Psychotherapeuten Professor Arno Deister von der Uni Kiel gesprochen.
NDR Schleswig-Holstein: Herr Professor Deister, die Situation im Moment ist ja wirklich bedrohlich. Es herrscht Krieg in der Ukraine und Putin hat tatsächlich die Abschreckungswaffen, also auch Atomraketen, aktiviert. Was für Ängste kommen da in einer solchen Situation hoch?

Arno Deister: Wenn ich in einer solchen Situation Angst habe, dann ist das erstmal etwas völlig Normales. Es ist natürlich Angst - oberflächlich betrachtet - vor Krieg. Aber ganz besonders ist es Angst vor Kontrollverlust. Es geschieht etwas, was ich überhaupt nicht beeinflussen kann, was ich auch nicht verstehen kann. Und deswegen ist es eine ganz typische Situation dafür, dass mir etwas Angst macht.
Rein medizinisch: Was macht Angst eigentlich mit Menschen?
Deister: Die Angst ist ja ein ganz umfassendes biologisches Prinzip. Das heißt, ich fühle Angst. Das ist das, was wir alle kennen. Gleichzeitig passiert aber in meinem Körper unglaublich viel. Es passiert eigentlich das, was vor vielen tausend Jahren, als sich der Mensch entwickelt hat, dazu da war, dass ich möglichst schnell weglaufen kann: Der Kreislauf geht hoch, die Atmung wird schnell. Und der dritte Teil ist genau der, der dafür da ist, dann auch wegzulaufen. Das ist etwas, was ich genau in dieser Situation jetzt nicht kann. Deswegen läuft die Angst eigentlich ein Stück ins Leere.
Was für eine Option hab ich dann? Wie kann ich dann versuchen, mit dieser Angst umzugehen?
Deister: Das Wichtigste ist, zu wissen, dass diese Angst etwas Reales ist. Das heißt, dass ich auch zu dieser Angst stehe. Ich darf Angst haben in dieser Situation. Weiterhin ist auch wichtig, die Angst mit anderen zu teilen, weil andere diese Angst auch haben. Dann halte ich es für extrem wichtig, auch diese Angst einordnen zu können. Das ist ein großes Problem, denn wir kriegen ganz viele Meldungen, deren Bedeutung und Bewertung wir für uns nicht einschätzen können. Dass wir versuchen, uns klarzumachen, was eigentlich wirklich das ist, was mich betrifft? Und dann wirklich zu dieser Angst zu stehen und auch die Informationen, die ich bekomme, zu kanalisieren.
Nun gehen ja Menschen ganz unterschiedlich mit Angst um. Es gibt manche, die können das locker ausblenden. Es gibt andere, die sind dann wie gelähmt. Woran liegt das?
Deister: Das ist stark unterschiedlich von Person zu Person. Es gibt Menschen, die eher dazu neigen, Angst zu haben und davon blockiert sind. Andere können besser damit umgehen. Wir alle haben aber im Moment das Problem, dass wir durch die seit zwei Jahren bestehende Pandemie-Situation am Ende unserer Kraft sind. Und jetzt kommt das noch dazu. Das verstärkt die Problematik ganz deutlich.
Ein ganz wichtiger Punkt sind auch unsere Kinder. Die bekommen natürlich mit, dass Krieg in der Ukraine ist. Was macht es mit denen? Und wie können wir als Eltern helfen?
Deister: Wir haben auch Angst, weil bestimmte Erfahrungen wieder aktualisiert werden. Das gilt natürlich für die, die solche Situation schon mal erlebt haben. Erwachsene haben eben sehr viel davon gehört. Kinder und Jugendliche haben diese Erfahrung nicht. Das heißt, wir müssen genau für Kinder und Jugendliche diese Situation einordnen. Ihnen klarmachen, was daran gefährlich ist, aber auch klarmachen, dass sie geschützt sind und dass sie sich schützen können. Das ist eine Erfahrung, die sie bisher noch nicht machen konnten. Und die müssen wir stellvertretend für die Kinder machen und den Kindern und Jugendlichen weitergeben.
Herzlichen Dank Herr Professor Arno Deister.
Das Interview führte Schleswig-Holstein Magazin Moderatorin Harriet Heise.
