Musikmedizin: Neues zum absoluten Gehör und Hilfe bei Ansatzdystonie
Wie kann Blechbläsern mit einer Ansatzdystonie geholfen werden und gibt es einen Zusammenhang zwischen Autismus und dem absoluten Gehör? Musikmediziner in Hannover haben neue Erkenntnisse gewonnen.

Wenn jemand in der Lage ist, einen Ton ohne Referenzton zu bestimmen, hat er ein sogenanntes absolutes Gehör. Diese Fähigkeit haben von 1.000 Personen nur etwa ein bis drei. Unter den Berufsmusikerinnen und -musikern sind es etwa zehn Prozent. Die meisten aber hören relativ. Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover, und die Psychologin Teresa Wenhart haben nun untersucht, ob Musiker mit absolutem Gehör häufiger zu autistischen Zügen neigen. "Das sind dann Menschen, die eine nicht ganz so gute soziale Wahrnehmung haben und sich sehr häufig in Details verlieren, also sehr genau, sehr präzise sind, aber oft das große Ganze dann nicht mehr im Blick haben", erläutert Altenmüller.
Absolutes Gehör: Unterschiedliche Typen unter den Betroffenen
Getestet wurden dafür zwei Gruppen, eine mit absolutem Gehör und eine mit relativem Gehör, die meisten von ihnen Musikstudenten. Teresa Wenhart hat die Experimente geleitet. Dabei habe man herausgefunden, dass es unter den sogenannten Absolut-Hörern unterschiedliche Typen gibt, so Wenhart: "Die einen haben es vielleicht eher, weil sie auch eine Neigung haben zu diesen Auffälligkeiten durch Autismus, und die anderen haben eher ein absolutes Gehör, weil sie einfach wahnsinnig viel Musik machen, wahnsinnig früh angefangen haben und wahnsinnige Experten in diesem Bereich sind und deswegen einfach so eine spezielle neuronale Verbindung haben, aber in dem Sinne überhaupt nichts gemeinsam haben mit Autisten."
Also: Nicht alle Musiker mit absolutem Gehör sind Menschen mit autistischen Zügen, und nicht alle Autisten sind gute Musiker. "Es ist schon so, dass diese Musikerinnen und Musiker mit dem absoluten Gehör sehr präzise sind, auch sehr viel, sehr schnell verarbeiten können, was die Hörinhalte angeht, also was sie hören, dass sie aber Schwierigkeiten haben, das Ganze in einen großen, vor allem emotionalen Kontext zu setzen", so Altenmüller.
Ansatzdystonie: Forschung im MRT
In einer weiteren Forschungsarbeit hat Eckart Altenmüller sich die Mundbewegungen von Blechbläsern mit einer Ansatzdystonie angeschaut. Bei dieser Erkrankung verlieren Bläser die feinmotorische Kontrolle beim Spielen und können Töne nicht mehr richtig kontrollieren. Das bedeutet für diese Musiker: Berufsunfähigkeit. In Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut Göttingen hat Eckart Altenmüller mittels einer Kernspintomographie Erkrankte untersucht. Während sie im MRT auf Plastik-Mundstücken und -schläuchen musizierten, konnte Altenmüller die Mundbewegungen aufnehmen. Daraus entstanden Filme, auf denen zu erkennen ist, dass sowohl Rachen als auch Zunge unkontrollierte Bewegungen machen, die den Luftstrom teilweise unterbrechen. Deshalb entstehen schiefe Töne.
Krankheit ist möglicherweise heilbar
Diese Studie könnte wegweisend sein für die Therapie der Ansatzdystonie. Denn die Musiker können die Bilder der Zungenbewegungen über ein Spiegelsystem in Echtzeit sehen, während sie im Scanner spielen, erklärt Altenmüller: "Dann können wir sie nämlich auffordern, die Zungenbewegungen, die unwillkürlich sind, zu unterdrücken. Und dann versuchen wir auf die Art und Weise eine Art von Trainingsprogramm im Scanner zu etablieren. Ich glaube, dass dann die Zunge wieder lernen kann, die Bewegungen richtig zu führen und die Krankheit dann in der Intensität abnimmt, wenn nicht sogar ganz geheilt wird."
