"Sie. Szenen des Unbehagens": Kurzgeschichten von Kay Dick
Nachdem Kay Dicks wiederentdecktes Buch "They. A Sequence of Unease" in einer englischen Neuübersetzung erschienen ist, ist der Band unter dem Titel "Sie. Szenen des Unbehagens" jetzt auch auf Deutsch erschienen.
Vor zwei Jahren nahm ein britischer Literaturagent zufällig das Buch "They. A Sequence of Unease" in einem Charity Buchladen in die Hand. Ungefähr zur selben Zeit erinnerte eine Literaturkritikerin in ihrem Artikel an die längst vergessene Autorin dieses Buches: Kay Dick. Sie veröffentlichte den preisgekrönten Titel "They. A Sequence of Unease" bereits 1977. Trotzdem geriet die Autorin und ihr Werk in Vergessenheit. Die britische Schriftstellerin wurde 1915 in London geboren und verstarb 2001. Kay Dick schrieb Romane und Sachbücher und war auch als Journalistin und Verlegerin tätig. So übernahm sie mit nur 26 Jahren als erste britische Frau die Leitung eines Buchverlags. Als Journalistin gab sie unter dem Pseudonym Edward Lane viele Jahre das Literaturmagazin "The Windmill" heraus.
Keine Individualität, keine Erinnerungen
Die Nationalgalerie in London ist bereits ausgeräumt. Bibliotheken werden vernichtet, Erinnerungsmaterial zerstört. "Sie" sind überall. Sie dringen einfach in Wohnungen und Häuser ein und beschlagnahmen Bücher, Kunstgegenstände und andere Artefakte oder verbrennen sie auf der Stelle. Ihr Ziel ist die Kontrolle und Regulation künstlerischen Schaffens.
Aber in Kay Dicks Buch "Sie. Szenen des Unbehagens" sind nicht nur die Künste ein Angriffsziel. Alle Menschen werden solange manipuliert, bis sie bereit sind, sich selbst aufzugeben. Die erbarmungslos agierende Gruppe, die kollektiv "sie" genannt wird, duldet keine Individualität und keine Erinnerungen. Aus diesem Grund prägen sich die Menschen Romanhandlungen, Melodien oder Kunstwerke im Gedächtnis sicherheitshalber ein. Damit sie es nicht vergessen. Aber es verschwinden auch Menschen, weil sie zu gefühlvoll sind:
"Liebe ist unsozial, unzulässig, ansteckend." Er grinste. "Trauer um die verlorene Liebe ist das schlimmere Vergehen, eine Straftat. Tessa hat ihre Trauer stolz zur Schau getragen." "Und jegliche persönliche Note muss getilgt werden?", fragte ich. "So befehlen sie es." Tim bog auf die Autobahn. Wir fuhren schweigend zu meinem Cottage zurück.
Ein hochaktueller, aufwühlender Text
Kay Dicks "Sie" ist ein sprachlich gewaltiger und aufwühlender Text, in dem es um Auslöschung und Manipulation geht. Durch das Motiv der Bücherverbrennung erinnert "Sie" an Ray Bradburys dystopischen Roman "Fahrenheit 451". Aber Kay Dicks Text weist keine klassische Romanstruktur auf, sondern besteht aus neun Kurzgeschichten, die alle in einer ländlichen Gegend spielen, wo sich das Unbehagen ausbreitet. Die Geschichten ergeben ein dichtes atmosphärisches Band, das von einer namenlosen, wohl meist weiblichen Erzählstimme zusammengehalten wird, die in einigen Sequenzen wohl dieselbe Person zu sein scheint.
Kay Dicks Buch erschien 1977 und geriert danach - genauso wie die Autorin selbst - völlig in Vergessenheit. Zum Glück ist Kay Dick und ihr Schreiben wiederentdeckt worden. "Sie. Szenen des Unbehagens" ist ein hochaktueller Text, in dem man sich nicht sicher sein kann, wer wem eine Falle stellt. Doch es gibt Lichtblicke, die in der Hoffnung jeder Figur aufblitzen. Das kollektive Verantwortungsbewusstsein und die Liebe spielen dabei eine große Rolle.
Sie. Szenen des Unbehagens
- Seitenzahl:
- 158 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Kathrin Razum Mit einem Nachwort von Eva Menasse
- Verlag:
- Hoffmann & Campe
- Bestellnummer:
- 978-3-455-01346-7
- Preis:
- 16 €
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Romane
