Reeperbahn Festival-Blog - Tag 1: Kraftklub auf dem Spielbudenplatz
NDR Kultur Musikjournalist Matthes Köppinghoff ist beim Reeperbahn Festival unterwegs. In seinem Blog erzählt er von seinen Beobachtungen auf St. Pauli. Tag 1 startete mit einer Überraschung: Kraftklub spielte spontan auf dem Spielbudenplatz.
Kurz bevor ich mich auf den Weg zum Reeperbahn Festival 2022 mache, werfe ich sowohl einen Blick in meine Wetter-App, als auch sicherheitshalber aus dem Fenster: Das sieht soweit nach einem sonnig-milden Herbsttag aus. Sonnenbebrillt schmeiße ich mir also eine Jacke über, setze meinen Hut auf und laufe los. Bei feinstem Sonnenschein komme ich beim Presseschalter auf dem Heiligengeistfeld an und hole meine Bändchen ab. Hier herrscht gute Laune und entspannte Stimmung. Genau genommen ist es, wie in jedem Jahr, am allerersten frühen Nachmittag noch etwas verschlafen. Erst langsam kommen die ersten Musikfans und Fachbesucher*innen an. Es bleibt auch vorerst entspannt - aus einem guten Grund, denn viele warten an diesem ersten Festivaltag auf genau ein Konzert.
Umsonst-Konzert von Kraftklub auf dem Spielbudenplatz
Am Vortag hatte ich noch grob angekündigt, dass vielleicht eine große Band auftreten könnte. Wenige Minuten nach Abgabe meines Textes wurde dann bekannt gegeben: Kraftklub spielen auf der Reeperbahn! Zwar nicht offiziell im Rahmen des Festivals, aber hey: vor den tanzenden Türmen, und das sogar für lau. Da das unbestritten das Tagesthema und wohl das Highlight wird, was alles andere überschattet, verzichte ich schweren Herzens auf die Drangsal-Lesung und andere Club-Konzerte. So treibe ich mich stattdessen beim N-JOY Reeperbus auf dem Spielbudenplatz herum, um möglichst schnell zu Kraftklub wechseln zu können. Für die Band aus Chemnitz wird extra die Reeperbahn gesperrt - so etwas erlebt man nun auch nicht alle Tage. Zigtausende Fans pilgern vor eine Bühne, die eilig vor den Tanzenden Türmen errichtet wurde. Oft tragen sie "Kummer"-T-Shirts: Sänger Felix Brummer alias Kummer hatte seit 2019 mit seinem Solo-Album "Kiox" enormen Erfolg, aber auch die drei bisherigen Kraftklub-Alben haben der Band eine große Fangemeinde beschert. Das Erfolgsrezept: Indie-Rock, kombiniert mit Sprechgesang und Rap, dazu ein Ruf als großartige Live-Band.
Zigtausende feiern beim Spontan-Konzert
Das im Hinterkopf, schaue ich mir also das Konzert an. Ich stehe etwas hinter der Bühne und kann so auch zwei Stargäste beobachten, die sich langsam bereit machen: Casper unterstützt Kraftklub bei "Songs für Liam", ein paar Songs später ist das Geschrei groß, als Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz auf die Bühne kommt. Kraftklub spielen sich durch ihre Hits, den Fans gefällt’s. Doch ehrlicherweise sollte hier kurz erwähnt werden: Aus purer Nächstenliebe findet dieses "spontane" Konzert nicht unbedingt statt. Rein "zufällig" erscheint Freitag das neue Kraftklub-Album "Kargo", und da "aus Versehen" wegen eines Reeperbahn Festivals etliche Medien in der Stadt sind, ist Berichterstattung garantiert. Ein gewisser Blogger, der gerade diese Zeilen tippt, macht ja schließlich auch mit.
So funktioniert Marketing eben, und Werbung für neue Musik ist eben großer Bestandteil einer jeden Musikveranstaltung - aber bleiben wir fair. Bei all der PR ist der Kraftklub-Auftritt natürlich ein riesiges Event. Die Band ist live eine Macht, sie haben das Herz am richtigen Fleck und ihre Songs sind auch super. Die erwähnten zigtausend Fans sind glücklich - springen, schreien die Songs textsicher mit und feiern sich die Seele aus dem Leib. Und ganz ehrlich, ich bin schon happy, dieses Konzert nicht verpasst zu haben.
Fluppe: Premium-Indie im Knust
Während sich viele der Besucher*innen auf den Weg nach Hause machen oder noch in die umliegenden Bars und Clubs strömen, flaniere ich zum Knust in der ehemaligen Rinderschlachthalle. Zum ersten Mal in diesem Jahr betrete ich also einen Club, endlich! Der Einlass ist sehr entspannt, kein Vergleich zum letzten Jahr. Auch drinnen ist alles unverkrampft und locker, es gibt angenehm viel Platz. Vielleicht sind heute doch nicht so viele Besucher*innen zum Reeperbahn Festival gekommen wie gedacht. Wie auch immer, die Band, für die ich hierhin gelatscht habe, sind Fluppe aus Hamburg. Hierbei handelt es sich um deutschsprachigen Premium-Indie - ihr herrlich-erfrischendes Album „Blüte“ möchte ich jedem ans Herz legen. Fluppe geben ein gelungenes Konzert, mit Sänger Josef komme ich danach sogar bei einer Zigarette vor dem Knust ins Gespräch. Auch das ist das Reeperbahn Festival: nahbar und wirklich spontan.
M.Byrd: Ein sphärisches Konzert im Imperial Theater
Zwar ist es noch gar nicht sooo spät, doch ich merke eine gewisse Müdigkeit. Dennoch raffe ich mich noch einmal auf zum Imperial Theater. In diesem ehemaligen Kino wird sonst aktuell Bram Stokers "Dracula" aufgeführt, heute Abend jedoch will ich mir erneut M.Byrd anschauen. Schon letztes Jahr hatte ich von Maximilian Barth und seiner Band bei einem kurzen Auftritt beim Reeperbahn Festival berichtet, umso schöner, jetzt in diesem urigen Theater eine ganze Show zu sehen. Okay, ich muss mich hier und da schon zusammenreißen, um in den gemütlichen Theatersesseln nicht versehentlich einzuschlafen - aber dafür ist die Musik viel zu gut.
Manch einer denkt beim Sound von M.Byrd vielleicht an die Indie-Rock-Band The War On Drugs, bei denen man sich auch nicht einigen kann, ob einen das gesanglich an Bruce Springsteen oder doch Bob Dylan erinnert. Barth spielt aber auch ein paar Songs alleine auf seiner Akustikgitarre, und hier muss ich dann ein wenig an Jeff Buckley denken. Vielleicht bin ich auch einfach nur sehr müde und denke an alles Mögliche, aber jedenfalls ist das hier der Soundtrack, den man für einen imaginären Roadtrip braucht: sphärisch-hypnotisierend, handwerklich einwandfreie Songs mit Wumms von jungen Menschen, die Bock auf Musikmachen haben. Gut, dass ich dieses Konzert noch gesehen habe! Trotzdem mache ich mich danach zackig auf den Weg nach Hause und an meinen Schreibtisch, bevor ich noch auf der Tastatur einschlafe.
Meine Highlights am Donnerstag
Insgesamt also ein ganz guter Start ins Festival 2022! Bevor ich mich gleich auf den Weg ins Bett mache, hier noch schnell ein Ausblick auf Donnerstag: Auf Cari Cari um 20:30 Uhr freue ich mich eindeutig am meisten. Wenn ich es richtig verstehe, wurde ich sogar zum Kaffee mit dem österreichischen Duo verpflichtet. Seid gespannt, da habe ich morgen mit großer Sicherheit etwas zu erzählen. Aber auch auf L.A. Salami um 23:10 Uhr in der St. Pauli Kirche bin ich sehr gespannt. Den Singer-Songwriter aus London wollte ich ohnehin schon lange mal live sehen. Bonaparte & Kid Simius (23:30 Uhr, Uebel & Gefährlich) oder Destroyer (23:40 Uhr, Gruenspan) werde ich dagegen wohl leider verpassen. Aber: Dafür schnappe ich unterwegs bestimmt andere Sachen auf.
So dann - der gediegene erste Tag ist rum. Jetzt heißt es, morgen vielleicht ein bisschen ausgeschlafener zu sein. In diesem Sinne: Gute Nacht und bis morgen!