Fücks: Ukraine Unterstützung zu verweigern, grenzt an Zynismus
Soll Deutschland die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Angreifer auch mit schweren Waffen weiter unterstützen? Auf die Kontroverse im Bundestag, die es gab, folgt jetzt ein Schlagabtausch zwischen intellektuellen Vertretern aus Kultur und Medien.
In einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatten sich Prominente um Alice Schwarzer vergangene Woche in der Zeitung "Emma" gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Es drohe ein Dritter Weltkrieg. Eine zweite Gruppe Intellektueller hat sich dann als Reaktion ebenfalls in einem offenen Brief an Scholz für die Lieferung schwerer Waffen ausgesprochen. Einer der Unterzeichner ist der Publizist und Grünen-Gründungsmitglied Ralf Fücks.
Herr Fücks, die Diskussion ist aufgeladen. Warum legen Sie jetzt noch einmal mit einem öffentlichen Aufruf nach?
Ralf Fücks: Demokratie lebt von der öffentlichen Debatte. Wir wollten nicht, dass dieser offene Brief, der in der Emma veröffentlicht wurde, unwidersprochen stehen bleibt als die Meinung der Zivilgesellschaft. Er hat faktisch dazu aufgefordert, die militärische Unterstützung für die Ukraine einzustellen und sie damit wehrlos gegenüber dem russischen Angriff zu machen.
Gleichzeitig wollten wir die Bundesregierung ermutigen, die Ukraine jetzt konsequenter mit Waffen zu unterstützen und Russland mit neuen ökonomischen Sanktionen gegen den Energiesektor zu belegen, um Putin die Finanzmittel für diesen Krieg zu entziehen und der Ukraine eine verbindliche Beitrittsperspektive für die Europäische Union zu geben. Ich meine, kein Land zahlt einen höheren Preis dafür, dass es Mitglied der demokratischen Gemeinschaft Europas werden will. Für diese Forderung haben wir doch sehr schnell sehr viel Unterstützung bekommen.
Wir haben auch mit Befürwortern gesprochen, die vor einer Eskalation bis hin zum Atomkrieg warnen. Was halten Sie davon?
Fücks: Von dem Angegriffenen zu fordern, dass er kapituliert, dass er den Widerstand aufgibt, statt den Angreifer aufzufordern, diesen Krieg zu beenden, das ist eine politische und moralische Verkehrung, was da stattfindet. Die Ukraine hat Russland nicht bedroht. Sie ist willkürlich angegriffen worden, weil Putin ihr die nationale Existenzberechtigung als Staat und Nation abspricht. Russland begeht ein Kriegsverbrechen nach dem anderen in der Ukraine. In dieser Situation denen, die sich wehren, die Unterstützung zu verweigern grenzt an Zynismus.
Es ist die Entscheidung der Ukrainer, ob sie sich unterwerfen wollen oder nicht. Aus Furcht vor dem Atomkrieg jetzt die Ukraine opfern zu wollen, das ist eine Mischung aus Feigheit und sich politisch erpressbar zu machen. Das heißt ja, dass Putin mit der Drohung des Atomkriegs alle seine Ziele durchsetzen kann. Ob er in der Ukraine Halt macht, ist mehr als zweifelhaft, wenn er den Westen als schwach empfindet. Es geht ihm um die Restauration des Imperiums und im russischen Staatsfernsehen läuft jeden Abend die Maschine "Wir holen uns zurück, was uns gehört": Das Baltikum, Georgien, Moldau, eine Landbrücke nach Kaliningrad. Und das erfordert eine entschlossene Haltung, die sagt, bis hierher und nicht weiter - auch in unserem Interesse.
Was ist denn aus Ihrer Sicht das militärische Ziel? Soll die Ukraine mit NATO-Waffen in die Lage versetzt werden, Russland ganz aus dem Land zurückzudrängen?
Fücks: Präsident Selenskyj hat selbst ein Verhandlungsangebot gemacht: Einfrieren des Status der Krim für fünfzehn Jahre, keinen Anspruch darauf, die bisherigen russischen Marionetten-Republiken im Donbass sofort wieder unter ukrainische Hoheit zu nehmen und der Verzicht auf den NATO-Beitritt der Ukraine. Das war sehr weitgehende Angebote, auf die nichts als eine Eskalation des Krieges durch Russland folgte. Meine Position ist, und ich denke auch die der meisten, die diesen Aufruf unterzeichnet haben: Zurück zum Status Quo vor Kriegsbeginn. Und dann kann man verhandeln über eine langfristige Lösung.
Das Interview führte Stefan Schlag.
