1944: Angriff mit V1-Bomben auf London
US-Kriegskorrespondent Hemingway berichtet
Die Briten, die schon im Vorjahr versucht hatten, Peenemünde zu zerstören, ergreifen noch im Sommer 1944 Gegenmaßnahmen, die bald Wirkung zeigen und etwa ein Drittel der Marschflugkörper unschädlich machen: Weil die V1 nicht schneller als ein Flugzeug fliegt, kann sie von Flugabwehrkanonen oder Jagdfliegern abgeschossen werden, zudem halten an Stahlseilen befestigte Fesselballons Hunderte Bomben auf. Auch werden die V1-Abschussrampen in Nordfrankreich bombardiert. US-Kriegskorrespondent Ernest Hemingway, der bei einem dieser Angriffe mitfliegt, berichtet seinen amerikanischen Lesern in einem Artikel davon.
Gegen die Abwehr setzen die NS-Ingenieure auf neue V1-Modelle, die torkelnde Flugbewegungen ausführen, um der gegnerischen Flak zu entgehen. Auf einem Schießplatz bei Cuxhaven werden sie erprobt und über die Nordsee gestartet. Noch im Jahr 2003 werden dort bei der Insel Neuwerk Reste einer V1 aus dem Watt geborgen.
Raketen aus Peenemünde
Außerdem haben Hitlers Ingenieure inzwischen eine noch fürchterlichere Waffe zum Einsatz gebracht: das Aggregat 4, bald als V2 bezeichnet. Die erste funktionsfähige Großrakete der Welt ist sogar ganz auf Usedom entwickelt worden, ab 1939 in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde-Ost unter der Leitung von Wernher von Braun.
Sie braucht für die Strecke nach London nur fünf Minuten und schlägt mit knapp 5.500 Stundenkilometern ein. Ihr Kommen ist wegen der Überschallgeschwindigkeit vor der Explosion nicht zu hören. Unmöglich, dagegen Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Die britische Bevölkerung ist schockiert. Die Deutschen hingegen wähnen sich für kurze Zeit endlich wieder im Kriegsglück. Die "A 9/10", eine bereits in Peenemünde geplante Interkontinentalrakete mit 5.000 Kilometern Reichweite, die New York angreifen soll, wird jedoch nicht mehr gebaut.
V 2 auf London und Antwerpen
Nach der Hauptangriffswelle mit V1-Bomben im Sommer 1944 wird London ab September auch mit V2-Raketen beschossen, später auch Städte in Belgien, Frankreich und Holland. Bis Kriegsende werden mehr als 3.170 Raketen abgefeuert, gut die Hälfte auf den alliierten Nachschubhafen Antwerpen, 1.300 auf die britische Hauptstadt.
Die materiellen Schäden durch den Beschuss mit V1 und V2 in Großbritannien und Belgien sind außerordentlich groß. In London werden 29.000 Häuser zerstört und über 1,2 Millionen beschädigt. In Belgien zerstören die Fernwaffen fast 5.700 Häuser und beschädigen rund 167.000 Gebäude. Die Kosten für den Wiederaufbau schätzen die Briten auf mindestens 25 Millionen Pfund. Insgesamt töten die fliegenden Bomben und Raketen mehr als 15.000 Menschen, rund 47.000 werden verletzt.
20.000 Zwangsarbeiter sterben bei der Produktion
Noch höher aber liegen die Zahlen der Opfer unter den Zwangsarbeitern, die diese Fernwaffen in Rüstungsfabriken wie dem Wolfsburger Volkswagenwerk und dem unterirdischen Mittelwerk im Harz bauen müssen. In dem dortigen KZ Mittelbau-Dora sind bis Kriegsende 60.000 Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert, mindestens 20.000 kommen zu Tode.
Von der Ostsee nach Cape Canaveral
Nach der Kapitulation werden die deutschen Bomben- und Raketeningenieure von den Alliierten gefangen genommen. Nach Blindgängerfunden in England arbeiten sie bereits seit Monaten mit Hochdruck an Kopien der V1. Schon im Herbst 1945 führen die Briten dann in Cuxhaven, wohin Peenemünder Spezialisten kurz vor Kriegsende vor den anrückenden Sowjets verlegt worden waren, Startversuche mit V2-Raketen durch. In den USA arbeiten später Hunderte von Wissenschaftlern aus Peenemünde um Wernher von Braun am Weltraumprogramm der NASA mit, das 1969 zur Mondlandung führt.
Auch im militärischen Bereich erhalten V1 und V2 Nachfolger: Mittel- und Langstreckenraketen, die seit den 1950er-Jahren in den USA und der Sowjetunion entwickelt werden und noch heute, etwa im Irak-Krieg, eine große Rolle spielen, sowie unbemannte Flugobjekte wie die zur Luftaufklärung und Spionage dienenden Drohnen.
Gedenkstätten erinnern an die Verbrechen
An die technische Neuerung der Fernwaffen, vor allem aber an die Opfer der Angriffe wie der unmenschlichen Produktionsbedingungen erinnern heute Museen in Peenemünde und in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora im Harz.
- Teil 1: Die ersten Marschflugkörper der Kriegsgeschichte
- Teil 2: Nach den Bomben folgt Raketenbeschuss mit V2