Apotheken in Schleswig-Holstein blieben aus Protest geschlossen
Wer regelmäßig Medikamente benötigt, hatte am Mittwoch Schwierigkeiten: Mittags schlossen etwa 90 Prozent der Apotheken in Schleswig-Holstein ihre Türen. Sie protestierten gegen die geplante Honorarkürzung.
Laut Apothekenverband war die Streikbeteiligung am Mittwoch sehr groß: Von den 600 Apotheken im Land sollen nur 50 für den Notdienst geöffnet gewesen sein. In einer Notdienst-Apotheke in Itzehoe (Kreis Steinburg) sei der Andrang spürbar gestiegen, berichtete eine Mitarbeiterin gegenüber NDR Schleswig-Holstein. Die Reaktionen der Kunden seien indes unterschiedlich gewesen: Ein Teil habe Verständnis gezeigt, manche reagierten verärgert bis unfreundlich. In der Innenstadt von Itzehoe hatten mehrere Apothekerinnen und Apotheker einen kleinen Stand aufgebaut, um mit der Kommunalpolitik und den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen.
Kassenabschlag soll erhöht werden
Grund für den Streik: Der Gesetzgeber hat die Apotheken dazu verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen einen Rabatt auf jede Arzneimittelpackung zu gewähren. Noch liegt der bei 1,77 Euro pro Packung. Die Bundesregierung will diesen Pflichtrabatt auf zwei Euro pro Packung erhöhen - die Apotheken würden also weniger verdienen. Damit will Berlin die gesetzlichen Krankenkassen entlasten. Doch diese Honorarkürzung stelle vor allem Landapotheken vor große Probleme, sagt der Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, Kai Christiansen. "Diese Apotheken machen bis zu 90 Prozent ihres Umsatzes mit den Krankenkassen. Für meine Apotheke bedeutet das neue Gesetz zwischen 6.000 bis 9.000 Euro weniger Gewinn pro Jahr", so der Kammerpräsident, der eine Apotheke in Steinbergkirche im Kreis Schleswig-Flensburg betreibt.
Bundesregierung muss Milliardendefizite ausgleichen
Nach Angaben eines Sprechers des Bundesgesundheitsministeriums ist die Erhöhung des Kassenabschlags auf zunächst zwei Jahre ein Baustein, um das milliardenschwere Defizit der gesetzlichen Krankenkassen auszugleichen. Man wolle Effizienzreserven heben. Zudem hätten die Apotheken bundesweit während der Pandemie durch Zusatzleistungen wie etwa Maskenverteilung und Ausstellung von Impf- und Genesungszertifikaten im letzten Jahr einen Mehrumsatz von 2,5 Milliarden Euro erwirtschaftet.
Kai Christiansen ärgert diese Begründung. "Die Apotheken haben keine Effizienzreserven mehr." All diese zusätzlichen Aufgaben müssten neben der normalen Arzneimittelversorgung bewerkstelligt werden. "Das geht nur, weil meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Überstunden machen, auf ihre freien Tage verzichten und in den letzten zweieinhalb Jahren Enormes geleistet haben." Das jetzt vorzuhalten, das fühle sich an wie eine Ohrfeige.
Landesgesundheitsministerin lehnt Erhöhung des Pflichtrabatts ab
Unterstützung für die Apotheken in Schleswig-Holstein kommt von der Landesregierung: Nach Informationen von Gesundheitsministerin von der Decken (CDU) habe die Regierung im Koalitionsvertrag eine gute Gesundheitsversorgung und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen festgeschrieben. Deshalb dürfe man jetzt nicht die bestrafen, die gerade in der Pandemie eine wesentliche Unterstützung der Versorgung gewesen seien. Die Erhöhung des Kassenabschlags in dieser Form lehne das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium daher ab.
Landapotheken sind auch Kummerkasten
Sorgen macht sich auch der Vorsitzende des Apothekerverbands, Hans-Günter Lund, der eine Apotheke in Leck im Kreis Nordfriesland betreibt. "Wir stellen ja auch Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung. Aber es wird für uns immer schwieriger, unsere Mitarbeitenden gut zu bezahlen." Dabei sei es schon schwierig genug, auf dem Land überhaupt Nachfolger für Apotheken zu finden. "Wir sind ja zum Beispiel hier im Bereich Südtondern nur neun Apotheker. Das heißt, jeder von uns muss allein 40 Notdienste im Jahr machen. In der Stadt sind das vielleicht zehn, zwölf", führt Lund aus. Dennoch liebt er seinen Beruf, sagt er. "Wir sind hier ja auch Kummerkasten. Wenn ich abends nach Feierabend noch mal ein Medikament vorbeibringe, da gibt's immer einen Schnack. Da kriegen wir hier auch viel Vertrauen und Dankbarkeit von den Menschen. Das motiviert mich jeden Tag auf's Neue!" Allein deshalb sei es so wichtig, die Apotheken gerade auf dem Land zu erhalten.
24 Prozent überlegen, ihre Apotheke nicht weiter zu betreiben
Doch es könnte künftig eng werden für die Apotheken auf dem Land. Nach Angaben des Apothekerverbands haben bei einer aktuellen Umfrage gerade 24 Prozent der Mitglieder Bedenken geäußert, ihre Apotheke überhaupt weiterzubetreiben, weil sie befürchten, dass sich der Betrieb auf lange Sicht nicht mehr rechnet. Allein in den vergangenen 20 Jahren ist die Anzahl der Apotheken in Schleswig-Holstein von 726 auf jetzt 612 zurückgegangen. "Wer jetzt fast im Rentenalter ist und ohnehin keinen Nachfolger findet, der wird dichtmachen", befürchtet Kai Christiansen.