Bayreuther Festspiele: "Walküre" mit Bühnenunfall
Die Premiere der "Walküre" in der Inszenierung von Valentin Schwarz in Bayreuth hinterlässt viele Fragezeichen. Nach einem Bühnenunfall ersetzt Michael Kupfer-Radecky den Wotan Tomasz Konieczny.
Eine Schrecksekunde, ein Bühnenunfall und ein Einspringer, der bejubelt wird: Das war der Premierenabend der "Walküre" bei den Bayreuther Festspielen. Heftige Buhgewitter gab es auch - die galten offenbar der Regie von Valentin Schwarz. Der erzählt die Handlung der "Walküre" weiter als Familiensaga im Netflix-Stil. Ein ereignisreicher Abend mit überragenden, traurigen und mittelmäßigen Momenten.
Rückenlehne bricht - Bühnenunfall von Tomasz Konieczny
Als Wotan sich in seinen Designersessel fläzt, gefrustet vom Ehestreit, bricht plötzlich die Rückenlehne ab und kracht auf den Bühnenboden. Sänger Tomasz Konieczny kippt hinten über und liegt auf dem Rücken. Fast alle halten das für einen Gag. Schließlich streut Regisseur Valentin Schwarz gelegentlich ein bisschen Slapstick in seine Inszenierung. Viele im Publikum lachen. Aber das ist kein Spaß und erst recht nicht geplant, sondern ein veritabler Bühnenunfall. Konieczny lässt sich jedoch zunächst nichts anmerken. Nach einer Schrecksekunde steht er auf und singt den zweiten Akt tapfer zu Ende. Als dann der Pressesprecher der Festspiele kurz vor Beginn des letzten Akts vor den Vorhang tritt, ist klar, dass etwas passiert sein muss.
Bravouröse Leistung von Einspringer Michael Kupfer-Radecky
Einspringer Michael Kupfer-Radecky, der bei den Bayreuther Festspielen eigentlich den Gunther singt, hat nicht nur die Gesangspartie des Wotan drauf, sondern kann auch szenisch mitspielen, weil er an Bühnenproben teilgenommen hat. Glück im Unglück: Kupfer-Radecky gelingt eine bravouröse Leistung. Zwar hat er nicht ganz so viel Volumen wie der verunfallte Tomasz Konieczny, aber dafür versteht man bei ihm jedes Wort.
Familientrouble bei Wotans
Ein echter Vorteil - und leider keineswegs selbstverständlich. In Bayreuth ist dies aber dank der besonders sängerfreudigen Akustik eigentlich zu erwarten. Nicht der einzige Punkt, an dem es knirscht in diesem neuen "Ring". Die Regie von Valentin Schwarz führt nahtlos weiter, was am Vorabend angelegt wurde: Familientrouble bei Wotans. Sieglinde ist, anders als im Textbuch, schon von Anfang an schwanger - es darf also gerätselt werden. Ist Hunding der Vater? Unwahrscheinlich, Sieglinde hasst ihren Mann. Hat sie schon vorher was mit ihrem Bruder gehabt? Auch falsch, Papa Wotan war's, wie sich im zweiten Akt herausstellt, als der seiner hochschwangeren Tochter unter den Rock greift.
Walkürenritt in Schönheitsklinik

Die familiären Tragödien prasseln nur so herein auf den Wotan-Clan: Offenbar hat Freia, die eigentlich nur im "Rheingold" vorkommt, Selbstmord verübt. Am Sarg wird theatralisch geheult und garstig gestritten. Alle Mythen- und Märchenelemente werden in eine leicht schrille Upperclass-Gegenwart versetzt: Schwert Nothung ist eine Pistole, und beim Flammenzauber wird von Wotan und - überraschenderweise - von seiner Frau Fricka im Kerzenschein ein bisschen Rotwein verschüttet. Mehr Zauber ist nicht. Dafür absolvieren die Walküren ihren Ritt im Wartezimmer einer Schönheitsklinik. Offenbar hat sich ein erheblicher Teil der Damen des verzweigten Familienclans einer Nasenkorrektur oder einem Lifting unterzogen. In seiner Wut auf seine ungehorsame Tochter Brünnhilde reißt Wotan ihren frisch operierten Schwestern rüde den Verband vom Gesicht.
Sinn der neuen "Ring"-Inszenierung auch nach Teil zwei unklar
Ein paar Mystery-Elemente gibt es auch in dieser Netflix-Serie. Immer wieder wird eine weiß leuchtende Pyramide herumgetragen, die schon im "Rheingold" schimmerte, offenbar ein Symbol der Macht. Übrigens ist auch die berühmte Louvre-Pyramide Teil von Wotans Luxus-Villa. Vermutlich eine Anspielung auf den populären Fantasy-Film "Der Da Vinci Code". Was bringt das alles? Manchmal schlicht Action, manchmal ein bisschen Rätselspaß. Seltener psychologisch interessante Momente, etwa wenn Figuren, die eigentlich abwesend sind, aber die Handlung bestimmen, auf der Bühne stehen.
Und schließlich ist diese Inszenierung eine Aneinanderreihung von kleinen Anekdoten. Fricka rührt ihrem Schützling Hunding Zucker in den Kaffee, obwohl der gar keinen will. Oh, eine dominante Frau! Vieles ist nett, aber belanglos. Was diese ganze Saga jetzt aber eigentlich sagen soll und mit uns und den Weltproblemen zu tun hat, bleibt auch nach dem zweiten Teil eine offene Frage. Den "Ring" mal etwas stylisher erzählen - das kann es noch nicht gewesen sein. Zum Glück ist das hier eine Serie. Und jede ordentliche Netflix-Serie braucht offene Fragen als Cliffhanger.
Georg Zeppenfeld: ein Volltreffer ins Herz der Figur
Sängerisch wurde es jedenfalls besser. Toll war Lise Davidsen als Sieglinde mit umwerfender Wucht und hoch emotionalen leisen Momenten. Ebenfalls heftig in der Wirkung, aber leider sehr viel weniger gezielt singt Iréne Theorin die Brünnhilde: Das war problematisch. Klaus Florian Vogt als Siegmund hat ein etwas raues Timbre bekommen, das seinem fast zu hellen Tenor ganz gut steht. Mehr Piano wünscht man sich. Einfach fantastisch singt Georg Zeppenfeld als Hunding. Böse, konzentriert, schwarz und präzise: ein Volltreffer ins Herz der Figur.
Dirigent Cornelius Meister mit guten Ideen
Dirigent Cornelius Meister gelingen immer wieder äußerst inspirierte Momente. Er hat gute Ideen, die er aber offenbar nicht immer ganz klar rüberbringen kann. Bei Tempowechseln und Übergängen hakt es gelegentlich im Orchester. Auch klanglich fehlt die Verschmelzung, ein paar Intonationsproben hätten die Blechbläser noch gebraucht. Auch Meister ist ganz kurz vor der Premiere eingesprungen. Richtig rund ist dieser Ring noch nicht.
