Klassik bei den Grammys: "Kaum Interesse an Ensembles aus Europa"
Am Sonntagabend sind die Grammys vergeben worden, natürlich mit viel Brimborium in den Sparten Pop- und Rockmusik. Die Klassik wird da meist weniger beachtet. Warum ist das so?
Im Fokus der Grammyverleihung standen in der Klassik vor allem US-amerikanische Orchester aus Nashville, Pittsburgh, San Francisco, Philadelphia und Seattle. Markus Thiel ist Musikkritiker und Musikredakteur beim "Münchner Merkur" und hat die Grammy-Verleihung verfolgt.
Wird der Grammy zunehmend eine amerikanische Angelegenheit?
Markus Thiel: Wenn man sich die einzelnen Sparten anschaut, ist es so: Der Sieger bei der besten Orchesterdarbietung ist das Philadelphia Orchestra, mitnominiert war auch das Seattle Symphony Orchestra. Andere Orchester spielen überhaupt keine Rolle. Interessant bei den Grammys - vor allem in den klassischen Bereichen - ist, wer alles nicht nominiert ist. Wenn man sich dann jemanden wie Teodor Currentzis mit musicAeterna anschaut, der Beethovens Symphonie Nr. 7 in den vergangenen Monaten aufgenommen hat - der taucht hier gar nicht auf. Offensichtlich ist man an europäischen Ensembles so gut wie gar nicht interessiert.
Schaut ein deutscher Musikkritiker wie Sie überhaupt darauf, wer bei den Grammys in der Klassik gewinnt? Oder sind andere Preise womöglich viel wichtiger?
Thiel: Das Schauen wird einem ein bisschen schwierig gemacht. Wenn man sich die Homepage von den Grammys anschaut, muss man die klassischen Bereiche erst einmal suchen. Sie scrollen sich also minutenlang an Pop, Dance, Rock, New Age, Childrens, Comedy und anderen vorbei - und ganz unten tauchen erst die Klassik Grammys auf. Man kann sagen, die Klassik bei den Grammys ist vielleicht das, was bei den Oscars das beste Make-up ist. Das kommt sehr, sehr spät. Insofern spielt es keine große Rolle, wo es eine Rolle spielt.
Um bei den Orchester-Darbietungen zu bleiben: Die Gewinnerin ist Florence Price mit einer - wie ich finde - interessanten Aufnahme der Komponistin afroamerikanischer Herkunft, die von 1887 bis 1953 lebte. Zwei Sinfonien sind da zu hören, hochkarätig besetzt mit dem Philadelphia Orchestra und Yannick Nézet-Séguin. Das ist eine Aufnahme, die wie ich finde, in der europäischen Kritik ein bisschen untergegangen ist, weil mach sich eher den mitteleuropäischen Komponisten zuwendet, als auch mal ein Ohr dafür zu haben, wie eine US-amerikanische Komponistin in einer Art Dvořák-Folge komponiert hat.
Unter Musiker*innen wird ja zum Beispiel der Diapason d'or viel beachtet und die Grammys nicht so sehr. Sind etwa ein Preis der Deutschen Schallplattenkritik oder ein Opus Klassik international relativ unbedeutend? Sind wir in Deutschland womöglich zu hochnäsig?
Thiel: Es ist die Frage, wenn man so einen Preis versteht. Bei den Grammys ist es die Recording Academy, die entscheidet. Es ist ein Musikindustrie-Preis ähnlich wie der Opus Klassik, der umgetaufte Echo, wo immer noch die großen Labels vertreten sind wie Warner, Deutsche Grammophon, Sony und - als Feigenblatt -, zwei Journalisten und eine Vertretung des ZDF, weil dort die Sendung ausgestrahlt wird. Das sind alles Preise, die kommerziellen Hintergrund haben. Ich muss gestehen, ich bin in einer Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik. Wir verstehen uns als unabhängiger Preis. Wir sind nur Journalisten, wir suchen wir uns die Aufnahmen selbst raus, die wir auch die Longlist und später auf die Shortlist stellen.
Wenn man sagt, dass man nichts mit Preisen anfangen möchte, die rein industriell geprägt sind, dann muss man die Grammys ablehnen. Man muss aber auch sagen, dass die Grammys auch nach vorne gerichtet sind und bestimmte, politisch gerichtete Auszeichnungen verkünden - auch bei der Klassik. Da sind einige Aufnahmen dabei, die bei uns in der mitteleuropäischen Musikkritik ein bisschen untergegangen sind und bei denen ich mit sage: Die hätte man schon stärker beachten können.
Das Interview führe Charlotte Oelschlegel.