"Davide penitente": Wie Mozart Frau und Sohn absichern wollte
Mütterrente, Bürgergeld und Künstlersozialkasse zeigen, dass soziale Absicherung im Krankheitsfall oder bei Renteneintritt für viele Menschen ein Problem bleibt. Auch Mozart wollte seine Lieben absichern - mit Chormusik für die Wiener Tonkünstler-Societät.
Eine Maßnahme gegen Armut von Hinterbliebenen ist die Witwen- und Waisenrente, die in Deutschland als finanzielle Unterstützung 1911 durch die Reichsversicherungsordnung eingeführt wurde. Noch viel früher - und damals ein absolutes Novum - gab es die Wiener Tonkünstler-Societät. 1771 haben einige Adelige und Hofmusiker rund um den kaiserlichen Kammerkomponisten Florian Leopold Gassmann den "Pensionsverein für Witwen und Waisen österreichischer Tonkünstler" gegründet. Dieser Rentenverein sollte in Not geratene Berufsmusiker und ihre Angehörigen, vor allem die Witwen und Waisen verstorbener Vereinsmitglieder, unterstützen.
Die Hoffnung auf soziale Absicherung
In den Benefizkonzerten des Vereins konnten Komponisten ihre neuesten Werke der Öffentlichkeit vorstellen. Eine Mitgliedschaft verhieß also gesellschaftliche und berufliche Anerkennung, doch - oder gerade deshalb - kam nicht jeder rein. Wolfgang Amadeus Mozart wurde mehrfach abgewiesen. Dabei wollte er seine Frau Constanze und seinen Sohn Carl Thomas absichern. Seine letzte Chance: ein Auftragswerk. 1785 komponierte Mozart die Kantate "Davide penitente", der büßende, der reuige David. Aufgrund seiner vielen Konzerte hatte Mozart jedoch wenig Zeit fürs Komponieren.
Upcycling in der Kompositionskunst
Mozart nahm kurzerhand seine unvollendete c-Moll-Messe, die in Wien zu dieser Zeit noch nie gespielt und daher unbekannt war. Dazu ein paar italienische, psalmartige Buß-Gedichte von Saverio Mattei, eine Tenor- und eine Sopranarie sowie eine erweiterte Instrumentierung und fertig war die Kantate. Auf Werkskizzen oder Teile anderer Kompositionen zurückzugreifen, sogar andere Komponisten zu zitieren, war eine gängige Praxis. Johann Sebastian Bach hat das häufig gemacht, Mozart eher weniger. Aber er hatte eben wenig Zeit und so sind die ersten beiden Teile der Kantate fast identisch mit dem Kyrie und dem Gloria der Messe.
Mozarts Gespür für die menschliche Stimme
Dennoch hat er es geschafft, die Gesangspartien mit einem besonderen Gespür für die menschliche Stimme zu komponieren. Die gefeierte amerikanische Sopranistin Liv Redpath hat das Werk im Februar 2025 mit dem NDR Vokalensemble und der Kammerakademie Potsdam auf die Bühne gebracht und schwärmt: "Wenn man eine gute technische Basis hat, kann man sich durch Mozart wirklich weiterentwickeln, selbst, wenn man sich seine anspruchsvollen Partien vornimmt - zu denen diese sicherlich gehören. Was er schreibt, ist nie außerhalb der Möglichkeiten, eben weil er die Möglichkeiten der Stimme genau kennt."
Ob solo oder im Duett mit der zweiten Sopranstimme, im Terzett mit dem Tenor oder in der großen Fuge am Ende mit dem ganzen Chor - Mozart weiß, die Stimmen einzusetzen, ob miteinander oder gegeneinander. Es ist, erklärt der Chefdirigent des NDR Vokalensembles Klaas Stok, "als ob sie einen Streit angehen oder einen Wetteifer, es gibt allerhand Koloraturen, hoch und tief, um noch einmal zu zeigen, was sie wirklich können, und dann eine Klimax bis zur Chorfuge am Schluss. All das hat er extra neu komponiert für diese Fassung."
"Unfassbar lyrisch": Eine Arie wie aus einer Oper
"Davide penitente" ist ein Patchwork aus Alt und Neu - was das Einstudieren nur bedingt leichter macht. Solist Sebastian Kohlhepp, der sich als Mozart-Interpret einen Namen gemacht hat, übernahm im Konzert mit dem NDR Vokalensemble die Tenorstimme. "Wenn man die c-Moll-Messe sehr häufig gesungen und im Hinterkopf fest verankert hat, dann tut man sich erst einmal schwer mit dieser neuen Variante. Zudem ist die Kantate nicht im Kirchenlatein geschrieben, sondern es sind italienische Texte. Da geht man als erstes an die Aussprache anders ran. Außerdem ist die Tonsilbenbetonung gewöhnungsbedürftig. Und überhaupt: Die Tenor-Arie, die gibt es in der Messe gar nicht." Als "unfassbar lyrisch" beschreibt er diesen, seinen Part, und schwärmt von miteinander verbundenen, langen Tönen, einem langsamen Vorspiel mit Oboen, Klarinetten und Flöten, einem rasanten zweiten Teil und dass die Arie etwas sehr Opernhaftes an sich habe.
Passionsmusik für die Karwoche
Genau wie die c-Moll-Messe hatte Mozart eine Litanei für seine Geburtsstadt Salzburg geschrieben. Es ist eine von vier Litaneien, die letzte und am meisten ausgearbeitet: "Es ist eine große Komposition mit sehr schönen Arien, abwechselnd im alten Stil mit Fugen und Polyphonie und im neuen Stil mit Arien und opernhaften Elementen", so Klaas Stok. Mozart hat dieses Werk zur Karwoche 1776 komponiert. Aber auch Mozarts "reuiger David" passt zur sogenannten "stillen Woche", der letzten Woche der Fastenzeit, für Christen eine Woche der Trauer. Denn die Texte loben Gott, preisen seine Barmherzigkeit, flehen ihn aber auch um Kraft und Zuversicht an. Sie erzählen von Hoffnung und Mitleid inmitten von Leid, Ruhe inmitten von Stürmen. Es sind gebetartige Zeilen, die sowohl zum Erinnern an die Gefangennahme Jesu auf dem Ölberg (Gründonnerstag) und seine Kreuzigung (Karfreitag) als auch auf die Herausforderungen der heutigen Zeit passen.
Klaas Stok: "Mozart ist näher am Barock als an der Romantik"
Ihr Konzert in der Elbphilharmonie Hamburg widmeten NDR Vokalensemble und Kammerakademie Potsdam sowohl dem Thema Buße und Gebet, als auch dem österreichischen Komponisten selbst. Es erklangen neben dem "Davide penitente" und der Litanei auch noch Mozarts Kyrie d-Moll und seine "Maurerische Trauermusik". Dirigent Klaas Stok erklärt das Konzept: "Kyrie ist ein Gebet um Erbarmen. Die 'Maurerische Trauermusik' hat Mozart für ein Begräbnis geschrieben und Litaneien sind ebenfalls Gebete. Die ganze erste Konzerthälfte ist also eine Vorschau auf die Kantate im zweiten Teil." Auch wenn Klaas Stok Mozarts Stil gut kennt, hatte er das Bedürfnis, sich nochmal sehr intensiv damit auseinander zu setzen, was ihn dahin geführt hat, dass Mozart "viel dichter an der Barockmusik als an der Romantik und dass Mozarts Tonsprache eigentlich eine Ausarbeitung des Barockstils mit allen Affekten und aller Musizierpraxis ist."
Altersvorsorge? Ziel leider verfehlt
Die Sozietät sei allerdings mit dem "Davide penitente" nicht zufrieden gewesen, so geht es aus überlieferten Protokollen hervor, weil die Kantate kürzer ausgefallen ist, als der Verein erwartet hatte. Das könnte der Grund gewesen sein, warum Mozart nicht aufgenommen wurde. Und so hinterließ er 1791 seine Familie, die im Sommer desselben Jahres gerade erst um den kleinen Franz Xaver gewachsen war, ohne soziale Absicherung.
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