Lauren Grüterich (links) und Caro Höschle (rechts) stehen auf dem Steg des Museumshafens in Flensburg und halten einen selbstgebauten „Manta Trawl“ in die Kamera. © Weniger ist Meer

Mikroplastik im Meer: Wenn Laien der Wissenschaft dienen

Stand: 26.12.2021 06:00 Uhr

Zwei Flensburgerinnen fischen in Nord- und Ostsee nach Mikroplastik. Neun Traditionssegler und zahlreiche Ehrenamtler unterstützen sie bei dem sogenannten Citizen Science Projekt. Die Ergebnisse sollen der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden.

von Johanna Jannsen

Inmitten der schroffen Felsen vor Grönlands Küste entsteht vor zwei Jahren ihre Projektidee: An Deck der "Dagmar Aaen", dem Holzschiff von Polarforscher Arved Fuchs, stehen Caro Höschle und Lauren Grüterich in warmen Wollpullovern und lassen an einem langen Seil einen offenen Kasten mit einem Filternetz ins eisige Wasser der Arktis gleiten. Für einige Zeit treibt das Gestell in Form eines Mantarochens neben ihnen, fischt dabei die Wasseroberfläche ab. Nach 20 Minuten ziehen sie den sogenannten Manta Trawl (Englisch für Schleppnetz) zurück an Bord und öffnen das Netz.

Zu sehen sind: Plastikpartikel. Genau danach haben sie gesucht - und trotzdem hält sich die Freude über ihren Fund in Grenzen. Kurz darauf taucht neben ihnen ein Buckelwal auf. An der Stelle, an der vor einigen Minuten noch Plastik schwamm, taucht der Wal lautlos zurück in die Tiefe. "Die Tiere haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Sie nehmen das Mikroplastik mit auf und haben es später in ihrem Körper, das hat uns bewegt", erinnert sich Caro an die Begegnung in der Arktis.

Suche nach Mitforschenden beginnt am Bildschirm

Hunderte Seemeilen von der Heimat entfernt, stellen sich die beiden Flensburgerinnen die Frage nach dem Zustand des Meeres vor der eigenen Haustür. Sie sind neugierig. "Finden wir Mikroplastik auch in unseren Meeren? Und wenn ja, wie viel?" Mit ihren Fragen ist gleichzeitig die Idee ihres ehrenamtlichen Forschungsprojekts mit den Manta Trawls geboren. Doch für die Umsetzung benötigen sie Hilfe.

Mitte April 2021. Caro und Lauren sitzen vor ihrer Webcam am Computer. "Selbst wenn wir in Flensburg sitzen und hier Müll ins Meer kommt: Es reicht, um damit die letzte Ecke des Planeten zu erreichen", erzählt Caro den über 150 Projektinteressierten, die an ihrer Online-Auftaktveranstaltung teilnehmen. Gemeinsam mit ihrer Projektpartnerin Lauren hat sie das sogenannte Citizen Science Projekt (Englisch für Bürgerwissenschaftsprojekt) mit dem Namen "Weniger ist Meer" ins Leben gerufen. Nun animieren sie Menschen mitzuforschen.

"Selbst wenn wir in Flensburg sitzen und hier Müll ins Meer kommt: Es reicht, um damit die letzte Ecke des Planeten zu erreichen." Caro Höschle, Mitgründerin von "Weniger ist Meer"

Die Flensburgerinnen teilen ihre Liebe für das Meer, beide sind leidenschaftliche Seglerinnen. Caro arbeitet als Biologin und erstellt Umweltgutachten, Lauren ist Wirtschaftsingenieurin im Energie- und Umweltmanagement. Ihr Mikroplastik-Projekt setzen sie in ihrer freien Zeit um. "Wir beide haben so ein intensives Gefühl, dass wir eine Verantwortung für das Meer haben", erzählt Caro ihren möglichen Mitforschern.

Citizen Science Projekt: Bürger schaffen Wissen

Um möglichst flächendeckend Daten für die Wissenschaft zu erfassen, haben die beiden die Sammelaktion bewusst als Bürgerwissenschaft ausgelegt, bei dem sich Interessierte einbringen und mitforschen können. Bei der Bürgerwissenschaft werden Forschungsprojekte mit Hilfe von oder komplett durch interessierte Laien durchgeführt. Auch Menschen ohne Vorwissen sind bei "Weniger ist Meer" willkommen, um persönlich mit dem Thema Mikroplastik sensibilisiert zu werden. "Der große Vorteil von Citizen Science: Die Anzahl der Probennahme und die zeitgleiche flächige Abdeckung der Nord- und Ostsee ist viel größer, als wenn nur ein Institut mit dem Manta Trawl eine Strecke entlangfährt", stellt Biologin Caro begeistert fest.

Damit die Beprobung zeitgleich an mehreren Orten stattfinden kann, fragen die jungen Frauen verschiedene Traditionssegelschiffe an. Beide schätzen den unkomplizierten Wissensaustausch an Bord: "Uns war schnell klar, wir wollen die Traditionssegelschiffe als Vehikel für die Beprobung mit den Manta Trawls nutzen."

Mikroplastikpartikel: Kleiner als fünf Millimeter

Auch Wissenschaftlerin Thea Hamm vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel ist begeistert von dieser Forschungsmethode. Sie unterstützt Lauren und Caro bei der Umsetzung und informiert die Zuhörer und Zuhörerinnen bei der Auftaktveranstaltung mit Fakten rund um das Thema Meeresverschmutzung durch Mikroplastik. "Von den Küsten bis in die Tiefsee - mittlerweile befinden sich laut Hochrechnungen bereits 140 bis 200 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren", erklärt die Wissenschaftlerin. Darunter Unmengen an Mikroplastikpartikeln, die gemäß Definition kleiner als fünf Millimeter sind.

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Bei Müllsammelaktionen an Stränden, den sogenannten "Ocean Cleanups", ist die Datenerhebung von größerem Makroplastik in den letzten Jahren gestiegen. Die Forschung von Mikroplastik im Meer sei hingegen noch sehr jung, erzählen Caro und Lauren. Bisher sei ihnen noch keine Erfassung bekannt, die sich so flächendeckend mit Mikroplastik in Nord- und Ostsee beschäftigt hat.

Manta Trawls nach Schritt-für-Schritt-Anleitung

"Ein Manta Trawl hat eine Öffnung wie ein Mantarochen", erklärt Lauren die Namensverwandtschaft mit den Meeresbewohnern, während sie ihren Kopf durch den Holzkasten an der Öffnung des Netzes steckt. Eine liebevoll gestaltete Schritt-für-Schritt Bauanleitung ihrer Forschungswerkzeuge haben sie für ihre Projektteilnehmer gestaltet. Egal ob Vorwissen da ist oder nicht - "Hauptsache die Leute haben Spaß beim Nachbauen", strahlt Caro, während sie mit einem Akkuschrauber Einzelteile zusammenbaut. In der Werkstattgemeinschaft "Hafenwerk" in Flensburg haben sie sich eine kleine Produktionsstraße eingerichtet. Die Holzbauteile werden hier zugesägt, vorgebohrt und mit Öl behandelt. An einem Wochenende entstehen insgesamt zwölf einsatzfähige Filtergestelle.

Um sich die Materialien zu finanzieren, starteten sie eine Crowdfunding-Kampagne und sammelten so über 3.000 Euro. Die Förderzusage der Umweltlotterie motivierte zusätzlich, trotz Corona-Planungsschwierigkeiten, zum Weitermachen. Als dann noch eine Firma aus Altenholz auf ihr ehrenamtliches Engagement aufmerksam wurde und zwölf eigens angefertigte Filternetze spendete, steht der Trawl-Woche im Sommer dieses Jahres nichts mehr im Weg.

Erste Proben am Ausgang der Flensburger Förde

Ende Mai 2021 ist es endlich soweit. Caro und Lauren haben sich für die Trawl-Woche aufgeteilt: Lauren auf dem Ostseegewässer, Caro im Wattenmeer. Zeitgleich fischen neun Traditionssegelschiffe auf der Nord- und Ostsee sowie auf der Elbe nach Mikroplastik.

"Der große Vorteil von Citizen Science: Die Anzahl der Probennahme und die zeitgleiche flächige Abdeckung der Nord- und Ostsee ist viel größer, als wenn nur ein Institut mit dem Manta Trawl eine Strecke entlangfährt." Caro Höschle, Mitgründerin von "Weniger ist Meer"

Die "Albin Köbis", 73 Jahre alt, ist eine von den neun Traditionsseglern. Hier, in der Geltinger Bucht am Ausgang der Flensburger Förde, wollen die ehrenamtlichen Forscher und Forscherinnen zum ersten Mal Proben nehmen. "Schweinswale Backbord", ruft Kapitän Christian Aschinger in die Runde. Aufgeregt blicken alle in Richtung Dänemark. Zwei Finnen gleiten ruhig durch das glitzernde Wasser. Aufgeregt befestigt Teilnehmerin Emma den Netzstoff mit einem Reißverschluss an der quadratischen Öffnung. Seit dem Webinar im April fiebert die 17-jährige Schülerin aus Hamburg dieser Woche entgegen. Für sie ist es das erste Mal an Bord eines Traditionsseglers.

Eine Crew ist im Sommer sieben Tage auf der Ostsee unterwegs

Emma Hilgenstock (links) sitzt an Deck des Traditionsseglers Albin Köbis und spricht mit Lauren Grüterich (rechts) © NDR Foto: Johanna Jannsen
Die 17-jährige Schülerin Emma (l.) aus Hamburg hat der Woche auf dem Traditionssegler entgegengefiebert. Doch die Funde im Wasser machen sie nachdenklich.

Zusammen mit Lauren lässt Emma vorsichtig das Manta Trawl für insgesamt 30 Minuten in das Fördewasser hinab. "Hol" nennen sie diesen Vorgang, der einmal täglich durchgeführt wird. Bei zweieinhalb Knoten Fahrt notiert die Schülerin die genauen Koordinaten der Beprobungsstelle. "Im Gegensatz zum Segeln, kannte ich die Handgriffe für den "Hol" nach den ersten zwei, drei Tagen", erzählt die Schülerin stolz. Vorsichtig zieht sie danach mit einer Pinzette die gesammelten Algen auseinander und kneift angestrengt die Augen zusammen.

Kann das kleine Teilchen dazwischen Mikroplastik sein? Rein ins Glas damit. Mit ihrer Vorauswertung an Bord schaffen die ehrenamtlichen Forscher die Grundlage für die späteren Laboruntersuchungen auf Helgoland. Sieben Tage lang können Emma und die anderen Teilnehmer segeln und sich dabei selbst ein Bild von dem Zustand der Ostsee machen. "Dass wir Mikroplastik gefunden haben, ließ uns trotzdem nachdenklich werden. Jetzt blicken wir gespannt auf die endgültigen Laborergebnisse", sagt Emma.

Unterm Spektrometer auf Helgoland sehen sie Polypropylen

Ein halbes Jahr später. Der Rucksack von Caro und Lauren, vollgepackt mit 20 Probengläsern aus der Trawl-Woche, klimpert beim Betreten der Fähre nach Helgoland. Heute geht es für die Auswertung der Proben in das Schülerlabor des Alfred-Wegener-Instituts, das zum Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung gehört. Fünf Tage haben sich Caro und Lauren dafür Urlaub genommen. Vor ihnen liegt eine Menge Arbeit. Die Proben von neun Schiffen legen sie einzeln unter eine spezielles Messinstrument, um als Mikroplastik identifiziert zu werden. Mit Hilfe eines Spektrometers untersuchen sie die Mikropartikel auf anorganisches Material. Eine Datenbank hilft bei der Bestimmung der Wellenlängen, die daraufhin zur Identifizierung der Proben führen.

"Wir beide haben so ein intensives Gefühl, dass wir eine Verantwortung für das Meer haben." Caro Höschle, Mitgründerin von "Weniger ist Meer"

Konzentriert legt Caro eine Probe von ihrem Segeltörn unter den Diamanten des Spektrometers. "Das hier ist Polypropylen", stellt Caro aufgeregt fest und blickt auf den Computerbildschirm. Die Datenbank erkennt die Wellenformen des Teilchens aus der Nordsee: Polypropylen, ein Kunststoff, der sich unter dem Einfluss von UV-Strahlung zersetzt. Über die Hälfte der gesammelten Proben lassen sich innerhalb der nächsten Tage als Mikroplastik identifizieren.

Nächste Schritte: Ausstellung, wissenschaftliches Paper

Trotzdem blicken die Freundinnen zufrieden auf ihr Projekt. Ein Museum in Rottenburg am Neckar sei auf ihre Aktion aufmerksam geworden. "Sie möchten einen unserer Manta Trawls ausstellen", freut sich Caro über die Rückmeldung aus ihrem Heimatort. Anschaulich und verständlich für jeden - so planen Caro und Lauren eine Wanderausstellung fürs kommende Jahr. Darüber hinaus soll ein wissenschaftliches Paper aus den Laborergebnissen erstellt werden. So sollen die Ergebnisse des Projekts der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden.

Ihre selbstgebauten Manta Trawls wollen sie auch 2022 wieder ins Wasser bringen. "Wir wollen die Trawls an Interessierte verleihen und freuen uns, wenn das Projekt weitergeht", sagen sie. Gleichzeitig sind sich die beiden bewusst: "Plastik wird nie wieder von dem Planeten weggehen, es ist langlebig und wird in irgendeiner Form weiterhin existieren."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 03.01.2022 | 19:30 Uhr

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