Nach "Last Night"-Absage: Demut und Trauer in London
Nach dem Tod von Queen Elizabeth II. hat die BBC die "Last Night Of The Proms" als Zeichen des Respekts abgesagt. Philipp Schmid sollte sie für das ARD Radiofestival vor Ort moderieren. Ein Stimmungsbericht.
"A very, very warm Welcome" - das kann ein Zungenbrecher sein, zumal wenn man etwas aufgeregt ist. Mit diesem Satz beginne ich immer die Liveübertragung der "Last Night Of The Proms" aus der Royal Albert Hall. In den letzten Wochen habe ich an der Bushaltestelle diesen Satz manchmal vor mich hin gesprochen. Ein guter Anfang ist schon die halbe Miete.
Und wie sehr habe ich mich auf die "Last Night" gefreut, das britischste aller britischen Konzerte, den zugegebenermaßen sehr verklärten Blick auf das Empire, die Hits zum Schunkeln und Mitsingen, aber eben auch die ruhigen Momente, das gemeinsame Genießen von Musik, das Innehalten.
Musik wird vom Publikum mit allen Fasern aufgenommen
Bei der "Last Night" versteht man manchmal das eigene Wort nicht - dann wiederum, kann man eine Stecknadel fallen hören. Viel Herz und Respekt und eben nicht nur Quatsch. Jede Musik wird vom Publikum mit allen Fasern aufgenommen, die laute und die ruhige.
Natürlich hat man immer gedacht: Was ist, wenn mal die Queen stirbt? Irgendwann! Aber doch nicht so knapp vorher! Jedes Jahr wird am Ende der "Last Night" die Nationalhymne gesungen. "God Save the Queen" - ein sehr emotionaler Moment, zumal in diesem wundervollen Arrangement: Es beginnt fast unhörbar und steigert sich ins Pompöse. Das Arrangement von Benjamin Britten, von dem die Queen einst gesagt hat, es sei eines der schönsten, "und ich habe ein paar gehört im Lauf meines Lebens".
Es kann in diesem Jahr keine "Last Night" geben
Jetzt ist dieses lange Leben zu Ende. Die "Last Night Of The Proms" abgesagt. Kein Ersatz. Kein Abschluss der Sommerkonzerte - ein offenes Ende. Aber wäre nicht gerade dieser Abend im Zeichen von Königin und Königreich, diese Einladung an die ganze Welt, das Ur-Britische zu feiern, eine ideale Gelegenheit, der Trauer um Elisabeth II. einen Ort zu geben? Eine Gemeinschaft zu sein mit 7.000 Menschen in der Halle und Millionen weltweit, die sich tröstet, Dankbarkeit zeigt und eine lange Regentschaft würdigt?
Das war mein erster Gedanke und meine Vermutung, was passieren würde. Ein geändertes Programm, ohne Partystimmung, mit sanften, nachdenklichen, trauernden und tröstenden Musikstücken. Aber als ich durch die Stadt gehe, vor dem Buckingham Palast die Anteilnahme spüre, das Bedürfnis der Menschen, ihrer Königin noch einmal nahe zu sein, sich gegenseitig Halt zu geben, und wie still und in sich gekehrt sie dabei sind, wird mir eines klar: Es kann in diesem Jahr keine "Last Night" geben.
Untertanen möchten sich still verabschieden
Trauer, Trost, Dankbarkeit braucht einen anderen Ort. Einen ganz eigenen. Einen, den jeder für sich findet. So besonders dieses Konzert für viele von uns ist, es ist eine Tradition. Ein wiederkehrendes Ereignis. Aber jetzt ist etwas zu Ende gegangen. Die Queen fehlt. Die kleine, knuffige Frau, bei der man sich immer Sorgen gemacht hat, jemand könnte ihr zu nahekommen, einen Fehler begehen, in ein riesiges Fettnäpfchen treten; die unnahbar aber witzig, streng aber humorvoll war, pflichtbewusst, souverän, und vor allem: immer da. Bis zum 8. September.
Dieses Jahr also keine "Last Night", weil es ein besonderes Jahr ist. Mir geht Musik direkt zu Herzen, "Land Of Hope And Glory", "Jerusalem" oder "Auld Lang Syne" - damit hätte ich gerne Abschied genommen. Die Untertanen möchten sich still verabschieden. Dankbar und vornehm. Dann also nächstes Jahr umso schmetternder: "God save the King". Für die nächste "Last Night" überlege ich schon mal eine Begrüßung: "A very, very warm …".
