Ein Mann hält einen menschlichen Schädel in Händen. © NDR

5.000 Jahre alter Mann soll Informationen zu Epidemien geben

Stand: 17.05.2022 20:45 Uhr

Er stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, war früher Fischer und ist nicht zum Vergnügen hier im Norden: Der 5.000-Jahre-Mann. Er soll uns helfen, Epidemien und potentiell gefährliche Krankheitserreger frühzeitig zu erkennen, denn er hatte wahrscheinlich die Pest.

von Jens Zacharias

Professor Ben Krause-Kyora, von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, freut sich schon auf seinen 5.000 Jahre alten Besucher: "Er ist schon seit längerem tot, seit etwa 5.000 Jahren, um genau zu sein. Und er ist da nicht alleine - im Augenblick haben wir etwa 25 Individuen hier, die wir akut sozusagen neu untersuchen wollen."

Ein menschlicher Unterkiefer auf einem Labortisch. © NDR Foto: Jens Zackarias
Ein Tausende Jahre alter Unterkiefer sieht unscheinbar aus, kann aber viele Informationen enthalten.

Leider sind von den letzten Jägern und Sammlern Europas, die bei Schwerin auf einer Insel ausgegraben wurden, nur noch die Knochen übrig. Aber Krause-Kyora reicht das völlig. Mit den aus den Knochen gewonnen Genschnipseln geht der junge Professor auf Zeitreise und versucht biologische Aktivitäten nachzuverfolgen, die vor ein paar Tausend Jahren vonstatten gingen.

Erreger anfangs offenbar nicht gefährlich

Bei seiner Zeitreise durch die Jahrtausende entdeckt Professor Krause-Kyora auch, wie sich Menschen, wie der 5.000-Jahre-Mann, zu Lebzeiten, mit der Pest angesteckt haben könnten. Wahrscheinlich kam die Pest vom Biber meint Professor Ben Krause-Kyora: "Biber können natürlich auch aggressiv werden, wenn sie merken, sie werden attackiert. Dann kann es gut sein, dass die sich wehren und auch zubeißen und dadurch eine Infektion entstanden ist."

Ein Mann hält einen Schädel in der Hand. © NDR Foto: Jens Zackarias
Professor Krause-Kyora untersucht die DNA und will so herausfinden, wie sich Epidemien in Zukunft entwickeln könnten.

"Pestkranke waren vor 5.000 Jahren nicht ansteckend", sagt Professor Krause-Kyora. Freunde und Familie blieben meist verschont. Ganz offensichtlich war der Pesterreger vor 5.000 Jahren harmloser als der schwarze Tod, das Killerbakterium, das dann rund 4.500 Jahre später im Mittelalter Millionen Menschen dahinraffte. Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass das Pestbakterium über die Jahrtausende neue Virulenz-Gene dazugewonnen hat, die dann im Mittelalter seine Pathogenität, seine Tödlichkeit, ausmachten.

Puzzeln auf höchstem Niveau

Das uralte Genmaterial, auch das vom 5.000-Jahre-Mann, das meist aus seinen Zahnwurzeln entnommen wird, ist nicht im besten Zustand. Es ist kaputt, zerfleddert und verunreinigt. Um es nicht weiter zu verschmutzen, wird es in Kiel in einem staubfreien Raum, einem Reinraum, aus den alten Knochen entnommen. Die Mitarbeiter tragen dabei Schutzanzüge.

Ein Schild mit der Aufschrift "Labor für Alte DNA". © NDR Foto: Jens Zackarias
Damit die alte DNA nicht zusätzlich verunreinigt wird, wird sie in einem speziellen Labor untersucht.

Das entnommene Genmaterial liegt in Genschnipseln vor. Es ist ein über die Jahrtausende entstandenes Durcheinander aus alter pflanzlicher, tierischer und menschlicher DNA. Dieses Puzzle aus alter DNA wieder richtig zusammenzufügen, so erklärt es Professor Krause-Kyora auch in seinen Vorträgen, ist, als wolle man aus einem zerschnipselten Stapel Zeitungen, von denen auch noch die Hälfte weggeschmissen wurde, eine einzelne Ausgabe mit einem bestimmten Inhalt korrekt und fehlerfrei wieder neu zusammensetzen.

Hochleistungsrechner über Wochen im Einsatz

Diese fast unmögliche Aufgabe übernehmen deshalb Hochleistungsrechner. Sie rechnen oft tagelang herum, um die Puzzleteile, aus Tausend Jahre altem Genmaterial, wie das vom 5.000-Jahre-Mann, wieder richtig zusammenzusetzen. Möglich ist das erst seit wenigen Jahren.

Neuen Erregern auf der Spur

Mit dem neu zusammengesetzten Genmaterial kann Professor Krause-Koya sehen, wie evolutionsbiologische Prozesse über einen Zeitraum von mehreren Tausend Jahren genau ablaufen. Auch um damit Aussagen für die Zukunft zu treffen. Nach dem Motto: Welches Virus oder Bakterium verhält sich ähnlich auffällig wie der Pesterreger und könnte uns heute gefährlich werden?

Epidemien wie die Pest - das zeigen Professor Krause-Kyoras Untersuchungen ebenfalls - finden sich immer noch als Spuren im Erbgut des modernen Menschen wieder. "Diese alten Krankheitserreger hinterlassen sozusagen auch Spuren in unserem heutigen Genom und verursachen heute zum Beispiel auch andere Krankheiten wie chronische Entzündungen und andere Autoimmunerkrankungen", erklärt Krause-Kyoras.

Der 5.000-Jahre-Mann und seine Begleiter sind also nicht umsonst nach Schleswig-Holstein gekommen. Viele werden ihm folgen. Bis zum Herbst wollen Professor Krause-Kyora und sein Team, die Neuankömmlinge aus Schwerin noch genauer untersuchen. Auch wenn nur noch die alten Knochen übrig sind: Die Gene darin sind für die Wissenschaft eine echte Schatztruhe.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 17.05.2022 | 19:30 Uhr

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