Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) und Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (l), beantworten auf dem Deutschen Bauerntag in Lübeck Fragen von Journalisten. © dpa Foto: Axel Heimken

Özdemir und Rukwied beim Bauerntag: Landwirtschaft unter Druck

Stand: 15.06.2022 06:39 Uhr

Es geht um die Versorgungskrise, den Mindestlohn und das Tierwohl-Label: Unter dem Motto "Zukunftsbauern" heute der Deutsche Bauerntag in Lübeck fortgesetzt.

Der Krieg in der Ukraine und die steigenden Energiepreise machen auch den Landwirten in Deutschland zu schaffen. Die Kosten für die Bauern ziehen an und damit werden auch Lebensmittel immer teurer. Wie geht es also weiter? Darüber wird heute unter dem Motto "Zukunftsbauern" auf dem Deutschen Bauerntag in Lübeck diskutiert. Redner waren zum Auftakt am Dienstag der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vor etwa 800 Delegierten und Besuchern.

Rukwied betonte, dass Landwirte aufgrund der steigenden Kosten für Futter, Dünger und Energie auf einheitliche Rahmenbedingungen pochen müssen, damit sie zumindest weiter wirtschaften können. Er forderte eine Priorisierung bei Gas und einen europäischen Mindestlohn. "Ein Level - einen gleichen Mindestlohn in ganz Europa", sagte er. Ohne eine europäische Regelung würde man die Produktion von Obst, Gemüse und Sonderkulturen, wie Spargel, Erdbeeren, Hopfen und Weintrauben komplett an das europäische Ausland verlieren. Denn dort könne günstiger produziert werden.

Ukraine-Krieg und globale Versorgungskrise

Bei der zweitägigen Tagung geht es unter anderem um die Themen Klimaschutz, Energiewende, Schutz der Artenvielfalt und dem Krieg in der Ukraine, der laut Rukwied Landwirtschaft und Ernährungssicherung in ein neues Licht gesetzt hat. Für die Bauern habe diese immer im Fokus gestanden, aber nicht bei der Politik. Von der forderte er jetzt eine Kehrtwende. Denn durch den russischen Angriff auf die "Kornkammer Europas" komme es in einigen Teilen der Welt zu Versorgungsengpässen.

Zwei Prozent der Brachflächen für Weizen freigeben

Um zusätzlichen Weizen anzubauen, müssten zwei Prozent der von der EU vorgesehenen Brachflächen für die Bewirtschaftung freigegeben werden, erklärte Rukwied. "Wenn wir beispielsweise in Deutschland diese rund zwei Prozent - und nur da, wo es sinnvoll ist - temporär zur Erzeugung von Lebensmittel freigeben, wenn wir das in Deutschland machen, in Europa machen und weltweit machen, dann würde es bedeuten, dass jede Tonne Weizen, die zusätzlich erzeugt wird, den Aggressor Russland schwächt, das Schwert stumpfer macht", sagte Rukwied.

Bauern tragen Sanktionen mit

Außerdem würden die Landwirte seit Beginn der russischen Aggression in der Ukraine die Sanktionen der Bundesregierung und auch Europas gegen Russland mittragen, in der Hoffnung, dass diese den Krieg möglichst schnell beenden. "Obwohl wir wussten, dass unsere Bauernfamilien dadurch belastet werden", erklärte Bauernpräsident Rukwied.

Özdemir: Weizen auf Weizen anbauen

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) erinnerte an seinen Vorschlag, die geplante neue Fruchtwechsel-Folge aus Grundzügen der gemeinsamen Agrarpolitik zu verschieben. Also den ursprünglichen Plan des jährlichen Wechsels von Anbaukulturen zu ändern. Eigentlich hätte der Fruchtwechsel 2023 beginnen sollen, damit Weizen auf Weizen angebaut werden kann. "Die Fruchtfolge gibt es nicht aus Jux und Dollerei," sagte der Bundeslandwirtschaftsminister. "Die hat ihre Gründe, aber das sind genau diese Kompromisse, die wir in der heutigen Zeit finden müssen." Hochleistungslandwirtschaft mit Dünger auf Biodiversitätsflächen lehne er aber ab, sagte Özdemir.

Mit Blick auf die Ukraine sagte er, dass es nicht sein könne, dass sich der Aggressor an der Arbeit der Bäuerinnen und Bauern der Ukraine bereichere - denen gehöre das Geld "und sonst niemandem". Daher werde alles dafür getan, dass andere Routen für den Export von Getreide gefunden werden - am Schwarzen Meer vorbei.

"Das ist keine Klimakrise mehr, das ist bereits die Klimakatastrophe"

Özdemir sprach davon, dass der "feige russische Angriffskrieg" die Herausforderungen der Landwirtschaft noch vergrößert habe. "Der Hunger auf der Welt ist bekanntermaßen dort am größten, wo die Klimakrise schon heute tiefe Spuren hinterlassen hat", sagte der Bundeslandwirtschaftminister, der den Hunger gemeinsam mit den Landwirten weltweit bekämpfen möchte. Bereits getätigte Ernten dürften nicht verloren gehen, weil zum Beispiel Lager oder Verpackungen fehlten. Es müsse auch ein Transfer von Wissen in andere Länder stattfinden. "So kann man die globale Produktivität steigern, ohne bei uns, wie von einigen jetzt gefordert, Vollgas geben zu müssen als gebe es die Klimakrise nicht", sagte Özdemir.

Denn das würde die Klimakrise weltweit verschlimmern. Bereits jetzt würden in Ländern wie Bangladesch oder Pakistan extremer Hitze Fluten folgen, die Menschenleben kosten und Ernten vernichten. "Das ist keine Klimakrise mehr, das ist bereits die Klimakatastrophe", sagte Özdemir.

Bauernpräsident Rukwied: Photovoltaik gehört nicht auf die Felder

Da die landwirtschaftlichen Flächen begrenzt seien und die Bauern nur dort ihre Lebensmittel anbauen könnten, sollte das Ackerland als hochwertiges Gut erhalten bleiben, forderte Rukwied. Er würde auch nichts davon halten, diese Flächen nur für Photovoltaik-Anlagen zu nutzen. "Wir haben noch genügend Dachflächen und riesige Parkflächen, zum Beispiel vor den zahlreichen Supermärkten, die könnte man hervorragend überdachen," schlug Rukwied vor.

Fünfstufiges Tierwohl-Label: Rukwied sieht hohe Kosten für Schweinehaltung

Auch zum fünfstufige Tierwohl-Label, das Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir einführen möchte, nahm er Stellung. Die Tierhaltung sei ein Rückgrat der deutschen Landwirtschaft und das müsse gestärkt und nicht gebrochen werden. Diese Gefahr sieht er insbesondere bei der Schweinehaltung. Die Schweinehalter würden mehr Tierwohl wollen, aber das müsse finanzierbar sein. Der Bauernpräsident begrüßte jedoch, dass die unterschiedlichen Haltungsformen ausgewiesen werden.

Mehr finanzielle Mittel für Schweinehalter gefordert

Viele Schweinehalter müssten ihre Ställe umbauen, dafür brauche es mehr als die von der Regierung gewährte Anschubfinanzierung von einer Milliarde Euro. "Die Wissenschaft hat vier Milliarden Bedarf pro Jahr errechnet. Wenn man die Schweinehaltung in Deutschland halten möchte, dann müssen frische weitere Mittel fließen", sagte Rukwied. Planungssicherheit für die nächsten 20 Jahre seien nötig, sonst sähe er keine Chance, dass der Umbauprozess durchgeführt werden könnte. "Da ist die Politik jetzt in der Pflicht."

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir sprach sich für eine Tierhaltung der Zukunft aus. Versäumnisse in der Vergangenheit hätten die Tierhaltung dramatisch in eine Sackgasse geführt. Dabei brauche man die Tierhalter für eine nachhaltige und zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft. "Ich will, dass es auch in Zukunft noch heißt: Gutes Fleisch aus Deutschland kommt bei uns auf den Tisch", sagte Özdemir. Viele Experten hätten aber auch festgestellt, dass weniger Tiere und eine andere Verteilung gebraucht werden. "Dann geht es eben nur mit einer staatlichen Kennzeichnung des Fleisches, damit auch die Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrer Verbrauchermacht mitgenommen werden", verteidigte der Bundeslandwirtschaftsminister das Tierwohl-Label.

Günther sagt Teilnahme für heute ab

Der Bauernverband will heute Nachmittag eine Erklärung mit dem Titel "#Zukunftsbauern" verabschieden. Am Vormittag wird es allerdings eine Änderung am Programm geben: Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat seine Teilnahme aufgrund der laufenden Koalitionsverhandlung abgesagt.

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 14.06.2022 | 16:00 Uhr

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