Eine Chronik: Vom Aufstieg und Niedergang der FSG
Wie es zu der größten Krise in der 148-jährigen FSG-Geschichte kommen konnte, hat NDR.de zusammengefasst.
1872 - 2008: Dampfer, Fracht- und Militärschiffe
1872 wird die FSG gegründet. Bis zum Jahr 2000 werden in Flensburg 700 Schiffe gebaut - alle zwei Monate läuft durchschnittlich ein Bau vom Stapel. Höhen und Tiefen gibt es immer wieder. So wird infolge der Wirtschaftskrise 1929 der Betrieb eingestellt. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg meldet die FSG mehrfach Insolvenz an. Dennoch geht es immer wieder weiter.
1872 | Gründung der FSG |
1876 - 1914 | Dampfschiffe erleben in der Kaiserzeit einen Boom |
1914 - 1919 | Bau des ersten U-Boots und von zwei Minensuchbooten |
1920 - 1939 | Die FSG konzentriert sich auf Frachtschiffe |
1941 - 1945 | Bau von 28 U-Booten in Serie während des Zweiten Weltkriegs |
1950 - 2008 | Fracht-, Containerschiffe und Militärversorger |
1990 - 2008 | Die FSG gehört dem Lübecker Traditionsunternehmen Oldendorff |
2008 - 2014: FSG in der Hand von Private Equity
Zu Beginn des neuen Jahrtausends läuft der Betrieb in Flensburg im Vergleich zu anderen Werften relativ gut. Die FSG hat mit den selbst entwickelten RoRo-Fähren für den Lkw-Transport eine erfolgreiche Nische gefunden. Die Werft ist meist mehrere Jahre im Voraus mit Aufträgen ausgelastet. Die Übernahme des Unternehmens durch das Private Equity-Unternehmen Orlando im Jahr 2008 stellt dann aber aus Sicht vieler Mitarbeiter eine Zäsur dar, da Orlando Geld aus dem Unternehmen abgezogen habe. Treibende Kraft ist Geschäftsführer Peter Sierk, der selbst zum Investor wird. Zunächst erlebt die Werft noch mehrere hochproduktive Jahre. Zuletzt reißt die Auftragsserie der RoRo-Fähren aber ab. Als ein Grund gilt die starke, subventionierte Konkurrenz in Fernost.
2008 | Das Unternehmen Orlando übernimmt die FSG durch einen Management-Buy-Out |
2008 - 2014 | Mehr als 20 weitere RoRo-Fähren sowie ein Einsatzgruppenversorger für die Marine laufen vom Stapel |
2013 | Die FSG sucht neue Nischen: Zwei Schwerlastschiffe und zwei Offshore-Seismik-Schiffe zur Erschließung von Ölquellen auf hoher See gehen in Auftrag |
2014 - 2016: Siem übernimmt das Ruder
Plötzlich sind keine RoRo-Aufträge mehr da. Hinter den Kulissen stehen die Zeichen auf "Krise". Durch den Spezialschiffbau gelangt die FSG aber auf das Radar des norwegisch geführten Unternehmens Siem, das international in der Ölförderung tätig ist. Siem übernimmt die FSG und stellt damit auch sicher, dass zwei selbst bestellte Offshore-Schiffe fertig gestellt werden können. Anschließend hält Siem den Betrieb durch die Bestellung von RoRo-Fähren am Laufen.
12.2.2014 | Siem bestellt zwei Offshore-Schiffe |
15.9.2014 | Siem übernimmt die FSG |
2014 - 2016 | Die FSG liefert vier Offhore-Schiffe und eine mittelgroße Passagierfähre ab |
2016 - 2019 | Siem bestellt insgesamt acht RoRo-Fähren |
31.5.2016 | Die FSG nimmt einen Auftrag für eine riesige Passagierfähre an: die "W.B. Yeats" |
1.7.2016 | Rüdiger Fuchs wird neuer Geschäftsführer |
4.11.2016 | Sanierungsplan für die FSG mit dem Abbau von 98 Arbeitsplätzen |
15.11.2016 | Landesbürgschaften von 63 Millionen Euro sichern den Bau von vier RoRo-Fähren und der "W.B.Yeats" |
2016 - 2019: Die FSG verhebt sich am Bau der Großfähren
Die Hoffnungen auf weitere Aufträge im Offshore-Segment haben sich zerschlagen. Stattdessen setzt die FSG nun auf den Bau riesiger Passagierfähren, die nur noch knapp in die 1982 gebaute Halle passen. Zwar zeichnet sich ab, dass die Premiere mit der "W.B.Yeats" ein finanzielles Fiasko wird. Dennoch glaubt Geschäftsführer Rüdiger Fuchs, dass die FSG nach der steilen Lernkurve künftige Aufträge günstiger bauen kann. Dabei fehlen der Werft Ingenieure. Die zweite große Passagierfähre "Honfleur" gilt mit LNG-Flüssiggas-Antrieb als noch komplizierter als die W.B. Yeats.
Juli 2017 | Vertrag für die zweite Großfähre "Honfleur". Von 143 Millionen Euro werden laut Brittany Ferries knapp 50 Millionen Euro über die Europäische Investitionsbank finanziert. Den Großteil des Risikos trägt Siem |
2017-2018 | Drei weitere Aufträge für den Bau von Großfähren für die Irish Continental Group und die australische TT-Line |
2018 | Die Insolvenz eines polnischen Zulieferers und viele technische Detailprobleme verzögern den Bau der "W.B.Yeats" |
12.12.2018 | Auslieferung der "W.B.Yeats" |
14.12.2018 | Die "Honfleur" läuft vom Stapel |
2019 - 2020: Siem steigt aus, Windhorst ein
Siem will die FSG loswerden, nachdem im Jahr 2018 ein Verlust von 111 Millionen Euro im Geschäftsbericht ausgewiesen ist. Der Finanzinvestor Lars Windhorst übernimmt mit seiner Gesellschaft in zwei Schritten sämtliche Unternehmensanteile der FSG. Aus Fachkreisen heißt es, sein Engagement sei die Folge einer größeren geschäftlichen Kooperation mit Siem. Windhorst macht der Belegschaft Hoffnung, indem er sogar den Ausbau der Werft in Aussicht stellt. Immer mehr Mitarbeiter gehen jedoch in Kurzarbeit. Der Bau der "Honfleur" kommt nur langsam voran. Für etwas Betrieb sorgt der Bau der letzten beiden RoRo-Fähren. Als beide fertig sind, meldet die FSG Insolvenz an.
31.1.2019 | Geschäftsführer Fuchs will Insolvenz anmelden, wird jedoch wenige Minuten vor einer Betriebsversammlung abgesetzt |
11.2.2019 | Lars Windhorst vereinbart, 76 Prozent der FSG zu übernehmen und mehr als 30 Millionen Euro frisches Kapital bereit zu stellen |
30.4.2019 | FSG kündigt befristete Kurzarbeit bis zum Sommer an |
30.8.2019 | Windhorsts Tennor-Holding übernimmt sämtliche FSG-Anteile |
27.2.2020 | Stornierung der zwei Großfähren für die australische TT-Line |
18.3.2020 | Kurzarbeit für die komplette Belegschaft. Offizieller Grund: Corona |
26.3.2020 | Auslieferung des letzten RoRo-Schiffs an Siem |
April 2020: Insolvenz angemeldet
Nachdem vier Aufträge für Großfähren storniert sind, steht die FSG ohne Aufträge da. Im Nachhinein stellt sich die Frage, wie konkurrenzfähig die Werft tatsächlich ist. Mit Ausnahme der verlustreichen Großfähre W.B.Yeats ist Ex-Eigentümer Siem seit 2016 der einzige Auftraggeber der FSG. Siem hat inzwischen acht RoRo-Frachtfähren bauen lassen und stellt zunächst vier weitere Aufträge in Aussicht. Zuletzt war nur noch von zwei RoRo-Fähren die Rede.
September 2020: Neustart für die FSG
Seit dem 1. September 2020 die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft wieder in Händen der Tennor-Gesellschaft. Nach der Insolvenz sind die Schulden weg, doch auch für die verkleinerte Belegschaft fehlt es an Aufträgen.
24.4.2020 | FSG meldet Insolvenz an |
26.4.2020 | Es stehen Aufträge für vier RoRo-Fähren laut Windhorst in Aussicht |
7.5.2020 | Windhorst gewährt der FSG einen Massekredit über 5 Millionen Euro |
11.6.2020 | Irish Continental Group storniert Auftrag für zweite Großfähre |
11.6.2020 | Die russische Pella Sietas-Gruppe bekundet Interesse an Kauf der FSG |
13.6.2020 | Kurzarbeit beendet für Instandsetzung des Werftgeländes |
18.6.2020 | Brittany Ferries storniert den Auftrag für die "Honfleur" |
24.6.2020 | Die Verhandlungen mit Pella Sietas geraten kurz vor dem Abschluss ins Stocken |
24.7.2020 | Transfergesellschaft für 6 Monate finanziert. Das Geld dafür hat die FSG durch einen Vergleich: Siem übernimmt die "Honfleur" |
