Das ist die neue Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung
Mehr Miteinander, mehr gemeinsamer und sicherer Lebensraum, weniger alte Strukturen: Das sind Themen, die Michaela Pries angehen möchte, wenn sie am 22. April ihr Amt als Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung antritt. Vom schleswig-holsteinischen Landtag wurde sie einstimmig zur Nachfolgerin von Ulrich Hase gewählt. Seit 2010 ist die 55-Jährige in der Kieler Stiftung Drachensee aktiv. Nun bereitet sich die staatlich anerkannte Erzieherin und Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen auf ihren neuen Job vor.
NDR Schleswig-Holstein: Frau Pries, in knapp zwei Monaten treten sie ihre neue Aufgabe als Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein an. Warum ist diese Stelle für Sie so wichtig?
Michaela Pries: Ich habe während meines Studiums der Erziehungswissenschaften, das ich insbesondere aus gesundheitlichen Gründen nicht beenden konnte, gemerkt, dass mir die pädagogische Arbeit besonders liegt und gefällt. Daraufhin habe ich dann die Ausbildung zur Erzieherin gemacht. In dieser Arbeit hat sich auch immer mein Engagement widergespiegelt, die Gesellschaft verändern zu wollen und Startchancen zu schaffen. Die Arbeit mit behinderten Menschen ist aber vor allem auch eine Arbeit für behinderte Menschen, denn sie wirken ja im ganz Wesentlichen mit und wissen, was sie wollen und was ihnen gefällt. Und natürlich auch, was nicht.
NDR Schleswig-Holstein: Ihr Interesse hat aber auch persönliche Gründe…
Michaela Pries: Meine erste persönliche Erfahrung hatte ich während meiner Jugendzeit, als meine Mutter schwer erkrankte. Das brachte das Familiensystem schon sehr durcheinander. Zusätzlich zu meinem beruflichen Werdegang habe ich mich sehr in der Kommunalpolitik im Bereich Soziales, Gesundheit und Jugendhilfe engagiert. Und seit 2003 bin ich außerdem Mitglied im Beirat für Menschen mit Behinderung der Landeshauptstadt Kiel. Diese drei Punkte - Angehörige, politische Entscheiderin und Beruf - mit in die neue Aufgabe einbringen zu können, schafft mir einen guten Zugang im Verständnis und für die Probleme von behinderten Menschen. Ich hoffe und glaube, dass ich eine gute Vermittlerin zwischen diesen Welten sein kann.
NDR Schleswig-Holstein: Welches sind die Themen, die Sie aktuell besonders beschäftigen?
Michaela Pries: Zum einen geht es darum, den Mensch in seinem Lebenszyklus zu sehen und die Übergänge in seinen einzelnen Lebensphasen einfach zu gestalten. Also von der frühkindlichen Förderung über Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf bis hin zum Ruhestand. Ein zweites Thema, das mich sehr beschäftigt, ist die Situation, dass Menschen mit Behinderung überproportional häufig von Gewalt betroffen sind. Auch von sexualisierter Gewalt. Hier geht es dann um Gewaltprävention und Schutzkonzepte. Da gibt es Statistiken, die durch die aktuelle Pandemielage sicher nicht besser werden. Ich würde mir wünschen, dass wir noch ein bisschen mehr tun und dass es ein verpflichtender Bestandteil in Konzepten von Institutionen, die mit behinderten Menschen arbeiten, wird. Und ein dritter, ganz wichtiger Punkt ist, die Selbstvertretung zu stärken. Also Teilhabe an politischen Prozessen, Informationen verständlich aufzuarbeiten und das Mitwirken daran wirklich möglich zu machen.
NDR Schleswig-Holstein: Woran hakt es aktuell noch im gemeinsamen Zusammenleben zwischen den Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung?
Michaela Pries: In unserer Gesellschaft fehlt es einfach noch an Möglichkeiten der gemeinsamen Begegnung. Zum Beispiel in der Schule, beim Wohnen oder auch bei der Freizeitgestaltung. Da sind wir im öffentlichen Leben einfach noch nicht so aufgestellt, dass ein Zugang zu all diesen Bereichen für alle Menschen ohne weiteres möglich ist. Das schafft natürlich Unsicherheiten. Wenn Menschen sich kennenlernen, ins persönliche Gespräch kommen, dann verlieren sich auch die Barrieren. Dann können wir Gräben überwinden und Brücken bauen. Und das alles können wir Stück für Stück weiterentwickeln. Es gibt schon gute Ansätze - aber auch noch viel Luft nach oben.
NDR Schleswig-Holstein: Haben sie eine Vision, was Sie mit ihrem Job als Landesbeauftrage erreichen möchten?
Michaela Pries: Ja natürlich, aber die werde ich wohl persönlich nicht mehr erleben. Ich würde mir wünschen, dass diese Funktion als Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung irgendwann überflüssig ist. Aktuell ist es gut, dass wir sie haben und sie wird auch weiter nötig sein. Aber das wäre meine Vision. Ich weiß um Probleme und um die Hindernisse, sei es auf politischer Ebene oder in Bezug auf finanzielle Ressourcen. Aber nicht alle wichtigen Dinge müssen viel Geld kosten. Nach meinen Vorstellungsrunden bei den Fraktionen des Landtages habe ich aber große Hoffnung, dass wir Schleswig-Holstein gemeinsam weiter zu einem Land des Miteinanders entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Pries.
Das Interview führte Lars Grüning, NDR Schleswig-Holstein
