CD-Cover: Alexandre Tharaud - Schubert © Erato

CD der Woche: Alexandre Tharaud spielt Schubert

Stand: 05.11.2021 17:27 Uhr

Das neue Schubert-Album von Alexandre Tharaud zeigt, wie unterschiedlich mit Schuberts musikalischen Einfällen am Klavier umgegangen werden kann.

von Philipp Cavert

Bereits in Michael Hanekes preisgekröntem Film "Amour" hat Alexandre Tharaud in einer Gastrolle Werke von Franz Schubert am Klavier gespielt. Jetzt, neun Jahre später, widmet der französische Pianist Schuberts Musik ein ganzes Album. Gewählt hat er lyrische Klavierstücke aus den letzten Lebensjahren des Komponisten: die erste Gruppe der Impromptus und die sechs Moments musicaux.

Ungekünstelte Interpretation

Es sind Seelenstücke par excellence, die nach einem einfachen, natürlichen Vortrag verlangen. Tharaud beherzigt diese unausgesprochene Regel intuitiv mit einer ungekünstelten Interpretation. Er spürt die Magie dieser Musik, vor der "die Träne aus dem Auge stürzt, ohne erst die Seele zu befragen", wie Adorno es so treffend beschrieben hat. Die Grundhaltung ist wach, neugierig und staunend.

Von Schubert wissen wir, dass er das geschmeidige, unaufgeregte Spiel, den melodischen Fluss besonders schätzte und das im damals aufkommenden Virtuosentum verbreitete In-die-Tasten-Hacken zutiefst verabscheute. Tatsächlich bedürfen seine Stücke weder dieser dramatischen, noch einer sentimentalen Art des Vortrags, denn alle Dramatik ist schon miteinkomponiert: Zauberhafte Lichtwechsel, volkstümliche Ausgelassenheit, aber auch Resignation, aufblitzende Erinnerungen, große Verlorenheit. Hier weiß einer mehr, als er eigentlich sagen müsste; sinnierend und flanierend schaut einer die Dinge an, bisweilen aus der Distanz. Die Andeutung genügt, damit es alle ahnen, und diese Ahnung ist gerade noch zu ertragen - Gewissheit dagegen wäre ebenso brutal wie banal.

Alexandre Tharaud verzichtet auf Experimente

Haben denn aber vor diesem Hintergrund individuelle pianistische Gestaltungsmittel überhaupt noch Raum? Durchaus. Zum einen, indem das Offensichtliche nicht überhöht und scheinbare Kulminationspunkte nicht erwartbar zugespitzt werden. Zum anderen, indem Wiederholungen in unterschiedlichen Klangvaleurs oder leichten Temporückungen dargeboten und der innere Zusammenhang erkennbar gemacht wird. Denn die Bandbreite der Stimmungen ist nicht nur in den einzelnen Stücken gewaltig; die Moments musicaux sind auch ein Zyklus.

Alexandre Tharaud spielt Schubert nicht allzu geradlinig, aber erfreulicherweise eben auch nicht profilierungssüchtig. Er verzichtet auf Experimente, selbst bei den bereits von Schumann bestaunten scheinbar logischen Sprüngen. Von Tharaud werden sie in Ausnahmefällen nur leicht abgemildert. Bemerkenswert ist seine Legato-Gestaltung im vierten "Moment musical".

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Diverse CD-Cover © NDR Online Foto: Christiane Irrgang

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Geschmackvoll dezent

Schubert mag als Begründer der Gattung Klavierminiatur gelten. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass er aus finanziellen Erwägungen einzelne Sonatensätze separat veröffentlichen ließ - etwa die Impromptus. Auch diese Gattung hat nicht er erfunden: Bereits fünf Jahre zuvor hatte der von Schubert geschätzte Jan Vaclav Vorisek sogenannte Impromptus komponiert.

Alexandre Tharaud nimmt dem zweiten Stück in Es-Dur alles Etüdenhafte und verleiht dem dritten einen überaus gesanglichen Aspekt. Förderlich ist der nicht zu scharf klingende Flügel, ein weich intonierter Steinway. So weit, so angemessen und geschmackvoll dezent.

Rosamunde für Klavier

Der eigentliche Clou dieser CD aber ist ein Eigenarrangement von Alexandre Tharaud: Er hat Fragmente aus Schuberts Bühnenmusik zu Rosamunde für Klavier adaptiert.

Vier Nummern aus dem romantischen Schauerdrama sind zu erleben, zwei Zwischenaktmusiken, eine Ballettmusik und die Ouvertüre zu "Die Zauberharfe". Diese Ouvertüre galt lange Zeit fälschlicherweise als Schuberts Eröffnung des Schauspiels Rosamunde. Bei der Uraufführung erklang jedoch die Ouvertüre zur Oper Alfonso und Estrella.

Umrahmt von den Impromptus und "Moments musicaux" haben die Rosamunde-Stücke einen verblüffenden, ja irritierenden Nebeneffekt. Man fragt sich: Handelt es sich um eine Sonate? Oder um vier neu entdeckte Schubert-Impromptus? Beides wäre plausibel.

Franz Schubert: Impromptus D.899; Moments musicaux D.780; Rosamunde (Arr. Tharaud)

Label:
Erato

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue CDs | 07.11.2021 | 15:20 Uhr

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